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Jeder kennt Fuß­ball-Welt­rei­sende wie Rudi Guten­dorf, Otto Pfister oder Dettmar Cramer. Doch wer sind eigent­lich Jochen Figge, Horst Kriete oder Burk­hard Pape? Wie haben sie den Fuß­ball in Afrika oder Asien geprägt und ver­än­dert? Holger Ober­mann, eben­falls Trainer auf Welt­reisen (über 50 Sta­tionen, u.a. Afgha­ni­stan und Ost­timor), kennt diese und zahl­reiche andere Fuß­ball-Ent­wick­lungs­helfer. Zuletzt schrieb er über seine Erfah­rungen und Aben­teuer eine Kolumne auf 11freunde​.de. Und er fragte: Warum macht ihr nicht mal was über all diese ver­ges­senen Trainer?“ Ja, warum eigent­lich nicht? Wir star­teten gemeinsam mit Holger Ober­mann die 11FREUNDE-Serie Trainer-Glo­be­trotter“.

Nachdem Eck­hard Krautzun ver­gan­gene Woche den Anfang machte, unter­hielten wir uns nun mit Jochen Figge, der als Trainer und tech­ni­scher Berater der FIFA auf fünf ver­schie­denen Kon­ti­nenten aktiv war. Ursprüng­lich stu­dierte Figge Sport in Kiel und an der Sport­schule Malente. Wäh­rend seines Stu­dium wurde er von Hans Merkle geför­dert und trai­nierte zunächst Schleswig-Hol­steins U18. Seine A‑Lizenz machte er 1976 zusammen mit Jupp Heyn­ckes und Klaus Sieloff. Als Figge 1978 seine Aus­bil­dung zum Fuß­ball­lehrer absol­vierte, lernte er seinen lang­jäh­rigen Freunde Otto Pfister kennen, der ihn später beim DFB für Aus­lands­auf­gaben emp­fahl.



Jochen Figge, sind Sie nei­disch auf Rudi Guten­dorf oder Otto Pfister?

Jochen Figge: Nein, warum sollte ich?

Wenn es in den Medien um Fuß­ball­ent­wick­lungs­helfer geht, werden die Namen Guten­dorf und Pfister stets als erste genannt. Sie, Herr Figge, sind trotz Ihrer Ver­dienste kaum bekannt.

Jochen Figge: Zum einen ist es mir nicht wichtig, häufig in den Medien auf­zu­tau­chen. In Deutsch­land genieße ich es viel­mehr, mit Freunden uner­kannt am Stamm­tisch zu sitzen und ein Bier­chen zu löf­feln. Dafür ist die mediale Auf­merk­sam­keit in den jewei­ligen Län­dern umso höher. Ein Bot­schafter in Guinea sagte einmal zu mir: Ich habe gerade 30 alte Bun­des­wehr-LKWs ver­schenkt und bekomme dafür nur einen sechs­zei­lige Mel­dung in der Zei­tung. Doch Sie stehen jeden Tag drin.“ Ich ant­wor­tete: Tja, 420 Gramm Schweins­leder (Gewicht des Balls, d. Red.) und die Hütte ist mit 60.000 Men­schen voll. Da können Sie so viele LKWs über­geben, wie Sie wollen.“

60.000 Zuschauer bei einem Spiel in Afrika?

Jochen Figge: Wir hatten manchmal bis zu 10.000 Fans beim Trai­ning. Fuß­ball ist in Afrika Reli­gion. Und nicht nur dort: Als ich kürz­lich in der Mon­golei war, konnten mir einige Fans alle Spieler der deut­schen Natio­nal­mann­schaft auf­sagen.

Sie waren in Ent­wick­lungs­län­dern wie Guinea, Sambia, Eri­trea, Nepal und Papua-Neu­guinea im Ein­satz. Kann der Fuß­ball gerade unter schwie­rigen Ver­hält­nissen eine inte­gra­tive Kraft ent­wi­ckeln?

Jochen Figge: Mehr als das. Man kann sich kaum vor­stellen, was für Men­schen­massen in Afrika von Fuß­ball­spielen ange­zogen werden. Bei einem Abend­spiel kann es vor­kommen, dass in bestimmten Stadt­teilen der Strom abge­schaltet wird, damit genug Power für das Flut­licht zur Ver­fü­gung steht.

Ihren ersten Ein­satz als Fuß­ball­ex­perte im Aus­land hatten Sie Anfang der acht­ziger Jahre in Guinea. Was reizte Sie an einem Trai­nerjob im Aus­land?

