Wenn der FCK absteigt, stirbt eine Region. Doch warum steht sie zusammen, wenn er nicht aufsteigt? Vier Kaiserslautern-Fans über den Mythos Betzenberg, Kritik an Stefan Kuntz, Neonazis in der Kurve und ihre Wünsche für die neue Saison.
Locke: Jahrgang 1991, Dauerkartenbesitzer seit 2003. Mitglied der 2006 gegründeten Ultragruppe „Frenetic Youth“. Philipp Gauch: Jahrgang 1989, Mitglied der seit 1998 bestehenden und somit ältesten FCK-Ultragruppe „Generation Luzifer“. Sebastian Scheffler: Jahrgang 1979, offiziell gewählter Fanvertreter und Vorsitzender der Interessengemeinschaft „Perspektive FCK“. Thomas Hilmes: Jahrgang 1980, seit 1990 FCK-Fan. Früher Mitglied der „Generation Luzifer“, heute Betreiber des Webzines „Der Betze brennt“.
Sehr geehrte Herren, Sie alle kennen den berühmten Satz: „Wenn der 1. FCK Kaiserslautern absteigt, stirbt eine Region.“ Was passiert, wenn er nicht aufsteigt?
Thomas Hilmes: Natürlich waren wir enttäuscht, dass es nicht geklappt hat. Dennoch haben die Spiele gegen Hoffenheim die Fanszene wieder sehr enger zusammen gebracht.
In einigen Medien war davon die Rede, dass es seit den achtziger Jahren nicht mehr so laut im FCK-Block war. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb: „Der Lärm, den die Fans auf dem Betze machten, war für Ohren von Nicht-Pfälzern kaum noch erträglich.“
Hilmes: Es war wirklich unfassbar laut. Schon auf dem Weg zum Stadion habe ich peitschende Gesänge gehört – und alle haben mitgemacht haben. Nicht nur Ultras.
Trotz der Niederlagen gegen den reichen Rivalen?
Philipp Gauch: Trotz einer Saison, die nicht befriedigend war.
Locke: Die Stimmung war eher eine Ausnahme als ein Spiegelbild der ganzen Saison. Es hat sich sicher keiner gefreut, dass wir nicht aufgestiegen sind, aber an dem Abend wollte keiner die Hoffenheimer feiern hören.
Hilmes: Bei diesen Spielen sind Welten aufeinander getroffen. Wir haben aber realisiert, dass wir als Underdog gegen solche Projekte, die sich Vereine nennen, nur eine Chance haben, wenn wir zusammenhalten.
Thomas Hilmes, Sie betreiben die Internetseite „Der Betze brennt“. Dort hieß es nach dem Spiel: „Der Mythos Betzenberg wacht nach zwei ruhenden Jahren wieder auf.“ Was bedeutet dieser Mythos denn für Sie?
Hilmes: Dass die Fans im wahrsten Sinne des Wortes der zwölfte Mann sind. Dass sie Einfluss aufs Spiel haben.
Sehen das die Ultraszene auch so, Philipp Gauch und Locke?
Gauch: Durchaus. Mit viel Pathos formuliert: Die Zuschauer verschmelzen im Stadion und stellen eine Einheit dar. Der Betze kann im besten Fall ein magischer Ort sein, wo die Fans den Ball ins Tor schreien.
Locke: Ich verstehe es auch als eine starke Symbiose zwischen Publikum und Spielern. Sie kann aus einer Randerscheinung entstehen, einem Tackling an der Mittellinie oder einem Ball, der statt ins Seitenaus ins Toraus zur Ecke rollt. Dann kann der Betzenberg aus dem Nichts explodieren.
Hilmes: Vor allem bei einem Abendspiel: Flutlicht und das Warten auf den Funken, der aufs Spielfeld springt. Wie oft habe ich hier Spiele gesehen, die wir nach einem 0:2 noch umgebogen haben.
