Fabian Beyer, Jahr­gang 1981, grün­dete vor 13 Jahren mit Schul­freunden die Meenzer Metzger 99“. Das Logo schmückt ein Schwein. Die Gruppe wollte damit das Mar­tia­li­sche der Ultra­kultur („Com­mando“, Inferno“ und Bri­gade“) iro­ni­sieren.

Einst rief Philipp Mark­hardt, Jahr­gang 1980, den Fan­be­auf­tragten des HSV an, weil er Ideen für Banner hatte. So kam er in die Cho­reo­gruppe des Sup­porters Club. Später grün­dete er mit Freunden die Ultra­gruppe Chosen Few“ und ist heute füh­rendes Mit­glied.

Chris­tian Hirsch, Jahr­gang 1979, war Anfang der Neun­ziger erst­mals auf dem Bet­zen­berg und wurde später Mit­glied bei der Gene­ra­tion Luzifer“. Heute ist er füh­rendes Mit­glied bei der Ber­liner Bagaasch“ und Mit­ar­beiter beim Online-Fan­zine Der Betze brennt“.

Wie wurde der Bus­an­griff von Kölner Ultras auf Glad­ba­cher Anhänger dis­ku­tiert?

Mark­hardt: Da brau­chen wir nicht zu dis­ku­tieren, das ist ein abso­lutes No-Go.
Beyer: Das ist eine kri­mi­nelle Hand­lung und hat nichts mit Fuß­ball zu tun. Wie kann man einen Stein in einen Bus werfen?
Mark­hardt: Was keiner weiß: Die beschul­digten Per­sonen sind frei­willig aus der Gruppe aus­ge­stiegen. Man darf da nicht eine ganze Grup­pie­rung in Sip­pen­haft nehmen. Von der war näm­lich nichts geplant.

Warum distan­zieren sich Ultras nicht klar von Gewalt?
Mark­hardt: Weil Gewalt ein Teil von Ultra ist. Das ist nicht weg­zu­dis­ku­tieren. Es ist nicht das pri­märe Ziel, aber es gehört ein­fach dazu. Weil aber auch Gewalt immer zum Fuß­ball gehörte. Wer etwas anderes behauptet, ist welt­fremd oder er lügt.

In den Stel­lung­nahmen der Ultras zu Vor­fällen mit Gewalt ver­missen Polizei und Ver­bände die Selbst­kritik.
Mark­hardt: Das beruht wohl auf Gegen­sei­tig­keit. Und die Kritik an den Mit­glie­dern meiner Gruppe äußere ich intern, nicht über Stel­lung­nahmen.
Beyer: Die Polizei hat auch ihren Korps­geist. Da werden ebenso Dinge beschö­nigt, die eigent­lich nicht zu beschö­nigen sind.
Hirsch: Soll man die eigenen Leute an den Pranger stellen? Intern wird schon heftig dis­ku­tiert, aber man muss auch den Leuten eine zweite Chance zuge­stehen. Was der DFB mit seinen Sta­di­on­ver­boten eben nicht tut.
Beyer: Genau, Sta­di­on­ver­bote auf Bewäh­rung würden fruchten, davon bin ich über­zeugt. Selbst der Papst hat bestimmt schon einmal Scheiße gebaut. Und zwei­tens: Wenn sich einer aus der Gruppe einen Fehl­tritt leistet, hat die Gruppe doch nichts damit zu tun. Wir spre­chen hier von losen Gruppen, von Inter­es­sen­ge­mein­schaften, nicht von Par­teien.

Ist es nicht ein Teil von Ultra, sich als geschlos­sene Gruppe zu prä­sen­tieren?
Beyer: Wir sind uns aber doch nicht in jeder Lebens­lage gegen­seitig ver­pflichtet. Wenn einer meiner Jungs in 500 Kilo­me­tern Ent­fer­nung Mist baut, trage ich daran doch keine Schuld. Davon mal abge­sehen: Selbst­re­gu­lie­rung pas­siert auch in einem viel grö­ßerem Maße, als es die öffent­liche Mei­nung erahnen kann. Auf jeder ver­dammten Aus­wärts­fahrt gehen ältere Ultras auf die Jün­geren zu, die über die Stränge schlagen. Leute, die in Züge pin­keln oder sonst was. Da gehen wir hin und sagen: So nicht.“

Was haltet ihr von den Platz­stürmen in Karls­ruhe oder Frank­furt als direkte Reak­tion auf den Abstieg?
Mark­hardt: Oliver Kreuzer vom KSC hat sinn­gemäß gesagt, dass er das nicht gut­heißen kann, aber dass man auch bedenken soll, was für einen Dreck die Fans in den Wochen davor ertragen mussten. Das fand ich sym­pa­thisch. Irgend­wann setzt das Hirn in sol­chen Phasen wohl nun mal auch aus.
Hirsch: Fuß­ball­fans sind nun einmal Teil des Spiels. Du willst mit deinen Jungs feiern, ihnen aber auch die Mei­nung sagen, wenn es scheiße läuft. Das gehört zur Emo­tio­na­lität des Sports. Und der wird nun einmal auf dem Rasen gespielt.
Mark­hardt: Für mich würde eine Welt unter­gehen, wenn mein Verein absteigt. Ich würde mir hin­terher nichts vor­werfen, wenn ich den Platz gestürmt hätte.

