Mat­thias in der Weide, wie riecht der Ori­ginal-Bun­des­li­ga­rasen von 1963?
Er riecht nach Heu­stadl, wie der Öster­rei­cher sagen würde. Wie ein Berg­bau­ernhof in der Abend­sonne des Spät­som­mers. Sehr länd­lich, eigent­lich genau wie Heidi!

Sie haben den Rasen im Müns­te­raner Sta­dion an der Hammer Straße abge­tragen. Der SC Preußen Münster gehörte in der Pre­mie­ren­saison 1963/64 zu den Grün­dungs­mit­glie­dern der Bun­des­liga, stieg dann ab und kehrte nie wieder zurück nach ganz oben.
Natür­lich wurde der Rasen seitdem immer mal wieder aus­ge­bes­sert, vom Platz­wart teil­weise nach­ge­säht, gewalzt und geflickt. Einen Kom­plett­aus­tausch gab es jedoch nie. Der datiert in die 1950er zurück. An den Halmen klebt zwar nicht mehr der Ori­gi­nal­schweiß von Uwe Seeler, der am 24. August 1963 mit seinem HSV in Münster gas­tierte, aber fuß­ball­ro­man­ti­sie­rend kann man den­noch vom letzten Über­bleibsel des 1. Spiel­tags spre­chen.

Warum wurde der Rasen in Münster nie aus­ge­tauscht?
Das ist eine logi­sche Kiste: Als eines von zwei Bun­des­liga-Grün­dungs­mit­glie­dern bespielte der SC Preußen Münster immer noch ein Feld ohne Rasen­hei­zung. Spä­tes­tens mit dem Auf­kommen der Hei­zungen in den Sieb­ziger Jahren, aller­spä­tes­tens seit die DFL eine beheiz­bare Rasen­fläche zur Grund­vor­aus­set­zung für die Lizenz­er­tei­lung in den beiden höchsten Spiel­kassen gemacht hat, wurden bun­des­weit aus nahezu allen grö­ßeren Sta­dien die Rasen abge­tragen, unter­baut und durch eine neue Wiese ersetzt. In Münster pas­sierte das nie.

War das Preu­ßen­sta­dion ein Ein­zel­fall?
Auch Saar­brü­cken spielt im Lud­wigs­park ohne Rasen­hei­zung. An der Saar wurde das Spiel­feld aber nach­weis­lich min­des­tens schon einmal gewech­selt, in den Neun­zi­gern.

Wann erfuhren Sie erst­mals von dem Müns­te­raner Kuriosum?
Ich bin zwar pas­sio­nierter Schal­kefan, wohne aber in Münster, keine zehn Fahr­rad­mi­nuten vom Preu­ßen­sta­dion ent­fernt. Im Sinne von sup­port-your-local-team sym­pa­thi­siere ich mit dem SC. Ende März unter­hielten sich Freunde mal wieder über die unend­liche Geschichte des Sta­di­onaus und ‑umbaus, dar­über, wie es einen neuen Rasen geben solle und eine Rasen­hei­zung. Ein Kumpel erin­nerte sich an eine Zei­tungs­mel­dung, wonach der Rasen angeb­lich seit den Fünf­zi­gern Bestand habe. Bei mir schrillten sofort die Alarm­glo­cken.

Sie wit­terten das große Geschäft.
Im Gegen­teil, ich wit­terte eine schöne Geschichte. Immerhin sollte die Bun­des­liga bald Jubi­läum feiern. Ich schrieb der Mar­ke­ting­ab­tei­lung von Preußen Münster eine Mail, in der ich sagte: Leute, im Fuß­ball geht es nicht nur Erfolge, es geht auch im Geschichten. Euch bietet sich eine geniale Chance.“ Mit mini­malem Auf­wand hätte es der Verein in die bun­des­weite Presse schaffen können. Leider habe ich nie eine Ant­wort erhalten.

Des­halb ver­ar­bei­teten Sie die Story auf Schal​kefan​.de, Ihrem Blog.
Mehr noch, ich gab auch einem Kumpel Bescheid, der direkt am Sta­dion wohnt. Pass auf, habe ich gesagt, sollten die den Rasen aus­bud­deln, gib Laut! Ich hatte mich in die Geschichte ver­liebt und war mir sicher, dass ich mir – gegen einen Zehner oder eine Kiste Bier – ein Stück hätte aus dem Abfall­con­tainer nehmen dürfen. Keine Sorge, ich bin kein Spinner – ich wollte nur ein Stück Fuß­ball­his­torie für die Nach­welt retten.

