Sollte Zweitliga-Herbstmeister Eintracht Braunschweig den Aufstieg in die Bundesliga schaffen, wäre die Karriere von Mittelfeldmann Marc Pfitzner um ein Highlight reicher. Denn seine Laufbahn als Herrenspieler startete der 28-Jährige einst ganz unten – in der Kreisliga.
Glückwunsch, Marc Pfitzner: Mit 44 Punkten aus den ersten 19 Spielen hat Eintracht Braunschweig sein primäres Saisonziel Klassenerhalt schon vor Jahresfrist erreicht.
Danke. Dass wir im zweiten Jahr als Aufsteiger so eine gute Rolle spielen, hat uns alle überrascht. Irgendwie kann ich es immer noch nicht so richtig glauben. Es ist wie im Film.
Die Ansprüche der Mannschaft dürften nach dieser Hinrunde sicherlich gestiegen sein.
Jeder will jetzt hören, dass wir so gut wie aufgestiegen sind. Aber das ist quatsch. Dafür reicht ein Blick in die vergangene Saison: Fortuna Düsseldorf dominierte zwar die Hinrunde, rettete sich am Ende aber mit Ach und Krach auf einen Relegationsplatz.
Wie lautet also die Zielsetzung für die Rückrunde?
Wer selbst mal Fußball gespielt hat, weiß, dass es nicht wirklich reizvoll ist, um die gesicherten Mittelfeldränge mitzuspielen. Wir werden unseren Platz an der Sonne nicht freiwillig räumen.
Sollte es tatsächlich zum Aufstieg reichen, hätten Sie persönlich einen ebenso beispiellosen wie fast schon unglaublichen Durchmarsch vollendet – von der Kreisliga bis ins deutsche Fußball-Oberhaus.
Das ist richtig. In meinem ersten Herrenjahr lief ich noch als A‑Jugendlicher für den TSV Timmerlah in der Kreisliga Braunschweig auf. Zu dem Zeitpunkt war für mich der Traum des Profifußballs bereits ausgeträumt. Ein Jahr zuvor hatte ich die B2-Jugendmannschaft von Eintracht Braunschweig verlassen, weil mir der Leistungsfußball einfach zu viel geworden war. Allein die Anreise zum Stadion dauerte 45 Minuten, wir wurde das auf Dauer zu anstrengend. Außerdem war ich in einem Alter, in dem man plötzlich andere Interessen hat: Freundin, Freunde, Spaß. Außerdem wollte ich mehr Zeit in die Schule investieren.
Wie ging es weiter?
Nach dem Jahr in der Kreisliga habe ich zwar den Bezirk übersprungen, aber ab der Landes- bis zur 2. Bundesliga in allen Klassen gespielt. Nachdem ich mich zwei Jahre beim SV Broitzem bewährt hatte, folgte in der Spielzeit 2004/05 der Schritt in die Niedersachsenliga zu den Freien Turnern Braunschweig, nach der Eintracht die Nummer Zwei in Braunschweig. Dort lief es so gut, dass sich Uwe Hain, damals Trainer von Eintracht II, bei mir meldete.
Und Sie sagten gleich begeistert zu?
Zunächst war das eine komische Situation. Ich hatte schließlich mit dem Traum vom Profi-Fußball abgeschlossen und längst einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen. Als sich Hain bei mir meldete, befand ich mich im letzten Jahr meiner Ausbildung bei einer Versicherung. Die Entscheidung ist mir lange Zeit sehr schwer gefallen: Sollte ich es noch einmal wagen? Denn für mich war eines klar: Sollte ich zu Eintracht II wechseln, konnte das Ziel nur die erste Mannschaft sein. Glücklicherweise kam mir mein Arbeitgeber entgegen und ermöglichte es mir, an den Trainingseinheiten teilzunehmen. Letztendlich nahm ich die große Herausforderung an. Plötzlich war ich wieder mittendrin. Und um mich herum viele frühere Kollegen, die dem Fußball jahrelang alles unterordnet hatten – während ich mich ja eigentlich schon verabschiedet hatte.
Kurioserweise waren Sie es, der als Einziger den Schritt ins Profi-Team schaffte.
Für mich kam das völlig überraschend. Bei unserer ersten Mannschaft lief es in der Saison 2007/08 alles andere als rund. Der damalige Trainer Benno Möhlmann suchte nach Alternativen. Nachdem er unser Oberligaspiel bei Hannover 96 II beobachtet hatte, lud er ausgerechnet mich zum Training ein. Ich war immerhin schon 23 Jahre alt. Aber es hat gepasst. Als Profi habe ich mich damals übrigens noch nicht gefühlt.
Wieso?
Es war die letzte Saison vor der Einführung der Dritten Liga, eine ganz harte Zeit. Wir standen kurz vor dem Abstieg in die vierte Liga. Wäre es soweit gekommen, hätte alles keinen Sinn mehr gehabt. Dann hätte ich endgültig mit dem Profifußball abgeschlossen und wäre ich wieder „normal“ arbeiten gegangen. Gott sei Dank kam alles anders. Unter der Regie unseres neuen Trainers Torsten Lieberknecht schafften wir am letzten Spieltag den Sprung auf die Qualifikationsplätze. Was in den folgenden Jahren passierte, ist einfach unglaublich.
Wie gelang es Ihrem Trainer, innerhalb weniger Jahre aus einem Fast-Viertligisten einen Herbstmeister der 2. Bundesliga zu formen?
Der Kern des Kaders ist in all den Jahren zusammengeblieben. Unserem Trainer ist es gelungen, die Spieler jedes Jahr besser zu machen. Demzufolge sind wir natürlich eingespielt. Das ist unser großes Plus.
Und Sie sind mit dabei.
Ich spekulierte in den zwei Jahren als Oberligaspieler zwar immer auf eine Chance in der ersten Mannschaft, aber gerechnet habe ich damit nicht. Dennoch gelang es mir erneut, mich schnell an das neue Niveau zu gewöhnen. Erst in der Regionalliga, dann in der 3. Liga und jetzt in der 2. Bundesliga. Jedes Mal habe ich gemerkt, dass ich als Spätzünder mithalten kann.
Sollte Ihr Durchmarsch von der Kreis- in die Bundesliga gelingen, hätten Sie sogar Andreas „Lumpi“ Lambertz abgehängt. Der wurde bekanntlich dadurch berühmt, dass er als Viertligaspieler startete und jetzt in der Bundesliga kickt.
Natürlich kenne ich seine faszinierende Geschichte, eine absolute Ausnahme im Profifußball. Neben Lambertz fällt mir nur noch Miroslav Klose ein, der einen ähnlichen Werdegang vorzuweisen hat. (Klose startete einst seine Karriere als Herrenspieler in der Bezirksliga, d. Red.) Als gebürtiger Braunschweiger die Eintracht nach 28-jähriger Abstinenz in die Bundesliga zu führen – das wäre zu schön, um wahr zu sein. Wenn das klappen sollte, freue ich mich besonders auf das große Derby…
Meinen Sie nicht „die großen Derbys“? Immerhin spielen mit Hannover 96 und dem VfL Wolfsburg zwei direkte Lokalrivalen in der Bundesliga.
Nein. Wolfsburg zählt nicht. Für uns Braunschweiger gibt es nur ein echtes Derby: und das ist das Spiel gegen Hannover 96!