Sebastian Scheffler: Erinnerst du dich noch an unseren alten Stadionsprecher Udo Scholz? Der verkündete bei Anschlusstreffern, die in der 90. Minute fielen, gerne mal über Lautsprecher: „Tor in der 85. Minute!“
Hilmes: Um den Schiedsrichter zu verwirren. Schön war das. (lacht)
Wenn in den Medien vom „Mythos Betzenberg“ die Rede ist, wird gerne auf Europapokalspiele der achtziger Jahren samt bengalischer Feuer verwiesen. Warum gab es recht früh Ultra-Elemente in der FCK-Fanszene?
Scheffler: Das hing mit Hans-Peter Briegel zusammen. Als er 1984 zu Hellas Verona gewechselt ist, begannen viele FCK-Fans sich für die italienische Fankultur zu interessieren. Es haben sich Fanfreundschaften entwickelt und wir sind häufiger nach Italien gereist. Zurück kamen wir mit allerhand neuen Eindrücken – und bengalischen Fackeln.
Haben diese Bilder noch was mit der aktuellen Fankultur gemein?
Locke: Kaum. Wenn ich am Wochenende Bundesliga gucke und da Augsburg gegen Hoffenheim spielt, dann schalte ich den Fernseher wieder aus.
Scheffler: Eine schlimme Entwicklung, zumal der ganze Aufbau im deutschen Fußball durch Vereine wie Hoffenheim, Leverkusen, Wolfsburg und jetzt RB Leipzig ganz offensichtlich unterwandert wird.
Wenn es dem FCK in der Vergangenheit mal schlecht ging, hat auch Kurt Beck gerne mal geholfen.
Hilmes: Kurt Beck hat sicher nicht seine Privatschatulle geöffnet, aber natürlich wurden in den FCK genauso Steuergelder gepumpt wie in alle anderen Vereine auch: Die Bayern haben ihr Stadion zwar selbst bezahlt, aber für die Infrastruktur über 200 Millionen vom Steuerzahler bekommen. In Mainz wurden mit mehr als 60 Millionen aus der öffentlichen Hand gleich zwei Stadien hochgezogen, Köln erhält über Umwege Zuschüsse vom stadteigenen Energieversorger, Hertha BSC musste in der zweiten Liga keine Stadionmiete zahlen. Diese Subventionierung des Profifußballs kann man durchaus kritisch sehen, aber es ist keine FCK-spezifisches Sache.
Wie sehr wurmt es Sie, dass der 1. FC Kaiserslautern eine Art Fahrstuhlklub geworden ist, während sich andere Vereine aus der Region – Mainz 05, Eintracht Frankfurt oder die TSG Hoffenheim – in der Bundesliga etabliert haben.
Locke: Mich nervt es richtig, dass wir nicht Bundesliga spielen.
Scheffler: Eintracht Frankfurt hat es verdient, dort zu stehen. Aber Hoffenheim? Augsburg? Fürth? Mainz?
Wie passen denn Augsburg, Mainz und Fürth in diese Liste?
Gauch: Fakt ist, dass der Fußball ja auch gerade durch die Emotionen, die er erzeugt, so interessant wird. Aber ein Spiel wie Augsburg gegen Fürth erzeugt keine Emotionen.
Hilmes: Hoffenheim oder Leipzig sind vielleicht die besseren Beispiele. Das sind Klubs, bei denen man glaubt, mit Millionen von Euro den sportlichen Erfolg kaufen und durch Marketing Traditionen etablieren zu können.
Was wäre denn, wenn ein Mäzen beim FCK einsteigen oder der Klub seinen Stadionnamen verkaufen würde?
Hilmes: Ich denke, der FCK zeichnet sich durch zwei große Säulen aus: Auf der einen Seite die Tradition und auf der anderen die Fans. Wenn man beides mit Füßen tritt, dann könnte sich der Verein nicht mehr oben halten.