Dazu kam es im Mai 2012. Der Verein gab bekannt, der Rasen im Preu­ßen­sta­dion werde aus­ge­tauscht. Zwei Tage lang durften sich die Fans gegen 19,06 Euro, ange­lehnt an das Grün­dungs­jahr 1906, eine Par­zelle aus­ste­chen.
Ich fuhr gleich am ersten Ver­kaufstag vor, in strö­mendem Regen. Mit den zwei ehren­amt­li­chen Hel­fern, die der Verein abkom­man­diert hatte, stach ich einen Qua­drat­meter Rasen aus. Man macht sich ja gar kein Bild, wie schwer so ein Qua­drat­meter wiegt, zumal wenn er bis in den letzten Halm mit Regen voll­ge­sogen ist! Ich habe zwei­ein­halb Stunden gebraucht, um das gute Stück abzu­trans­por­tieren. Danach brauchte mein Wagen eine Gene­ral­rei­ni­gung.

Schmutz aus 50 Jahren.
Naja, Fuß­ball­rasen eben, so wie man ihn sich vor­stellt. Sehr san­diger Unter­grund, nasses Erd­reich, sattes Grün – und später eine veri­table Amei­sen­plage. Die krab­belte über die Spüle, den Tisch, auf dem Boden, überall.

Welche Pro­bleme galt es außerdem zu bewäl­tigen? Der Umgang mit der alten Wiese bedeu­tete ja quasi Neu­land.
Es war gar nicht ein­fach, den Rasen fach­ge­recht zu kon­ser­vieren. Zu Beginn habe ich das Stück mit einer stink­nor­malen Haus­halts­schere fri­siert und dabei ver­sucht, auch Wur­zel­werk zu lassen. Weil ich aus einer länd­liche Gegend stamme, weiß ich, dass Bauern nur dann Heu machen, wenn es die nächsten Tage und Nächte tro­cken bleiben soll. Nasses Gras schim­melt näm­lich irgend­wann.

Das klingt nach Hob­by­bo­tanik.
Ich habe die Rasen­stück­chen auf einem Back­blech ver­teilt und zwanzig Minuten bei etwa 60 Grad Umluft erhitzt. Ich musste regel­mäßig mit der Kelle wenden, wie Pommes Frites. Meh­rere Tage stand ich so nach der Arbeit in der Küche.

Schwer zu glauben, dass Ihre Frau dieses Ver­halten klaglos tole­riert hat. Sind Sie jetzt stolzer Rasen­hüter, aber auch einsam und geschieden?
Meine Frau ist fast so fuß­ball­ver­rückt wie ich. Sie hat ver­standen, was ich da mache, vor allem: warum ich das mache. Der ein­zige Haken war ihr Heu­schnupfen. Glauben Sie mir, domes­ti­zierter Fuß­ball­rasen in der Küche ist da nicht ideal. Wäh­rend ich den Back­ofen in Beschlag genommen habe, lief meine Frau mit dicken Augen durch die Küche. Das tut mir im Nach­hinein sehr, sehr leid.

Sie könnten die Dame ent­schä­digen, indem Sie von dem Geld, das der Rasen ein­bringt, eine nette Reise buchen, oder ein mehr­gän­giges Dinner spen­dieren.
Es ging mir nicht um Geschäf­te­ma­cherei, son­dern um die Sym­bolik. Ich hätte es jam­mer­schade gefunden, wenn das Zeug ein­fach ver­kloppt worden wäre. Bei einem gewerbs­mä­ßigen Ver­kauf müsste ich meinen Lohn ein­rechnen und für jedes Tüt­chen an die zehn Euro nehmen müssen. Will ich aber nicht. Die Tüt­chen gehen an aus­ge­wählte Leute. Die­je­nigen, die den Rasen bekommen, sollen um die His­torie wissen und nach Mög­lich­keit die Geschichte dazu zum Besten geben. Ich plane auch eine Tausch­ak­tion, Ori­gi­nal­rasen gegen Fuß­ball­me­mo­ra­bilia.

Eigent­lich wollten Sie den Rasen in Acryl­glas gießen lassen.
Das Ver­fahren war eine Kos­ten­frage. Ers­tens ist Acryl­glas nicht ganz billig, zwei­tens stinkt es wie Hölle, drit­tens hätte ich mir für das Gießen ein spe­zi­elles Förm­chenset kaufen müssen, vier­tens kann orga­ni­sches Mate­rial von innen heraus ver­faulen, wenn es in Acryl­glas lagert. Die ver­schließ­baren Plas­tik­tüt­chen waren Plan B.

