Die Geschichte der finan­zi­ellen Pro­bleme des FC Sachsen Leipzig begann Anfang der neun­ziger Jahre, da war der Verein noch sehr jung. Das Ende der DDR bedeu­tete auch das vor­läu­fige Ende der BSG Chemie Leipzig. Durch eine Fusion mit dem SV Chemie Böhlen ent­stand der FC Sachsen Leipzig. Der war kurz­zeitig recht erfolg­reich: Von 1993 bis 1995 holte man dreimal hin­ter­ein­ander den Sach­sen­pokal. In der Fol­ge­zeit ver­schliss der Verein jedoch zahl­reiche Trainer, und es wurde offenbar, dass man nicht nur den Stolz der Region, son­dern auch finan­zi­elle Nöte geerbt hatte. Zum Ende der Saison 1998/99 sprang der Kinowelt“-Gründer Michael Kölmel, der auch Inhaber des Leip­ziger Zen­tral­sta­dions ist, mit seinem Zah­lungs­mo­dell ein. Nicht gerade erfolg­reich, wie viele kri­ti­sierten. In den fol­genden Jahren ver­siegte aber auch diese Quelle, da Kölmel mit seiner Firma selbst in finan­zi­elle Schwie­rig­keiten geriet. 2006/2007 ver­han­delte der FC Sachsen mit dem öster­rei­chi­schen Ener­gy­drink-Her­steller Red Bull, die Idee: finan­zi­elle Sanie­rung und Umbe­nen­nung in Red Bull Leipzig. Dagegen spra­chen aber zwei Dinge: das DFB-Statut, das Spon­soren im Ver­eins­namen ver­bietet, und die Fans, die eine zu starke Kom­mer­zia­li­sie­rung fürch­teten. Der Ein­stieg schei­terte. Auf der Ver­eins-Home­page hieß es damals, der Schritt sei in wirt­schaft­li­cher Hin­sicht bedau­er­lich, ver­schafft dem Verein ande­rer­seits jedoch Pla­nungs­si­cher­heit für die kom­mende Saison“. Das klingt aus heu­tiger Sicht reich­lich naiv, schließ­lich agierte der Klub in der Folge immer plan­loser. Am 26. Februar 2009 stellte das Leip­ziger Finanzamt einen Insol­venz­an­trag gegen den FC Sachsen Leipzig, am 4. März mel­dete der Verein selbst Insol­venz an. Im April 2009 wurde Uwe See­mann der letzte Vor­stand des Ver­eins.

Uwe See­mann, Ihr Verein löste sich ver­gan­genen Don­nerstag auf. Wie haben Sie den 30. Juni erlebt?

Uwe See­mann: An dem Tag war ja schon alles erle­digt. Wir haben die Ent­schei­dung bereits im April 2009 getroffen. Schwierig waren die letzten zwei Spiele, vor allem das Heim­spiel gegen Bautzen und das Aus­wärts­spiel in Hal­ber­stadt. Das waren die emo­tio­nalsten Tage. Es war bitter. 

Inwie­fern emo­tional? Waren mehr Fans da als sonst?

Uwe See­mann: Beim FC Sachsen muss man, was die Anzahl der Fans betrifft, zwi­schen zwei Spielen unter­scheiden: die nor­malen Spiele und die Derbys. Wir hatten bei den Derbys gegen RB Leipzig oder Loko­mo­tive Leipzig immer zwi­schen 12.000 und 15.000 Zuschauer, bei nor­malen Spielen haben wir zwi­schen tau­send und zwei­tau­send Zuschauer. Und zum letzten Aus­wärts­spiel sind ein­tau­send FC Sachsen-Fans nach Hal­ber­stadt mit­ge­pil­gert. Das war schon unge­wöhn­lich, weit über dem sons­tigen Schnitt. 

Den Insol­venz­an­trag gab es schon im Februar 2009. Was haben Sie seitdem gemacht?

Uwe See­mann: Der Klub wurde die letzten zwei Jahre nach der Insol­venz durch den neuen Vor­stand künst­lich am Leben gehalten. Der FC Sachsen war damals schon pleite, wir haben ver­sucht den Verein in ruhiges Fahr­wasser zu bringen. Das haben wir auch geschafft: In den zwei Jahren haben wir keinen Euro Schulden gemacht, alle Rech­nungen begli­chen, allen Spie­lern Gehälter gezahlt. Wir wurden aber ent­täuscht von ein paar Spon­soren, die in den ver­gan­genen zwei Jahren ihre Zusagen in fünf- und sechs­stel­ligen Höhen nicht ein­ge­halten haben. Wir wollten nicht die­selben Fehler machen wie unsere Vor­gänger: mit einer Unter­de­cke­lung in die neue Saison gehen und hor­rende Spie­ler­ge­hälter nur auf Pump zahlen. 