Locke: Eines unserer Alleinstellungsmerkmale ist unser Stadionname, das „Fritz-Walter-Stadion“. Ein Verkauf des Namens könnte vielleicht kurzfristig etwas Geld bringen, aber langfristig verkaufe ich doch meine Seele.
Gauch: Oftmals werden da von oben Ängste geschürt. Es heißt dann, dass man nur noch Geld kriegt, wenn man den Stadionnamen verkauft oder pleitegeht, wenn man sich nicht ausgliedert. Aber es gibt genügend aktuelle Beispiele, die zeigen, dass das eben nicht so ist.
Locke: Wenn man clever ist, merkt man auch, dass Tradition eigentlich das beste Marketingmittel ist. Man darf es natürlich nicht übertreiben und sich bei zu vielen Begrifflichkeiten bedienen, aber der Trend geht in die Richtung.
Scheffler: In Braunschweig hat man es ziemlich gut gemacht. Dort haben sich verschiedene Firmen zusammengetan, um den Namen „Eintracht-Stadion“ zu erhalten. Das wirft doch ein viel positiveres Licht auf diese Firmen.
Philipp Gauch, Sie haben mit Ihrer Gruppe „Generation Luzifer“ wegen der inflationären Stadionumbenennung im deutschen Fußball sogar mal einen Preis abgelehnt. Muss man so weit gehen?
Gauch: Im Oktober 2011 sollten wir von der „Akademie für Fußballkultur“ einen Preis für die beste Choreographie des Jahres bekommen. Das Verheerende war, dass das Preisgeld von „Easy Credit“ gesponsert wurde, also dem Unternehmen, dass in Nürnberg den Stadionnamen gekauft hatte.
Hilmes: Die Choreo präsentierte die „Generation Luzifer“ zum 90. Geburtstag von Fritz Walter. Integriert war der Spruch „Für immer in Ehren: Fritz Walter und sein Stadion“.
Gauch: Hätten wir diesen Preis und das Geld angenommen, dann hätten wir die Werte verraten, die wir mit der Choreo vertreten wollten.
Wie positioniert sich der FCK aus Ihrer Sicht in der Diskussion um Werte und Tradition?
Scheffler: Es hat zumindest klare Ansagen gegeben, dass man den Stadionnamen nicht verkauft. Im Endeffekt wäre eine Umbenennung des „Fritz-Walter-Stadions“ auch Negativwerbung für jeden Sponsor.
Sie glauben also, dass der FCK e.V. ist mit dem „Fritz-Walter-Stadion“ und dem „Ottmar-Walter-Tor“ ein Gegenentwurf zum modernen Fußball ist?
Scheffler: So weit würde ich nicht gehen. Bei uns wurden auch Fehler gemacht, sowohl von der Vereinsführung als auch vom aktuellen Marketingleiter. Die haben in der Vergangenheit häufig behauptet, der FCK müsse als eine Marke platziert werden. Eine Marke? Da kommen Leute von der Uni, die haben das so gelernt, aber verstehen nicht, dass für die Fans die Identifikation der Klub ist. Und dass ein Vereinswappen keine Marke ist.
Traditionsvereine wie Borussia Dortmund haben sich wie Marken aufgestellt und sind lange am FCK vorbeigezogen. Andere Klubs, die diese Entwicklung nicht mitmachen, gurken seit Jahren in den Niederungen der Ligen herum. Keine Sorge, dass es dem FCK ähnlich ergehen könnte?
Scheffler: Die Vereine stehen ja nicht dort unten, weil sie sich auf Tradition besonnen haben, sondern weil dort die falschen Leute am Werk waren. Das Beispiel Duisburg zeigt das gut: Es waren eigentlich genügend Sponsorengelder vorhanden, aber es haben anscheinend zur falschen Zeit die falschen Leute den Verein geführt. Natürlich kann das immer wieder passieren, aber darum ist es auch wichtig, dass man darauf achtet, was in der Vereinsführung passiert. Nur weil einer gut erzählen kann, heißt das nicht, dass er im Interesse der Fans und des Vereins handelt.
