Toni Kroos, wären Sie gern Kapitän der Natio­nal­mann­schaft geworden?
(Lacht) Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich es werde. Ich weiß auch nicht, ob diese Ent­schei­dung wirk­lich so extrem wichtig ist. Es muss einen Kapitän geben, das ist nun mal so. Aber was dann immer daraus gemacht wird … Philipp Lahm hat sich als Kapitän nicht wichtig genommen. Das hat mir gefallen. Bei uns hat jeder, der schon lange dabei ist, ein Mei­nungs­recht. Ich brauche die Binde nicht, um meine Mei­nung zu sagen, nicht auf dem Platz und auch nicht abseits des Platzes.

Für die Öffent­lich­keit ist die Binde sicht­barer Aus­druck dafür, dass jemand wichtig ist …
… ja, für die Öffent­lich­keit …

… und Sie sind in den ver­gan­genen Wochen wich­tiger geworden, vor allem wäh­rend der WM.
Es ist mir nicht wichtig, für die Öffent­lich­keit wichtig zu sein. Das war nie mein Ziel. Ich will für die Mann­schaft wichtig sein und für den Trainer. Das bin ich, und das war ich auch schon, bevor ich wäh­rend der WM für die Öffent­lich­keit wichtig wurde. Da gibt es schon eine klare Rei­hen­folge: Was bringt es, wenn die Öffent­lich­keit mich toll findet, aber der Trainer mich nicht spielen lässt?

Hat sich Ihr Mei­nungs­recht in den ver­gan­genen Wochen erwei­tert?
Natür­lich gibt so eine WM einem noch mal einen Schub. Aber seit meinem Wechsel von Lever­kusen vor vier Jahren war ich Stamm­spieler bei Bayern. Da ist es ganz normal, dass man immer mehr Selbst­ver­trauen bekommt, dass man vom Stan­ding immer mehr zulegt. Ich hätte nicht erst die WM gebraucht, um meine Mei­nung mann­schafts­in­tern kundtun zu dürfen oder zu können. Das war vorher schon so.

Es kann ja nicht schaden, wenn das auch die breite Masse zur Kenntnis nimmt.
Ich glaube schon, dass es bei vielen vor allem wäh­rend der WM, aber auch schon davor einen Mei­nungs­um­schwung gegeben hat, nach dem Motto: Oh, der kann das ja doch, der ist ja doch in den wich­tigen Spielen da. Ich wusste, dass es so ist. Die Mann­schaft wusste, dass es so ist. Der Trainer wusste, dass es so ist. Und jetzt ist es wohl auch draußen so ange­kommen. Das ist ein schöner Neben­ef­fekt, und ich regis­triere es auch.

Genießen Sie es auch ein biss­chen?
In erster Linie regis­triere ich das. Natür­lich ist es immer ange­nehmer, wenn man positiv gesehen wird. Aber es war auch in der Zeit nicht anders, als manche Leute gesagt haben: Das wird nichts mehr. Egal ob positiv oder negativ: Ich bin kein Mensch, der sich da einen Kopf macht. Weil ich immer um mein Stan­ding wusste und die Mei­nung meiner Trainer kannte. Die ist für mich ent­schei­dend.

Kommt da Ihre Her­kunft aus Meck­len­burg-Vor­pom­mern durch?
Ja, Gott sei Dank (lacht). Ich lasse mir jetzt auch nicht von jedem auf die Schul­tern klopfen, weil es gerade beson­ders gut läuft. Es ist nicht so, dass mir das gleich­gültig ist, aber ich bleibe ruhig. Gedanken würde ich mir erst machen, wenn ich das Gefühl hätte, dass die Mann­schaft mich oder meine Art des Fuß­ball­spie­lens nicht mehr will, oder der Trainer nicht zufrieden ist.

Woran würden Sie das merken?
Dass ich nicht mehr dabei bin, keine Rolle mehr spiele, die Mit­spieler ein schlechtes Gefühl haben, mir den Ball zu geben. Aber das habe ich nicht. Das hatte ich eigent­lich noch nie. Ich war immer im Aus­tausch mit Bun­des­trainer Joa­chim Löw, egal ob ich 2012 bei der EM wenig gespielt habe oder ob ich abso­luter Stamm­spieler war wie jetzt in Bra­si­lien. Das gab mir immer das Gefühl und die Gewiss­heit, dass es gut wird, dass er auf mich baut. Dieses Ver­trauen sei­tens des Trai­ners ist ganz wichtig.

Wenn Ihnen Bilder aus Bra­si­lien in den Kopf kommen, in Tag­träumen, viel­leicht auch in der Nacht – welche sind das?
In erster Linie sind das bei mir die Jubel­bilder, egal nach wel­chem Spiel. Es waren ein­fach einige beson­dere Spiele.

Sind Sie im Traum mal aus­ge­schieden aus der WM?
Nee, nie! Auch vorher nicht. Anschei­nend war ich mir auch im Traum sicher genug, dass wir den Titel gewinnen.

