Günter Netzer als 21-Jähriger, neuer Vertrag für Manfred Orzessek, Hennes Weisweiler an der Linie – ein Gladbach-Fan tickert jeden Samstag die Spiele der Borussia aus der Saison 1964/65. Warum nur?
Philipp Schneider, wie schätzen Sie die Situation nach der 0:4‑Niederlage am letzten Spieltag gegen Fortuna Düsseldorf ein?
Die Situation ist heikel, da eine derartige Klatsche besonders im Aufstiegsrennen gegen einen unmittelbaren Konkurrenten Verunsicherung in eine so junge Mannschaft bringt.
Was erwarten Sie vom Spiel gegen Schwarz-Weiß Essen am kommenden Samstag?
Ich tippe auf einen 2:1‑Sieg und denke, dass es Hennes Weisweiller gelingt, eine Reaktion aus der Mannschaft herauszukitzeln. Zwei Punkte werden auch dringend gebraucht, wenn man Aachen nicht aus den Augen verlieren will.
Was stimmt Sie so optimistisch?
Die große Stärke der Mannschaft ist das Offensivspiel. Sie hat bisher gezeigt, dass sie jeden Gegner überrennen kann und dass das Kollektiv gut funktioniert. Die jungen Spieler sind hungrig und wollen den Aufstieg.
Muss Hennes Weisweiler am Ende der Saison gehen, wenn der Aufstieg aus der Regionalliga West misslingt?
Das glaube ich nicht. Zu Saisonbeginn war man überzeugt vom neuen Trainer, und der Aufstieg war nicht das erklärte Ziel, insofern wackelt sein Stuhl nicht.
Wie bewerten Sie die Neuzugänge Bernd Rupp und Werner Waddey?
Die sind sensationell eingeschlagen, besonders Bernd Rupp, den man als Amateur bei Wiesbaden ausgegraben hat. Aber die meisten Spieler, die relativ jung nach Gladbach gekommen sind, wie ein Günter Netzer oder ein Jupp Heynckes, profitieren als 20‑, 21-jährige Burschen davon, dass der Trainer aus ihnen eine gute Mannschaft formt. Man vergisst aber bei all den Offensivkräften gerne eine wichtige Personalie.
Die da wäre?
Ich rede von dem Torhüter Manfred Orzessek. Der hat gerade seinen Vertrag bis 1967 verlängert. Das gibt der jungen Truppe von hinten heraus die nötige Sicherheit und Stabilität, die es braucht, wenn man in die Bundesliga will.
Herr Schneider, mal im Ernst: Günter Netzer 21-jährig, Manfred Orzesseks Vertragsverlängerung – die Zeiten sind doch lange vorbei. Warum tun Sie auf Ihrem Twitter-Account „fohlenhistory“ trotzdem jedes Wochenende so, als wären wir in dem Jahr, in dem Ludwig Erhard Bundeskanzler war und die Scorpions als Nachwuchsband für Aufsehen sorgten?
Ich bin Autor und habe mich im Rahmen eines Projektes viel mit der Vereinsgeschichte von Gladbach beschäftigt. Irgendwann kam der Gedanke, dass es spannend wäre, Dinge aus der Vergangenheit in ein modernes Medium zu transportieren. Besonders dieses Spannungsfeld von historischen Ereignissen und modernen Technologien war für mich reizvoll, daher auch die Kombination aus Twitter und Ticker.
Historische Ereignisse als Live-Event in die Moderne transportieren, geht das überhaupt?
Es ist kompliziert, alleine schon von den Voraussetzungen, die man damals hatte, denn es gab keine Live-Übertragungen, kein Internet, höchstens Radio. Da muss ich manchmal improvisieren, aber das macht es aus.
Improvisieren? Schauen Sie sich alle Spiele auf VHS-Kassette an?
Nein, ich war in Bonn in der Landesbibliothek und habe mir die alten Bände der „Rheinischen Post“ angeschaut, die viele Spielberichte und auch ein bisschen Hintergrundinformationen enthalten. Die habe ich für die Saison 1964/65 durchgearbeitet, habe das Drumherum konstruiert und daraus den Ticker erstellt.