Und wie ist es mit der Identifikation? Ist das nicht pure Romantik?
Scheffler: Natürlich ist das nicht mehr so wie früher – aber das ist der heutigen Natur des Fußballgeschäfts geschuldet. Spieler wie die Walter-Brüder oder Horst Eckel, die dem Klub ein Leben lang treu blieben, gibt es nicht mehr. Oder einen Hans-Peter Briegel, bei dem man das Gefühl hatte, er nimmt die Funken von der Tribüne auf und versucht die Spiele über den Kampf zu gewinnen.
Gauch: Das wird immer weniger. Jedenfalls konnte man sich in der vergangenen Saison kein Kratzen und Beißen sehen, etwas, das früher die Spieler auf dem Betzenberg ausgezeichnet hat.
Locke: Ich denke sowieso, dass sich viele Fans eher mit der Kurve, der Geschichte und dem Verein als Ganzes identifizieren als mit einzelnen Spielern. Als Kind steht man in diesem Stadion und ist fasziniert von der Atmosphäre. Ich denke, die Identifikation speist sich eher über solche Erfahrung als über Spieler.
Gauch: Trotzdem gibt es noch ein paar. Dominique Heintz zum Beispiel, weil er ein gebürtiger Pfälzer ist. Aber auch Florian Dick, der sich komplett mit der Spielweise und dem Klub identifiziert.
Was ist mit Stefan Kuntz? Man könnte annehmen, dass gerade er den FCK wie kein anderer verkörpert.
Hilmes: Als Spieler auf jeden Fall.
Und als Vorstandsvorsitzender?
Hilmes: Da kann man ihn erst am Ende seiner Amtszeit bewerten. Ein Beispiel: Atze Friedrich war auch ein verdienter Spieler, und als Präsident ist er mit dem FCK aufgestiegen und hat die Meisterschaft geholt. Doch was hinterließ er? Reines Chaos und 30 Millionen Euro Schulden.
Scheffler: Im Gegensatz dazu ist jemand wie Norbert Thines sehr gut gelitten bei den Fans. Bei ihm merkte man, dass er eine soziale Ader hat. Er war darum bemüht, die Fans zu einen und den Verein solide zu führen.
Wie sieht denn der aktuelle Dialog zwischen Vereinsführung und Fans aus?
Scheffler: Der hat etwas gelitten durch das Konzept Sicheres Stadionerlebnis und die Initiative „12:12“.
War es überraschend, dass der FCK das Papier unterzeichnet hat?
Scheffler: Zunächst waren wir – Klubführung und Fans – einer Meinung, zumal drei Punkte für uns nicht akzeptabel waren. Als die Klubführung sich dann doch für die Absegnung des Papiers entschied, haben wir sie stark kritisiert. Wir waren mit die Ersten, die den Protest „12:12“ ausgedehnt haben.
Gegen den VfR Aalen haben Sie 90 Minuten lang geschwiegen.
Hilmes: Richtig. Die Atmosphäre war so gespenstisch, absoluter Wahnsinn. Zumal es bei uns überhaupt keinen Ärger gegeben hat. Da hat fast das ganze Stadion geschwiegen – ob Ultra oder nicht. Das war wieder so ein Moment, wo ich merkte, hier bin ich richtig. Das ist eine richtige Familie.
Scheffler: Jedenfalls unter den Fans. Der Verein hat sich derweil dem politischen Druck ergeben und es den Anhängern nicht mal erklärt.
Stefan Kuntz gab doch eine Stellungnahme ab. Er sagte, für die Fans ändere sich nach dem 12. Dezember 2012 nichts, da die meisten Punkte sowieso in der Stadionordnung verankert seien.