Jochen Figge: Die Her­aus­for­de­rung. 1980 rief der DFB und fragte: Kannst Du Fran­zö­sisch?“ Ich ant­wor­tete Klar!“, obwohl ich höchs­tens Rien ne va plus“ aus dem Casino kannte. Ich machte also einen Crash-Kurs und ging 1981 nach Guinea. Dort gab es eine ein­zige Mann­schaft, Jugend­ar­beit exis­tierte nicht. Diese baute ich dann über die Jahre auf. Heute, 30 Jahre später, kann man eine posi­tive Ent­wick­lung erkennen.

Reden wir über die schwie­rigen Rah­men­be­din­gungen in den Ent­wick­lungs­län­dern. Wo hatten Sie Ihre größte Her­aus­for­de­rung zu meis­tern?

Jochen Figge: Da gibt es einige. In Guinea musste ich mich zunächst bemühen, dass über­haupt ein Sta­di­on­rasen gemäht wird. Dumm nur, dass der ein­zige Rasen­mäher der Stadt im Besitz der Frau vom Prä­si­denten Sékou Touré war. Diesen sollten wir uns aus­leihen. Doch sie wollte den nicht her­geben. Ich bin also vor dem ersten Spiel schnell nach Hause gefahren, um meinen Hand­mäher zu holen und stutzte in der prallen Sonne selbst den Rasen im Straf­raum – vor 20.000 Zuschauern.


Wel­ches war Ihr schwerstes Spiel als Natio­nal­trainer?

Jochen Figge: 1981 war ich mit Guinea bei einem WM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel in Nigeria. Wir kamen auf dem Flug­hafen in Lagos an und wurden erst einmal neun Stunden im Flug­hafen ein­ge­sperrt – reine Schi­kane. Und so ging es weiter: Wir kamen erst um zwei Uhr nachts im Hotel an und die Zimmer waren nicht fertig, sodass wir am nächsten Tag total über­müdet waren. Tags darauf wollte ich mir das Sta­dion angu­cken, was mir ver­wei­gert wurde. Statt­dessen teilte man mir mit, dass das Spiel nicht am kom­menden Sonntag statt­findet, son­dern jetzt gleich. Drei Stunden später mussten wir total über­müdet in einem Sta­dion vor 80.000 Fans antreten.

Wie ver­lief dar­aufhin das Spiel?

Jochen Figge: Wie viele Fuß­baller habe ich eine Marotte: Ich betrete immer erst nach den Spie­lern den Platz. Als wir durch die Kata­komben zum Spiel­feld wollten, mussten wir ein großes Eisen­gitter pas­sieren. Meine Spieler waren vor­ge­gangen und auf einmal stand dort ein Zwei-Meter-Mann und zählt, „…18, 19, 20“. Er schließt das Tor vor mir und meinen Betreuern zu und bellt: Nur 20!“ Ich sagte zu ihm: Du weißt, dass ich der Trainer bin, oder?!“ Er ant­wor­tete: Natür­lich weiß ich das.“ Dann ging er weg.

Sie mussten das Spiel hinter einem Eisen­gitter ver­folgen?

Jochen Figge: Schließ­lich wurde ich doch auf den Platz gelassen. Das Spiel lief aller­dings schon fünf Minuten. Der Anpfiff wurde um ein paar Minuten ver­schoben, weil sich meine Spieler beschwert hatten. Sie waren mit Geckos beworfen worden.

Es wurde mit Geckos geworfen?

Jochen Figge: Ja, was meinen Sie, was da los ist?! Das ist Voodoo. Da werden Geckos genommen, in Taschen­tü­cher gewi­ckelt, mit Benzin über­schüttet und ange­zündet. Die lan­deten dann rei­hen­weise vor unseren Füßen. Dazu stehen unge­fähr 10.000 Fans mit Trom­meln hinter einem, sodass man sein eigenes Wort nicht mehr ver­steht. Vor unserer Bank tanzten zudem Zau­berer mit Federn. Als diese mir die Sicht auf einen Eck­stoß ver­sperrten, habe ich die Nerven ver­loren und einen der Voodoo-Tänzer in den Graben hinter unserer Bank geworfen.

Wie ist das Spiel aus­ge­gangen?

Jochen Figge: Es ist unmög­lich ein sol­ches Spiel zu gewinnen. Wir ver­loren mit 1:2. Aber Spiele wie diese machen Afrika aus. Das hat Flair.

Berti Vogts, im Jahr 2007 Chef­coach Nige­rias, sagte einmal: Afri­ka­ni­schen Mann­schaften man­gelt es an Dis­zi­plin.“ Und Win­fried Schäfer, lange Jahre Trainer in Kamerun, sagte über seine Mann­schaft: Es fehlen die typi­schen deut­schen Tugenden.“ Trifft das Chaos-Kli­schee zu?