Wurden die Nach­barn gar nicht miss­trau­isch? Grüne Krümel auf der Anrichte, dazu kleine Plas­tik­tüten – mit Ver­laub, das weckt zwangs­läufig ganz andere Asso­zia­tionen.
Ich wohne im Erd­ge­schoss, meine Wohn­küche geht zum Hof raus. Da fla­nieren die Nach­barn lang und die Jungs vom angren­zenden indi­schen Restau­rant rau­chen ihre Ziga­retten am Hin­ter­ein­gang. In den Abend­stunden, bei Kunst­licht über den Rasen gebeugt, muss das wirk­lich aus­ge­sehen haben, als würde ich Drogen ein­tüten (lacht). Die Tätig­keit des Bun­des­li­ga­ra­sen­ein­pa­ckers unter­scheidet sich nicht groß­artig von der eines hol­län­di­schen Hin­ter­hof­dea­lers. Stellen Sie sich vor, die Polizei klin­gelt und fragt: Herr in der Weide, was machen Sie gerade?“ Dann hätte ich wahr­heits­gemäß ant­worten müssen: Ich packe Gras in Tüten.“

Aber die Polizei ließ sich nicht bli­cken.
Nein, bei mir nicht. Doch einer der ersten, dem ich eine Tüte geschenkt habe, war mein Cousin aus Öster­reich. Er besuchte mich in Münster und flog von Köln-Bonn zurück nach Graz. Mein kleines Prä­sent ver­staute er an der Seite seiner Tasche. Beim Check piepte es plötz­lich. Auf­ge­regte Secu­ri­ty­be­amte scharten sich um meinen Cousin. Auf dem Rönt­gen­dis­play zeigten sie auf das Behältnis mit der orga­ni­schen, strup­pigen Sub­stanz. Ein Beamte öff­nete die Tüte, schnup­perte, einmal, zweimal, las den Bei­pack­zettel und winkte ihn dann, leicht resi­gniert, durch (lacht).

Kann man den Ori­gi­nal­rasen im eigenen Garten anpflanzen?
Ich gehe aber nicht davon aus, dass das klappt. Ich weiß noch nicht mal, wie sich Rasen fort­pflanzt. Die Halme lagern samt Wurzel nun schon einige Monate in ihrer Tüte. Aller­dings, bei meinem Kumpel, der im Schatten des Preu­ßen­sta­dions ein kleines Eigen­tums­häus­chen hat, haben wir ein Stück Ori­gi­nal­rasen in den Garten gesetzt. Das Stück ist, durch den nassen Sommer begüns­tigt, sofort ange­gangen und treibt jetzt wie Hulle. Aber das war, wie gesagt, vor geraumer Zeit.

Da wird der Garten zum Museum und die Gar­ten­party zum geschichts­träch­tigen Rund­gung.
Immer langsam. Es ist nicht so, dass wir, wenn wir bei ihm grillen, uns auf den Bauch legen und dieses Stück Rasen anbeten.

Die 63er-Halme machen sich bestimmt auch schick auf der Fens­ter­bank. Im Blu­men­topf…
…funk­tio­niert das nicht. Ich weiß das von Leuten, die sich den Rasen der Schalke-Arena mal im Blu­men­topf bewahren wollten. Rasen ist viel kom­plexer, als man das glauben möchte. Nicht umsonst gehen in den Liga­sta­dien ständig die Rasen ein. Rasen braucht Luft, Rasen braucht Sonne, Rasen braucht Feuch­tig­keit und Rasen braucht viel Durchzug.

An welche Ziel­gruppe wendet sich die Idee mit dem Bun­des­li­ga­rasen?
Über­spitzt gesagt: An Nerds, Nost­al­giker und Fuß­ball­tra­di­tio­na­listen. Von den 250 Tüten, die ich inklu­sive Bei­pack­zettel pro­du­ziert habe, sind noch etwa 170 Päck­chen übrig. Ein paar Stück habe ich auch unter befreun­deten Blog­gern ver­teilt. Der Rest wartet in einer Box.

Sie haben die Ori­gi­nal­wiese von 1963 fri­siert, aus­ge­ba­cken, gestü­ckelt und ver­schickt. Macht Sie das zum Gegner der neuen, stan­dar­di­sierten Roll­rasen, wie sie heut­zu­tage in allen Arenen liegen?
Nein, gar nicht. Warum sollte es? In allen Sta­dien stehen nun mal Tore der Firma Schäfer, und in den meisten Sta­dien sind nun mal Roll­rasen nie­der­län­di­scher Groß­be­triebe ver­legt. Das hat sich dahin­ge­hend ein­ge­pen­delt. Mich fas­zi­niert eher die Vision, dass in 300 Jahren Außer­ir­di­sche landen und die Über­reste unserer Zivi­li­sa­tion bestaunen. Die müssen doch zu dem Schluss kommen, dass die Mensch­heit total ver­rückt war. Wir errichten ton­nen­schwere, rie­sige, eigent­lich absolut lebens­feind­liche Beton­mo­nu­mente, nur um ins Zen­trum dieser Kästen aus Stahl, Stein und Glas ein Stück Rasen zu schieben. Eine durch und durch künst­liche Umge­bung, und in der Mitte pure Natur. Absurd, oder? Der Rasen ist der letzte Ana­chro­nismus, den wir uns im Fuß­ball gönnen.