Scheffler: Aber das erste Gespräch mit den Fans fand erst Ende Januar auf einer Fanversammlung statt. Dort sagte er dann sinngemäß: Wenn die Ultra-Gruppen untereinander stillschweigen und Pyro-Fans oder Gewalttäter schützen, dann solidarisiert er sich mit der Mehrheit der Vereine der 1. und 2. Bundesliga und stimmt für die ab.
Stefan Kuntz scheint Ihrer Ansicht also ziemlich viel falsch gemacht zu haben in der vergangenen Saison.
Hilmes: Er hat sich ein paar Mal in der Wortwahl vergriffen.
Inwiefern?
Hilmes: Er sprach zum Beispiel von „Ratten, die ihre Köpfe wieder aus den Löchern stecken, wenn es nicht so gut läuft“.
Womit er, so sagte Pressesprecher Christian Gruber, nicht die Fans meinte.
Hilmes: Stefan Kuntz hat zumindest die Fans und die Ratten in einem Atemzug genannt. Alles weitere ist Spekulation, weil er sich danach nicht mehr dazu geäußert hat.
Scheffler: Wirklich skurril war die Situation nach den beiden Relegationsspielen. Jeder im Stadion wusste, dass die Stimmung nicht auf die Mannschaft, den Trainer oder den Vorstand bezogen, sondern auf den Klub als Ganzes – und auf uns. Dennoch stellte sich Kuntz dann hin und lobte uns dafür, dass es gewesen sei wie in den Achtzigern oder Neunzigern.
Hat sich denn nach dem 12. Dezember 2012 etwas geändert?
Hilmes: Es gab im März ein Derby zwischen Waldhof Mannheim und der zweiten FCK-Mannschaft, das über 50 Stadionverbote nach sich zog, die meisten ohne Anhörung. So etwas hatten wir noch nie erlebt.
Es soll zu Ausschreitungen gekommen sein.
Scheffler: Es gab ein paar kleinere Vorfälle, auch ein bisschen Pyro während des Spiels. Doch weil die Polizei keinen Einzelnen greifen konnte, verhaftete sie einfach eine Gruppe – das Gießkannen-Prinzip.
Muss ein Fußballfan sich heute eigentlich sorgen, kriminalisiert zu werden?
Locke: Man wird ja nur von Außenstehenden kriminalisiert. Von den Medien. Von Moderatorinnen, die von den „Taliban der Fans“ sprechen.
Scheffler: Ich bin in der Hinsicht total abgestumpft. Mir ist es mittlerweile fast egal, dass Fußball für Außenstehende Mord und Totschlag oder Bürgerkriegszustände bedeuten. Ein Beispiel: Für uns war das Relegationsspiel 2012 zwischen Düsseldorf und Berlin überhaupt kein Thema. Das war ein freudiger Platzsturm, so wie wir ihn 1991 in Köln erlebten, als wir Meister geworden sind. Ich konnte die Hysterie überhaupt nicht nachvollziehen.
Hilmes: Früher war das doch Gang und Gäbe. Und wenn es zu viel wurde, dann sagte der Stadionsprecher: „Bitte geht runter“, und dann war es okay.
Sie kritisieren den Verein gelegentlich auch über die stark frequentierte Seite „Der Betze brennt“. Hat die Seite Relevanz?
Locke: Mein Vater guckt täglich drauf. (lacht) Die Seite ist eben topaktuell. Alles, was auf der FCK-Homepage zu lesen ist, kann man vorher schon bei „Der Betze brennt“ lesen.
Fühlt sich der Verein durch „Der Betze brennt“ beobachtet oder gar unter Druck gesetzt?
Scheffler: Man muss klar konstatieren, dass es hier in der Pfalz kaum kritische Berichterstattung gibt. Da ist „Der Betze brennt“ schon meinungsstärker, wobei das Gros der Artikel mehr als positiv ist. Kritik ist ein heikles Thema.
Inwiefern?