Jochen Figge: Manchmal habe ich mich danach gesehnt, mal einen Kreis­liga-Verein in Deutsch­land zu besu­chen, in dem der Platz­wart den Kabi­nen­schlüssel hat und der Letzte das Licht aus­macht. Es gibt zu viel Kor­rup­tion in Afrika und im Ama­teur­be­reich zu wenig ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment. Die FIFA spricht ledig­lich in acht von 52 Län­dern Afrikas von Pro­fi­fuß­ball.

Von deut­schen Trai­nern wird also vor­nehm­lich erwartet, dass Sie Dis­zi­plin mit­bringen?

Jochen Figge: Durchaus. Für mich sind Pünkt­lich­keit, Dis­zi­plin, Anstand und Sitte wich­tige Bestand­teile des Fuß­balls. Der Spruch Foot­ball is four and one“ ver­deut­licht dies: Für den Fuß­ball braucht man die Schieds­richter, die Admi­nis­tra­toren, die Trainer und die Medi­ziner. Wenn einer nicht da ist, dann kann nicht gespielt werden.

Ihr Freund und Kol­lege Otto Pfister sagte aller­dings: Zu viel for­melle Dis­zi­plin tötet die Stärken der Spieler.“

Jochen Figge: Natür­lich kann man nicht alles durch­setzen und aus Nigeria Deutsch­land machen. Aber Dis­zi­plin ist der Schlüssel zu Erfolgen. Im Aus­land heißt es: Ein Spiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnt immer Deutsch­land“. Diese Weis­heit bezieht seinen Wahr­heits­ge­halt aus der Dis­zi­plin und Orga­ni­sa­tion der deut­schen Natio­nal­mann­schaft. Ein gewisses Maß an Dis­zi­plin ist Grund­vor­aus­set­zung für wirk­liche Erfolge.


In Äthio­pien und Namibia hatten Sie Sche­re­reien mit den Ver­bänden. Gegen Sie wurde der schwere Vor­wurf der Urkun­den­fäl­schung erhoben. Was steckte dahinter?

Jochen Figge: Ich bin einmal in meinem Leben ent­lassen worden und das war in Äthio­pien – eine sehr unan­ge­nehme Ange­le­gen­heit. Der Prä­si­dent des Fuß­ball­ver­bands wollte mich unbe­dingt los­werden, nachdem er erfolglos ver­sucht hatte, Ein­fluss auf meine Auf­stel­lung zu nehmen. Er behaup­tete dar­aufhin, dass mein Lebens­lauf gefälscht sei und ich keine rich­tige Fuß­ball­li­zenz besäße, obwohl sie von der Deut­schen Bot­schaft beglau­bigt war und ich FIFA-Reprä­sen­tant bin. Ich wurde ent­lassen.

Haben Sie dar­aufhin geklagt?

Jochen Figge: Ja, die FIFA hat mir Recht gegeben und der äthio­pi­sche Ver­band wurde zu Kom­pen­sa­ti­ons­zah­lungen ver­ur­teilt. Die Denun­zia­tion durch den äthio­pi­schen Ver­band wurde den­noch nicht zurück­ge­nommen und in einer nami­bi­schen Zei­tung später neu auf­ge­rollt und wider bes­seren Wis­sens auf­grund von schlechter Recherche ver­öf­fent­licht. Dass nie­mals damit auf­ge­räumt wurde, tut mir heute noch weh.

Eine der emo­tio­nalsten Sta­tionen Ihrer Trai­ner­kar­riere war sicher­lich Sambia. Nach vier­ein­halb­jäh­riger Arbeit als Natio­nal­trainer legten Sie Ihr Amt nieder und Ihre ehe­ma­lige Mann­schaft kam kurz danach bei einem tra­gi­schen Flug­zeug­ab­sturz ums Leben.

Jochen Figge: Kurz vor dem Unglück hatten wir im hei­mi­schen Sta­dion ein WM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel gegen Mau­ri­tius gespielt und gewannen mit 2:1. Kalusha Bwalya, der jet­zige Prä­si­dent des Fuß­ball­ver­bands, machte das Siegtor. Mau­ri­tius ver­pflich­tete vor dem Rück­spiel Rudi Guten­dorf. Ich wäre gerne mit meiner Mann­schaft zum Rück­spiel gegen ihn auf Mau­ri­tius ange­treten.

Wieso traten Sie zu dem Spiel in Mau­ri­tius nicht mehr an?