Recht­fer­tigt ein Abstieg wirk­lich einen Platz­sturm?
Beyer: Es ist nicht die Frage, ob es das recht­fer­tigt! Wie kana­li­siert man das sonst? Will man, dass die Leute raus gehen und dem Erst­besten auf die Fresse hauen? Ich will lieber, dass die Leute fried­lich den Platz stürmen und somit ihre Emo­tionen raus­lassen. Aber in Düs­sel­dorf, Frank­furt, Berlin – was wäre denn dort pas­siert, wenn die Polizei nicht da gewesen wäre?

Ja, was wäre denn pas­siert?
Beyer: Keinem ein­zigen Spieler wäre auch nur ein Haar gekrümmt worden. Man hätte die Spieler zur Rede gestellt. Mehr auch nicht. Nicht mal ein Dumm­brot-Möch­te­gern-Hool hätte einen Spieler umge­boxt. Das ist medial auf­ge­bauschter Quatsch.
Mark­hardt: Da wird immer das Ende des Abend­landes beschrien.

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Ver­gan­gene Saison suchten Kölner Fans einen Spieler in dessen Woh­nung auf.
Mark­hardt: Ein Zei­chen von Ohn­macht. Du stehst die kom­plette Saison in der Kurve und schreist dein Team Spiel für Spiel nach vorne – doch sie kapieren ein­fach nicht, dass dir der Klub alles bedeutet. Irgend­wann bricht die ange­staute Wut sich Bahn.
Beyer: Da gibt es den drin­genden Wunsch, die Spieler zur Rede zu stellen.
Mark­hardt: Ich habe auch schon die Tar­tan­bahn gestürmt, in Dnje­pro­pe­trowsk 2003. Wir waren über 40 Stunden mit der Bahn ange­reist und dann verlor die Mann­schaft dort 0:3. Ein grau­en­haftes Spiel. Alle Fans sind danach in den Innen­raum. Dort haben wir Bernd Hoff­mann und Chris­tian Rahn zur Rede gestellt. Nie­mand wurde ver­letzt, wir haben ein­fach Tacheles geredet.

Nehmen Fuß­ball­profis in einer sol­chen Situa­tion diese Kritik auf?
Mark­hardt: Natür­lich nicht. Es geht darum, seinem Ärger Luft zu machen.

Was habt ihr Chris­tian Rahn gesagt?
Mark­hardt: Wir haben von unserer Anreise erzählt, davon, dass einige Fans drei Tage unter­wegs waren, um dieses Spiel zu sehen. Er ant­wor­tete: Wir hatten doch auch eine beschwer­liche Anreise.“
Beyer: Die raffen nicht, was man auf sich nimmt. Wir sind in der ver­gan­genen Saison etwa zum Pokal­spiel nach Kiel mit­ge­fahren, hatten alles selbst orga­ni­siert. Doch du merkst an den Reak­tionen der Spieler, dass die das nicht mal wissen.
Mark­hardt: Viel hängt von der Kom­mu­ni­ka­tion zwi­schen den Spie­lern und den Fans ab. Die pas­siert auch fernab der offi­zi­ellen Ver­eins­seite.

Könnt ihr mal ein Bei­spiel nennen?
Mark­hardt: Es gab in der ver­gan­genen Saison gute Gespräche mit Dennis Aogo, Heiko Wes­ter­mann oder Jaroslav Drobny. Aogo schaut gele­gent­lich im Fan­pro­jekt vorbei. Drobny schrieb nach der 0:4‑Pleite gegen den VfB Stutt­gart in der ver­gan­genen Saison eine SMS an unseren Vor­sänger Jojo Liebnau. Er ent­schul­digte sich für die schlechte Leis­tung. Er wisse, was es bedeute, für den HSV zu spielen. So was macht in der Nord­tri­büne natür­lich die Runde. Fortan standen die Fans trotz der miesen Saison hinter der Mann­schaft. Wir spürten eine Art Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl.
Beyer: Der Aus­tausch ist wichtig. Ich kom­mu­ni­ziere regel­mäßig mit Ex-Spie­lern oder aktu­ellen Profis. Mit dem Team­ma­nager schicke ich einmal pro Woche SMS hin und her.
 
Was erwartet ihr von der kom­menden Saison? Werden sich die Fronten ver­härten?
Beyer: Ich hoffe, dass es eine Ent­wick­lung zum Dialog auf Augen­höhe gibt. Ich hoffe, dass die Funk­tio­näre ver­stehen, dass die Fans das höchste Gut des deut­schen Fuß­balls sind. Viele andere Ligen beneiden uns um unsere vollen und krea­tiven Kurven. Nimmt man den Leuten jedoch immer mehr Räume, dann führt das zu einer Ver­här­tung der Fronten. Fuß­ball ist zwar immer auch ein Pro­dukt gewesen, aber man darf die Ver­mark­tungs­spi­rale nicht über­drehen.
Hirsch: Bei Maß­nahmen wie per­so­na­li­sierten Tickets oder Per­so­na­li­en­ab­gaben für Fanu­ten­si­lien werden sich die Fronten mit Sicher­heit nicht auf­wei­chen. Ich wün­sche mir, dass die Ver­eine sich für ihre Fans stark machen und sagen: So nicht. Unsere Fans, die Tag und Nacht für uns da sind, ver­dienen Bes­seres. Repres­sion ist keine Lösung.“ Aber auch die Fans sollten sich nicht spalten lassen, spe­ziell die Ultras. Ich hoffe, dass die Gruppen sich weiter soli­da­ri­sieren wie auf der Fan­demo 2010 und dem Fan­kon­gress 2012 in Berlin. Nur so kann man die Steh­plätze ver­tei­digen und eine bunte Fan­kultur erhalten.