Hilmes: Gehen wir mal ein paar Jahre zurück, da kam es schon mal vor, dass sich Leute aus der Vereinsführung oder deren Bekannte im Forum angemeldet haben, um dort Stimmung zu machen oder Diskussionen zu lenken, wenn Entwicklungen im Verein kritisch angesprochen worden sind.
Kritisieren Sie sich untereinander?
Locke: Natürlich gibt es immer mal Meinungsverschiedenheiten. Die werden aber nicht übers Internet geklärt.
Hilmes: Es ist wie in jeder Familie.
Dennoch werden Sie in der kommenden Saison in der Westkurve ein Stimmungszentrum mit sämtlichen Ultragruppen errichten. Fühlen sich die Fans, die normalerweise dort stehen, nicht übergangen?
Locke: Ziel ist es ja, die Stimmung wieder zu verbessern. Und dafür sind wir vor rund einem Jahr auf die betroffenen Fans zugegangen und haben ihnen erklärt, was Sinn und Zweck des Projekts ist. Wir wollten da schon eine größtmögliche Transparenz schaffen, was unser Vorhaben angeht. Auf einer Fanversammlung wurde der Vorschlag beinahe einstimmig akzeptiert.
Warum brauchen Sie denn überhaupt ein Stimmungszentrum?
Scheffler: Man hatte in den vergangenen zwei Jahren das Gefühl, die Fans befinden sich in einer Lethargie. Es musste was passieren.
Hilmes: Man hatte manchmal sogar das Gefühl, dass die Ultragruppen gegeneinander gesungen haben, nicht böswillig wie vielleicht in anderen Stadien, aber dennoch so, dass man realisiert hat: In Kaiserslautern kann das kein Zustand sein.
Locke: Deshalb werden ab der kommenden Saison die drei großen Ultragruppen (Pfalz Inferno, Generation Luzifer und Frenetic Youth, d. Red.) zusammen in der Westkurve stehen. Aber sie werden sich nicht abschotten. Das Stimmungszentrum ist für jeden offen.
Und was passiert, wenn Leute auftauchen, die einen Spieler mit „Drecksjude“ beschimpfen?
Scheffler: So wie bei Itay Shechter vor zwei Jahren? Das war eine schlimme Sache. Doch ich denke, wenn man die Kurve im Verhältnis zur Bevölkerung sieht, hat man dort nicht mehr Neonazis oder rechtsgerichtetes Publikum stehen als außerhalb.
Locke: Ist soweit richtig. Das macht die Sache aber nicht besser.
Scheffler: Natürlich nicht.
Damals, Ende 2011, sagte der FCK-Fanprojekt-Leiter Erwin Ress in einem Interview mit 11FREUNDE: „Es gibt diese Personen, und man muss sie benennen!“
Scheffler: Natürlich gibt es diese Personen. Ich denke, beim FCK kommt das Problem hinzu, dass Rechtsextremismus im ländlichen Raum verbreiteter ist als in der Stadt. Und der FCK hat nun mal viele Fans im Saarland oder der Südpfalz, also in kleinen Gemeinden und Dörfern. Ich finde es dennoch wichtig, diese Leute nicht von vornherein auszugrenzen. Darüberhinaus war es beim FCK immer so, dass der Fußball – und nicht die Politik, weder links noch rechts – im Vordergrund stehen sollte.
Locke: Das stimmt absolut. Selbstverständlich müssen der Fußball und der Verein im Vordergrund stehen. Das tut er ja auch. Aber ich finde auch, dass es unsere Aufgabe ist, Verantwortung zu übernehmen und zu sagen: „Rassismus ist scheiße!“ Das ist dann Politik. Und das muss man dann klar sagen. Das hat im Stadion, aber auch sonstwo nix zu suchen.
Die Ultras schreiben sich gerne auf die Fahnen, den Neonazis in den Stadien etwas entgegengesetzt zu haben. Manchmal zu Recht. Wie ist es in Kaiserslautern?
Gauch: Vor zehn Jahren war es wirklich noch so, dass nach gewissen Chants ein „Sieg heil“ nachhallte. Doch die Ultraszene hat seitdem immer wieder stark interveniert.