Jochen Figge: Mein Pro­jekt ging in Sambia nach vier­ein­halb Jahren langsam dem Ende ent­gegen. Eigent­lich wollte ich gerne noch wei­ter­ma­chen, denn die Qua­li­fi­ka­tion für die WM 1994 war mög­lich. Aber ich ent­schloss mich aus pri­vaten Gründen das Pro­jekt vor­zeitig an meinen Nach­folger God­frey Chi­talu zu über­geben. Er gewann mit der Mann­schaft 3:0 auf Mau­ri­tius. Sambia stand mit dieser viel­ver­spre­chenden Mann­schaft alle Türen zur WM 1994 in den USA offen. Auf dem Rück­flug pas­sierte die Kata­strophe.

Zu dem Zeit­punkt des soge­nannten Gabon Air Dis­aster“ waren Sie wieder in Deutsch­land. Was ging in Ihnen vor, als Sie davon erfuhren?

Jochen Figge: Ich war gerade mit einem Freund in einer Bar und plötz­lich kamen zwei Poli­zisten in das Lokal und fragten, ob ich Jochen Figge sei. Ich hatte kein Telefon und musste von der Tele­fon­zelle aus das NOK (Natio­nales Olym­pi­sches Komitee, d. Red.) anrufen. Als ich erfuhr, was pas­siert war, wurde mir schlecht. Ich hatte die jungen Spieler, mit denen ich in den ver­gan­genen Jahren trai­niert hatte, vor Augen. Ich bin sofort zurück nach Sambia geflogen.

Wie war die Stim­mung im Land?

Jochen Figge: Der Bot­schafter sagte mir, dass ich im Hotel bleiben sollte, da die Straßen wegen des Unglücks über­füllt waren. Ich bin im Namen des DFB und NOK erst am nächsten Tag zur Beer­di­gung gegangen. Die Spieler wurden direkt vor dem Sta­dion beer­digt. Es kamen 250.000 Men­schen und es war fast unmög­lich, dorthin zu gelangen. Die Stim­mung war sehr bedrü­ckend. In dem Sta­dion wurden über Jahre hinaus keine Spiele mehr aus­ge­tragen.

Der sam­bi­sche Ver­band bat nach dem Unglück den DFB um Auf­bau­hilfe.

Jochen Figge: Der DFB hat zuge­stimmt mich bis zum Ende der WM-Qua­li­fi­ka­tion erneut dort ein­zu­setzen. Aller­dings wollte der sam­bi­sche Ver­band mich nur für wei­tere drei Jahre ver­pflichten. Das Aus­wär­tige Amt stellte sich quer, da ich schon vier­ein­halb Jahre dort gewesen war. Die FIFA bestand aller­dings auf eine Aus­tra­gung der rest­li­chen Spiele. Ich hatte glück­li­cher­weise in den Jahren zuvor ein zweites Team als Olym­pia­mann­schaft auf­ge­baut, das die fol­genden Spiele bestreiten konnte. Trainer wurde zunächst der Eng­länder Ian Por­t­er­field und kurz darauf der Däne Roald Poulsen. Ich selbst war 2009/2010 noch einmal neun Monate in Sambia, aller­dings nur als tech­ni­scher Direktor und Berater.

Herr Figge, was ist eigent­lich das Schönste an Ihrem Job?

Jochen Figge: Ich fühle mich sehr reich. Es war mir ver­gönnt, so viele Kul­turen und Men­schen ken­nen­zu­lernen. Ich bin sehr dankbar, dass ich so viele Erfah­rungen auf allen Kon­ti­nenten sam­meln durfte. Wenn man Hin­du­isten, Bud­dhisten, Mus­lime und andere ken­nen­ge­lernt hat, hat man nicht nur ein bes­seres Ver­ständnis für Men­schen, son­dern auch sehr erfül­lende Ein­blicke in Welten, von denen ich sonst nur hätte träumen können.

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Die Trai­ner­sta­tionen von Jochen Figge
1981 – 83 Guinea
1985 Nepal
1985 – 88 Papua-Neu­guinea
1989 – 93 Sambia
1995 Tri­nidad und Tobago
1999-01 Bots­wana
2002-03 Äthio­pien
2004-05 Eri­trea

Als FIFA-Instruktor (Aus­wahl):
2006 Mosambik
2007 Eri­trea
2008 Uganda
2008 Swa­si­land
2009-10 Sambia

(Außerdem war Jochen Figge in Kurz­ein­sätzen als Berater oder Coach tätig in: Ägypten, Ban­gla­desch, Bar­bados, Ber­muda, Domi­nica, Gabun, Gre­nada, Iran, Jamaika, Jemen, Kir­gi­stan, Kongo, Lesotho, Liberia, den Male­diven, Nord­korea, Oman, Rumä­nien, Sudan, Surinam, Sierra Leone, Sin­gapur, Tadschi­ki­stan, der Ukraine, St. Vin­cent und den Gre­na­dinen, Zen­tral­afrika)