Hatten Sie zu der Zeit auch noch Kon­takt zu dem Investor Michael Kölmel, der den Verein schon 1998 gerettet hatte?

Uwe See­mann: Mit Michael Kölmel waren wir ständig in Kon­takt. Der FC Sachsen ist in den Sicher­heits­spielen, wie gegen RB oder gegen Lok Leipzig, immer in sein Sta­dion aus­ge­wi­chen.

Finden Sie es schade, dass er sich gegen den FC Sachsen ent­schieden hat?

Uwe See­mann: Er hat vor zwei, drei Jahren beschlossen sich zurück­zu­ziehen. Dadurch, dass sich RB in Leipzig in seinem Sta­dion ein­ge­mietet hat, hat er keine Mög­lich­keit mehr gesehen, noch einmal bei uns ein­zu­steigen – was ich auch ver­stehen kann, wenn ich es auch gehofft habe. Er hat jah­re­lang bei uns mit­ge­ar­beitet, war Sponsor des Ver­eins. Er hat sicher­lich auch ein biss­chen Mit­schuld auf­grund dieser wahn­sin­nigen Gehälter, die damals an die Spieler gezahlt wurden. 

Was wurde denn kon­kret falsch gemacht?

Uwe See­mann: Fakt ist, dass in den Jahren zuvor ein­fach zu viel Geld aus­ge­geben wurde. Dass in der Ober- und Regio­nal­liga Gehälter zwi­schen acht- und zwölf­tau­send Euro gezahlt wurden, war maßlos. Der FC Sachsen war in den letzten Jahren finan­ziell zu ver­wöhnt.

Zwi­schen­durch schien der Verein sich doch – zumin­dest sport­lich – reha­bi­li­tiert zu haben: Es wurden Auf­stiege gefeiert und Pokale gewonnen. Wieso brachte das keine Ruhe?

Uwe See­mann: Der Verein hat über seinen Ver­hält­nissen gelebt. Ich denke, dass in der Zeit sehr viel Geld vor­handen war, aber es waren auch Leute da, die mit dem Geld nicht umgehen konnten. Das ist das Pro­blem. Die Ver­ant­wort­li­chen haben den Leip­ziger Fuß­ball ein­fach zu schnell in der dritten, in der zweiten oder sogar in der ersten Liga gesehen. Man hat ein­fach keine Geduld gehabt. 

Hätte sich Geduld denn aus­ge­zahlt?

Uwe See­mann: Wir haben ein super Nach­wuchs­zen­trum, mit einer A- und B‑Jugend in der Bun­des­liga. Aber wenn man sich das heute anguckt: Kaum einer der dama­ligen Jugend-Bun­des­li­ga­spieler hat es beim FC Sachsen in die erste Mann­schaft geschafft. Die spielen heute alle höher­klassig, ob in Mag­de­burg, in Chem­nitz oder bei RB Leipzig. Man hat diese Talente ein­fach zu schnell preis­ge­geben und im Gegenzug alte Spieler, die fuß­bal­le­risch schon tot waren, monat­lich mit 15.000 Euro gefüt­tert. Das war krank. Es war der fal­sche Weg, man hätte auf die jungen Spieler bauen müssen. 

Ärgern Sie sich heute, dass 2007 das Enga­ge­ment mit Red Bull nicht zustande kam?

Uwe See­mann: Ich war damals noch nicht beim FC Sachsen, ich war nur Sponsor und habe mich da raus­ge­halten. Die Gründe für das Schei­tern lagen damals ja auch bei der Namens­ge­bung und bei der Stadt. Jetzt hat Red Bull den zweiten Ver­such in Leipzig gestartet und ich denke, diesmal wurden sie mit offe­neren Armen emp­fangen. 

Das Red Bull-Team ist zur­zeit ziem­lich erfolg­reich: Die Mann­schaft schaffte direkt den Auf­stieg aus der Ober­liga und ver­passte in der abge­lau­fenen Saison in der Regio­nal­liga Nord nur knapp den erneuten Auf­stieg.

Uwe See­mann: Es war klar, dass die in der Ober­liga als klarer Auf­steiger fest­standen. Aber sie haben bestimmt nicht erwartet, dass sie in der Regio­nal­liga jetzt noch mal eine Ehren­runde drehen müssen. Aber für mich fest steht, dass das Pro­jekt nicht auf­zu­halten ist. 

Sehen Sie das Pro­jekt mit Neid, freuen Sie sich über die Ehren­runde von RB Leipzig?

Uwe See­mann: Wir arbeiten mit RB gut zusammen. Wir haben sogar eine gemein­same Nach­wuchs­ko­ope­ra­tion. 

Geht der FC Sachsen im RB Leipzig auf?