Was heißt stark interveniert?
Gauch: Nun (lacht). Muss ich das jetzt ausführen?
Locke: Man geht halt dazwischen. Wenn jemand zum Beispiel mit Affengeräuschen anfängt, muss man denjenigen darauf hinweisen, dass er es sein lassen soll. Wie Scheffler aber vorhin erwähnt hat, wäre es auch falsch die Leute direkt abzustempeln und auszuschließen. Das führt ja dann eher zum Gegenteil.
Gruppen wie „Rotfront KL“ sind aber nicht gänzlich verschwunden. Sind das Versäumnisse von Klub- oder Fan-Seite?
Scheffer: Die Hooligangruppen sind noch aktiv, ja. Allerdings sind sie anders aufgestellt als in den achtziger Jahren. Das Problem ist, dass viele Leute die Verhältnisse von früher eins zu ein auf die heutige Zeit übertragen. Da hat sich aber vieles gewandelt. Natürlich findet man in diesen Gruppen immer noch Personen, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind, aber ebenso gibt es dort Leute mit Migrationshintergrund.
Wie verhält sich der Verein?
Hilmes: Vor einigen Jahren hat er einen Passus in die Stadionordnung aufgenommen, nach dem rechte Symboliken und Kleidungsstücke verboten sind. Das hat er nicht explizit auf die Marke „Thor Steinar“ gemünzt, sondern allgemein gehalten. Das fand ich gut, denn die Klamotten und Marken ändern sich ja ständig. Nur die Umsetzung am Stadioneingang lässt oft zu wünschen übrig.
Weil die Leute am Eingang nicht das Knowhow haben?
Scheffler: Oft stehen da externe Security-Leute, die eine große Rotation haben…
Hilmes: …die teilweise selbst „Thor Steinar“ tragen.
Scheffler: Die Hauptkräfte sind zwar geschult, aber die ausführenden Organe nicht. Was ich auch nicht verstehe, ist die laxe Einstellung der Stadt. Wenn es um die Einreise von Auswärtsfans geht, wird alles Erdenkliche getan, um die zu überwachen. Eine rechtsextreme Partei kann hingegen ohne weiteres einen Stand in der Innenstadt aufbauen. Ebenso verhält es sich mit den Schalhändlern vor dem Stadion.
Sie meinen die Händler, die inoffizielles Merchandise verkaufen?
Scheffler: Richtig. Das sind Mafiastrukturen. Die verwenden vereins- und ultraähnliche Symbole – und verticken den Kram auf Kosten des Klubs. Kurzum: Ich mag Leute nicht, die sich auf dem Rücken des Fußballs profilieren und davon dann profitieren. Aber eigentlich überhaupt keine echten Fans sind.
Was sagen denn die echten Fans: Kann die Mannschaft von den Fans profitieren?
Hilmes: Wir haben in den Relegationsspielen gesehen, dass die Mannschaft mit lauten und enthusiastischen Fans im Rücken mehr leistet. Dass der Betzenberg Mythos wieder lebt.
Locke: Wenn das 2:1 im Rückspiel der Relegation gezählt hätte, dann hätten wir noch ‚ne Bude gemacht und wären aufgestiegen.
Also gelingt mit Franco Foda der Aufstieg?
Locke: Ich bin skeptisch.
Gauch: Ich auch, denn ich hätte von der vergangenen Saison mehr erwartet. Natürlich war die Situation nicht einfach, zumal mit Enis Alushi der Schlüsselspieler häufig verletzt war. Dennoch: Ein richtig guter Trainer hätte mehr aus der Mannschaft geholt, er hätte aus den Individualisten eine Einheit geformt. Mit dem Kader hätte man jedenfalls aufsteigen können…
Locke: Müssen! Mal ganz ehrlich Jungs: Nach Hertha hatten wir auf dem Papier den besten Kader.