Samuel Gardiner narrte als falscher Journalist die weltweite Twittergemeinde. Er diskutierte mit Premier-League-Spielern über krude Transfergerüchte und wurde bei Al Jazeera zitiert. Dabei wollte der 17-jährige Schüler einfach nur ein bisschen Aufmerksamkeit.
Samuel Gardiner, Sie verkündeten Anfang Januar via Twitter den Wechsel des Ägypters Mohamed Salah zum FC Liverpool und versetzten damit die Fußballwelt in Aufruhr. Wie konnte das passieren?
Ich habe keine Ahnung. Aber als Al Jazeera den Transfer von Salah vermeldete und mich als Quelle anführte, ahnte ich, dass ich einen Volltreffer gelandet hatte.
Ihre Nachricht war ein Fake. Salah wechselte stattdessen drei Wochen später zum FC Chelsea. Wer war Ihre Quelle?
Ich hatte keine. Ich habe mir das ausgedacht.
Warum?
Ich hatte damals 150 Follower auf Twitter. Und wusste, dass sich niemand für die Tweets eines 17-jährigen Arsenal-Fans interessiert. Ich wollte aber, dass mich die Leute wahrnehmen. Also habe ich mir ein falsches Twitter-Profil als Journalist angelegt und angefangen, Gerüchte zu verbreiten. Das war der schnellste Weg, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Als Sie Anfang 2012 begannen, nannten Sie sich „Dominic Jones“ und gaben sich als Autor von goal.com aus. Wenig später wurde ihr Profil gesperrt.
Ich verstand, dass ich mich der Sache anders nähern musste. Also entwickelte ich mit meinen Freunden eine neue Strategie. Wir formulierten ein Ziel: 50 000 Follower.
Sie machten das nicht allein?
Nein, meine Kumpels wussten Bescheid. Wir saßen oft in der Schule beim Mittagessen zusammen und überlegten, wie wir die Sache cleverer anstellen könnten. Das hat Spaß gemacht.
Sie nannten sich nun bei Twitter „Sam Rhodes“ und gaben sich als freier Journalist für die „Financial Times“ und den „Daily Telegraph“ aus. Sie haben also das Vorgehen des ersten Versuchs wiederholt. Warum flogen Sie diesmal nicht auf?
Ich war vorsichtiger und twitterte nicht mehr jede absurde Idee. Zudem konzentrierte ich mich vor allem auf Vereine, die sportliche Probleme hatten. In solchen Situationen sind Fans einfach empfänglicher für Gerüchte. Ich habe meine Arbeit sozusagen professionalisiert. Am Ende habe ich es aber dem ehemaligen Chelsea-Trainer Roberto Di Matteo zu verdanken, dass die Leute mich ernstnahmen.
Dessen Entlassung im November 2012 vermeldeten Sie weltweit als Erster.
Binnen Stunden hatte ich plötzlich über 10 000 Follower. Einfach Wahnsinn!
Woher hatten Sie Ihre Infos?
Ich hatte keine. Für Chelsea lief es in dieser Phase sehr schlecht. Ich ahnte, dass es für Di Matteo eng werden würde. Also vermeldete ich seine Entlassung. Einen Tag später war er wirklich seinen Job los. Das war ein absoluter Glückstreffer. Danach änderte sich alles.
Sie wurden als seriöse Quelle wahrgenommen.
Ich orientierte mich am Stil von renommierten Sportjournalisten, mixte bestätigte Meldungen, meine eigene Meinung und bestehende Gerüchte. Dann streute ich meine ausgedachten Meldungen ein. Und einige davon wurden tatsächlich wahr. Ich hatte eine Glückssträhne und verfeinerte mein System immer weiter.
Erklären Sie es uns.
Ich war vor allem nach Champions-League-Spielen aktiv, weil ich bemerkte, dass die Fans an diesen Abenden nach neuen Infos lechzen.
Sie erfanden Gespräche mit José Mourinho, meldeten sich angeblich live aus dem Bernabeu, im Juni 2013 gesellten sich auch die beiden Profis James McArthur und Grant Holt von Wigan Athletic zu Ihren Followern.
Da musste ich zwei Mal hingucken. Ich habe oft mit Holt über Transfergerüchte diskutiert. Er reagierte immer sofort. An Weihnachten schrieb er mir sogar eine Nachricht und fragte, was an einem Gerücht über ihn selbst dran sei. Das steigerte meine Glaubwürdigkeit.
Sie mussten immer auf dem Laufenden sein. Wie viel Zeit kostete die Pflege Ihres virtuellen Doppellebens?
Zehn Minuten am Tag. Mit meinen Freunden rede ich oft über Fußball. Dabei entstanden viele Ideen. Zudem suchte ich Spieler aus, die überall gehandelt wurden, und kombinierte ihre Namen mit kriselnden Vereinen. Oder Klubs mit dicken Bankkonten.
Von wo verkündeten Sie den falschen Salah-Transfer, der Sie berühmt machte?
Aus dem Bett. Dann schlief ich ein. Am nächsten Morgen meldeten alle Nachrichtendienste den Transfer. Ich dachte, dass ich wieder Glück gehabt hatte. Dann sah ich, auf welche Quelle sich viele Medien beriefen: auf mein Alter Ego, den Sportjournalisten Sam Rhodes. Plötzlich hatte ich 25 000 Follower.
Der FC Liverpool musste den Transfer offiziell dementieren, wenig später flogen Sie auf.
Der „Daily Telegraph“ stellte klar, dass ich nicht für sie arbeiten würde. Sie hatten mein Profilbild enttarnt. Das hatte ich von einem Blog geklaut.
Haben Sie gar kein schlechtes Gewissen, weil Sie Sportjournalisten auf der ganzen Welt gefoppt haben?
Vielleicht ein bisschen. Aber ich habe ja niemandem weh getan.
Was haben Sie aus dieser Geschichte gelernt?
Dass sich tatsächlich niemand für die Tweets eines 17-jährigen Schülers interessiert. Aber wenn man ein 40-jähriger Sportjournalist ist, sieht die Sache anders aus. Egal, ob die Nachrichten stimmen oder nicht. Das ist schon verrückt und macht mich nachdenklich.
Samuel Gardiner, derzeit sind Sie Schüler. Was ist Ihr Traumberuf?
Ich würde furchtbar gerne Sportjournalist werden.