Wel­ches Spiel war das schwerste?
Was heißt das schwerste? Das unan­ge­nehmste war wahr­schein­lich das Alge­rien-Spiel, weil für jeden von vorn­herein klar war: Da können wir eh nicht aus­scheiden. Das war wohl nicht nur die öffent­liche Mei­nung, son­dern so viel­leicht auch in unseren eigenen Köpfen ver­an­kert, im Unter­be­wusst­sein. Das Vier­tel­fi­nale gegen Frank­reich war ein inten­sives Spiel, aber da hatte ich eigent­lich nie das Gefühl, dass wir aus­scheiden können. Gegen Alge­rien war das anders. Und ich will nicht wissen, wie die Öffent­lich­keit reagiert hätte, wenn wir da ver­loren hätten. Dann wären wir erst einmal drei Wochen medial nie­der­ge­macht worden. Das war nicht ganz so weit weg. Wir mussten sehr lange und hart arbeiten, um zu gewinnen. Solche Spiele gibt es, sie gehören dazu, für die Men­ta­lität sind sie ganz wichtig.

Was macht es so schwer, nach der WM wieder in den Rhythmus zu kommen?
Ich fühle mich schon gut im Rhythmus. Mir bleibt auch gar nichts anderes übrig, weil wir alle vier Tage ein Spiel haben mit Real Madrid. Nor­ma­ler­weise hast du vor einer Saison vier, fünf Freund­schafts­spiele, um richtig rein­zu­kommen. Wenn du aber eine Woche nach Trai­nings­be­ginn gleich den euro­päi­schen Supercup gegen den FC Sevilla spielst und es um einen wich­tigen Titel geht – dann ist nichts mit Test­spiel, da geht es sofort von null auf hun­dert.

Und mit der Natio­nal­mann­schaft?
Das ist eine andere Situa­tion, mit einer Saison im Klub kaum ver­gleichbar. Wir hatten jetzt gerade mal ein Test­spiel, die WM in Bra­si­lien war all­ge­gen­wärtig. Bei den Fans, bei uns. Wenn du vor 50 Tagen Welt­meister geworden bist, ist es ein­fach schwer, wieder richtig rein­zu­kommen. Jetzt ist ent­schei­dend, dass wir gegen Schott­land vom Kopf und von der Kraft her wieder voll bei der Sache sind. Unsere Men­ta­lität ist sehr gut. Ich bin sicher, dass wir Schott­land besiegen werden, wenn wir unser Poten­zial abrufen. Weil wir trotz des Titels …

… trotz des Titels?
Ja, weil es vom Kopf her ein Pro­blem sein könnte: Wie moti­viere ich mich weiter nach einem solch großen Erfolg? Aber gegen Schott­land geht die Reise wieder los. Das ist ein Pflicht­spiel, wir wollen uns qua­li­fi­zieren – und das wird bei jedem Spieler im Kopf sein, egal mit wel­cher Auf­stel­lung wir spielen werden. Trotz des Titels sind wir noch nicht Euro­pa­meister, wir alle nicht.

Hat die WM, hat Ihnen der Titel noch mal einen Schub gegeben?
Die Wahr­neh­mung, auch welt­weit, ist natür­lich eine andere. Aber ich hatte auch vorher immer Selbst­be­wusst­sein. Die Sicher­heit, die ich schon in meinem Spiel hatte, hat sich viel­leicht noch mal ver­stärkt. Du sagst dir ein­fach: Pass auf, du bist 24, du bist Welt­meister, das ist natür­lich über­ra­gend – mehr kannst du nicht errei­chen. Das wird dir im Kopf noch einmal helfen, über Phasen hin­weg­zu­kommen, in denen es mal nicht so läuft. Man kann sich dann sagen: Was soll mir pas­sieren? Ich kann ruhig wei­ter­ma­chen, ruhig wei­ter­ar­beiten, muss nicht hek­tisch werden.

Welt­meister werden und zum viel­leicht größten Verein der Welt wech­seln – war das der Sommer Ihres Fuß­bal­ler­le­bens?
Es wäre natür­lich gelogen, wenn ich jetzt sage: Es war ein ganz nor­maler Sommer, in dem ich einmal schön in Urlaub gefahren bin. Da denke sogar ich: Puh, Welt­meister zu werden, ist das Größte. Als Kind ist es der Traum schlechthin. Und den dann zu erleben, das ist eine sehr emo­tio­nale, eine unglaub­liche Sache. Und der Wechsel? Ja, es ist immer ein­fach zu sagen, Real ist der größte Verein, den es gibt. Aber ich glaube schon, dass es der größte der Welt ist.

Größer als Bayern Mün­chen?
Bayern zählt ganz klar mit zu den größten Klubs. Aber wo Real ein Stück weiter ist, das ist das welt­weite Stan­ding als Marke. Was nicht heißen soll, dass Bayern viel kleiner ist. Real, Bayern, Bar­ce­lona und Man­chester United, das sind für mich die großen vier, die ganz oben stehen. Ich habe mich ent­schieden, von einem großen zu einem anderen großen Verein zu gehen.

Was hätte Sie davon abhalten können?
Zum Schluss, also am Ende, nichts mehr.