Uwe See­mann: Nein, wir haben ledig­lich fünf Spieler unserer ersten Mann­schaft an die zweite von RB Leipzig über­führt. Man muss sehen, wie sich das ent­wi­ckelt, viel­leicht können die auch mal in der ersten Mann­schaft zum Ein­satz kommen. Im Moment sind zwei ehe­ma­lige FC Sachsen-Spieler in der ersten Mann­schaft von RB Leipzig: Paul Schinke und Maxi­mi­lian Watzka. Dem deut­schen Fuß­ball geht mit dem Abschied des FC Sachsen Leipzig eines der hass­erfüll­testen Stadt­derbys ver­loren: das Spiel gegen Loko­mo­tive Leipzig.

Uwe See­mann: Das ist wirk­lich absolut schade. Nachdem wir auf der Pres­se­kon­fe­renz letzte Woche das Ende des FC Sachsen bekannt­ge­geben haben, habe ich sehr viele E‑Mails von Lok Leipzig-Fans erhalten, die es wirk­lich schade finden, dass der FC Sachsen sich auf­löst. Die schrieben: Was wird aus Lok Leipzig ohne das Derby gegen euch? Worauf sollen wir uns noch freuen? In der Fan-Bezie­hung war da in den letzten Jahren ohnehin eine Ent­span­nung zu beob­achten. Sicher­lich auch des­wegen, weil die Ultra-Fans ein neues Feind­bild ent­wi­ckelt haben. 

Sie meinen RB?

Uwe See­mann: Genau so ist es. 

Laut Schät­zungen des säch­si­schen Innen­mi­nis­te­riums von 2010 hat der FC Sachsen Leipzig 60 gewalt­ge­neigte“ und 30 gewalt­su­chende Fans“. Wie werden die in Zukunft ihre Wut kana­li­sieren?

Uwe See­mann: In den letzten zwei Jahren haben wir viele Gespräche mit ultra­rechten Grup­pie­rungen geführt, zum Bei­spiel den soge­nannten Meta­stasen. Nur zwei- oder dreimal mussten wir dabei Sta­di­on­ver­bote ver­hängen. Aber wirk­liche Pro­bleme haben wir in den letzten zwei Jahren nicht gehabt. Viel­leicht gab es beim letzten Spiel gegen Bautzen ein paar gewalt­tä­tige Aus­schrei­tungen. Aber ich würde sogar sagen, dass es nicht mal mehr 60 gewalt­be­reite Fans sind. Gefühlt sind es weniger. Einige dieser Grup­pie­rungen betei­ligen sich sogar an der Spiel­tags­or­ga­ni­sa­tion. 

Was pas­siert jetzt mit den FC Sachsen-Jugend­mann­schaften?

Uwe See­mann: Die A- bis D‑Jugendspieler wurden nach Insol­venz­be­kannt­gabe an RB ver­kauft, um die Talente auf­zu­fangen. Um den höher spie­lenden Jugend­mann­schaften eine Basis und eine Zukunft zu geben. 

Und die Spieler der ersten Mann­schaft?

Uwe See­mann: Einige Spieler werden zur BSG Chemie Leipzig wech­seln, aus dem der FC Sachsen ja einst ent­standen ist. 2006 gab es eine Grup­pie­rung, die sich die Namens­rechte an BSG Chemie Leipzig gesi­chert hat und mit dem Verein in der 13. oder 14 Liga wieder begonnen hat. Mitt­ler­weile sind die in die Stadt­liga auf­ge­stiegen. Durch eine Fusion mit Blau-Weiß-Leipzig wird die BSG Chemie bei uns in der Lan­des­liga Sachsen spielen. Damit haben sie den größten Teil unserer Spieler auf­ge­fangen. 

Und was werden Sie machen?

Uwe See­mann: Ich werde zunächst die BSG Chemie unter­stützen, ein biss­chen Start­hilfe geben, mich um den Spon­so­ren­be­reich küm­mern, so dass es in Leipzig auf jeden Fall wei­terhin grün-weißen Fuß­ball unter dem Namen BSG Chemie geben wird. 
Sie wirken so nüch­tern. Hängt nicht ihr Herz am auf­ge­lösten FC Sachsen Leipzig?

Uwe See­mann: Ganz klar! Sonst hätten wir 2009 den Schritt nicht gemacht und den Insol­venz­verein über­nehmen. Wir waren damals voller Euphorie und voller Hoff­nung. Das tut einem in der Seele weh, da blutet einem das Herz! Aber die BSG Chemie Leipzig hat heute schon zwi­schen 600 bis 800 Zuschauer – und das in der Stadt­liga. Das ist ein rie­siges Poten­zial! Tra­di­ti­ons­mäßig könnte also die BSG Chemie Leipzig der Nach­folger des FC Sachsen werden. Sowohl fuß­bal­le­risch als auch ideell.