Reals Prä­si­dent Flo­ren­tino Perez hat anläss­lich Ihrer Vor­stel­lung gesagt, dass Sie alle Unter­stüt­zung erhalten werden, die Sie benö­tigen. Aller­dings seien auch die Ansprüche all derer, die Real Madrid lieben, gren­zenlos …
Das kann ich nur bestä­tigen. Ich habe absolut das Gefühl, dass ich alle Unter­stüt­zung bekomme. Real ist – auch wenn man es nicht glauben will – ein sehr fami­liärer Klub. Und ich genieße das Ver­trauen des Trai­ners Ance­lotti, der mich unbe­dingt haben wollte. Er setzt voll auf mich, ich habe, trotz der sehr kurzen Vor­be­rei­tung, alle Spiele gemacht. Aber natür­lich sind dann auch die Ansprüche groß. Das ist bei den Bayern nicht anders: Du spielst, um zu gewinnen, du gehst in die Saison, um Titel zu holen.

Bei Real reicht Erfolg nicht, der Erfolg muss auch noch erhaben aus­sehen …
Das musste es bei den Bayern zuletzt doch auch. Spä­tes­tens mit Pep Guar­diola wuchsen die Ansprüche nach schönem Fuß­ball. Es gab Siege mit den Bayern, für die wir trotzdem kri­ti­siert wurden, weil sie nicht so schön aus­sahen. Aber viel­leicht ist bei Real die Reak­tion noch etwas hef­tiger, wenn etwas nicht funk­tio­niert.

Es gab bei Real ein paar Spieler aus Deutsch­land, die sich nicht durch­setzen konnten: Chris­toph Met­zelder bei­spiels­weise oder Nuri Sahin. Was macht Sie so sicher, dass Sie es wuppen?
Meine Qua­lität.

Sie sind aber über­zeugt!
Ja natür­lich, wenn ich von meiner Qua­lität nicht über­zeugt wäre, hätte ich A nicht so lange bei den Bayern spielen können und B diesen Schritt zu Real nicht machen dürfen. Der Mix aus dem Ver­trauen in die eigene Qua­lität und dem Ver­trauen, das mir bei Real geschenkt wird, das macht mich sicher.

Was wird Ihnen Real geben können, inwie­fern werden Sie sich noch einmal ver­bes­sern können?
Eine Aus­lands­er­fah­rung bei einem sol­chen Verein ist immer berei­chernd. Ich lerne eine andere Sprache und Kultur kennen und dazu eine andere Liga und einen anderen Fuß­ball, von dem ich glaube, dass er mir liegt. Sonst hätte ich den Schritt nicht gemacht. Ich bin noch nicht lange bei Real, aber schon jetzt fühle ich mich in meiner Ein­schät­zung bestä­tigt.

Wie anders ist der spa­ni­sche Fuß­ball?
Also, ich kann jetzt nicht aus einer zwei­jäh­rigen Erfah­rung spre­chen, ich bin erst ein­ein­halb Monate dort: Aber in den Ansätzen erkenne ich, dass in der Liga zu 90 Pro­zent ver­sucht wird, alles spie­le­risch zu lösen. In der Breite hat die spa­ni­sche Liga bes­sere Fuß­baller als die Bun­des­liga. Dafür ist es gegen die Mann­schaften, die in Deutsch­land etwas weiter unten anzu­sie­deln sind, sehr viel unan­ge­nehmer zu spielen. Sie sind viel aggres­siver und auf­säs­siger. Aber fragen Sie mich in einem halben Jahr noch einmal.

Was hat Ihnen Pep Guar­diola zum Abschied gesagt? Der war ein beken­nender Anhänger Ihres Spiels und ist gleich­zeitig bei Reals großem Rivalen Bar­ce­lona groß geworden. Sie jetzt in Madrid spielen zu sehen, dürfte ihm nicht gefallen.
Ich glaube: Egal wohin ich gewech­selt wäre – es hätte ihm nicht gefallen. Aber ich habe ihm die Gründe dafür erläu­tert. Ich halte ihn für einen groß­ar­tigen Trainer und einen groß­ar­tigen Men­schen. Er sagt das Gleiche über mich als Spieler, den er zu gern behalten hätte. Wir sind im Guten aus­ein­an­der­ge­gangen.

War es am Ende die feh­lende Wert­schät­zung des Ver­eins Ihnen gegen­über, die sich in der Bezah­lung aus­drückt?
Ich hatte von Anfang an eine ganz klare Posi­tion, bei der ich bis zum Ende geblieben bin. Und der Klub hatte seine. Viel mehr gibt es jetzt nicht mehr zu sagen. Wir haben es nicht hin­be­kommen, wir haben keinen gemein­samen Nenner für eine Ver­trags­ver­län­ge­rung gefunden. Daher war für mich relativ schnell klar, dass ich etwas Neues ver­su­chen möchte. Und im Nach­hinein bin ich auch ganz froh dar­über. So, wie es gekommen ist, bin ich total zufrieden.

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Hin­weis: Dieses Inter­view erschien bereits am Samstag in der Print­ver­sion des Tages­spiegel