Thomas Sobotzik, Sie sind 1987 als 13-Jähriger mit Ihren Eltern aus Polen nach Deutschland ausgewandert. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Es war sehr schwierig. Ich war dreizehn und konnte kein Deutsch. Ich hab also zuerst einen Intensivsprachkurs belegt, wo ich von morgens bis nachmittags deutsch gelernt habe. Nach einem halben Jahr wurde ich dann ganz normal auf einem Gymnasium eingeschult. Ich wurde im ersten halben Jahr noch nicht benotet, aber natürlich hat man da manchmal im Unterricht gesessen und nichts verstanden. Meine Mitschüler fingen an zu lachen und ich wusste nicht warum.
Welche Rolle spielte der Fußball?
Fußball war für mich eine sehr willkommene Abwechslung. Das war einfach etwas, worin ich gut war. Und dafür, dass ich gut war, wurde ich akzeptiert, wurde anerkannt von den Leuten. Für mein Selbstwertgefühl war das schon eine gute Sache und hat mir den Einstieg sehr erleichtert.
Gab es Phasen, in denen Sie sich wünschten, wieder zurück nach Polen zu gehen?
Nein. Diese Überlegung gab es nie. Meine Familie hatte sich ja jahrelang um die Ausreise bemüht, um zum Rest der Familie, der schon in Deutschland lebte, dazu zu stoßen. Dass es nicht leicht werden würde, war mir schon als 13-Jähriger bewusst.
Sie spielten als Teenager für Eintracht Frankfurt und wurden bald für die deutsche U‑15-Nationalmannschaft berufen. Gab es jemals die Überlegung, für Ihr Heimatland Polen zu spielen?
Darüber habe ich mir damals keine Gedanken gemacht. Ich wollte für Deutschland spielen, was ich dann ja auch bis zur U21 getan habe. Für die damals noch existierende A2-Nationalmannschaft habe ich noch zwei Spiele machen dürfen, dann war meine Zeit als Nationalspieler vorbei. Wegen meiner Einsätze als Jugendnationalspieler war ich festgespielt, hätte also für Polen gar nicht mehr auflaufen dürfen. Damit hatten sich die Gedanken an die polnische Auswahl eh erledigt.
Mit Eugen Polanski und Sebastian Boenisch stehen aktuell zwei Deutsch-Polen im polnischen EM-Kader. In Polen gibt es Kritiker, die sich darüber echauffieren, dass es so viele Nationalspieler gibt, die nicht in Polen geboren sind, ja, nicht einmal die polnische Sprache beherrschen. Wie sehen Sie das?
Heutzutage sind überall auf der Welt die Nationalitäten so sehr vermischt, dass es ein durchaus legitimer Schritt ist, auch im Ausland auf die Suche nach möglichen Nationalspielern zu gehen. Andere Nationen wie Holland, Deutschland oder Frankreich machen das doch auch seit Jahren und werden dafür gefeiert. Allerdings glaube ich, dass sich 90 Prozent aller Fußballer für die deutsche, statt für die polnische Nationalmannschaft entscheiden würden – wenn sie denn die Wahl hätten.
Wenn Sie heute die Wahl hätten: Für welche Auswahl würden Sie sich entscheiden?
Wie gesagt, ich wollte für Deutschland spielen und würde wohl auch heute noch so entscheiden. Gleichzeitig habe ich bis heute das Gefühl, in beiden Nationen als Ausländer zu gelten. In Deutschland bin ich der Pole, in Polen der Deutsche. Wer bin ich? Was für eine Nationalität habe ich? Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich dieses Nationalgefühl nicht kenne.
Woran kann das liegen?
Das sind Kleinigkeiten, die ein Außenstehender vielleicht nicht nachvollziehen kann. Während meiner Zeit in Frankfurt habe ich zum Beispiel folgendes Phänomen beobachten können: Wenn ich gut spielte, bezeichnete mich die Presse in den Berichterstattungen als „der Frankfurter“ oder sogar „der Frankfurter Junge“. Spielte ich schlecht, stand in denselben Zeiten „der gebürtige Pole“. Ich weiß nicht, ob das System hatte, aber den Eindruck hatte ich damals jedenfalls.
Die Trainer in Ihrer Kariere waren unter anderem Jupp Heynckes, Charly Körbel, Uli Maslo oder Horst Ehrmanntraut. Hat man sich ganz bewusst mit Ihrer Herkunft und daraus möglicherweise resultierenden Problemen befasst?
Nein. Ich glaube, dieses Verhalten ist in unserer Gesellschaft nicht sehr ausgeprägt. Zumindest nicht in dem Bereich, in dem ich tätig war. Dort interessiert das, auf gut Deutsch gesagt, keine Sau, ob man aus Afrika, aus Asien oder aus Polen kommt. Entweder man funktioniert oder man funktioniert nicht. Und warum und wieso interessiert eigentlich niemanden. Das ist auch okay so. Im Profifußball geht es um Leistung, alles andere ist zweitrangig. Ein Trainer wird immer die elf Spieler aufstellen, mit denen wer ein Spiel gewinnen kann. Das ist, was zählt. Damit habe ich auch kein Problem.
Anderes Thema: Wie sehen Sie die Entwicklungen im polnischen Fußball?
Was die dortige erste Liga angeht, wird es Jahr für Jahr zwar immer besser, trotzdem hapert es an allen Ecken und Enden. Nach wie vor ist es sehr schwer für polnische Fußballer, ihrem Beruf seriös nachzugehen. Das liegt an der mangelnden Organisation in den Klubs, der fehlenden Kommunikation und den fehlenden finanziellen Möglichkeiten. Wer den Standart der europäischen Topligen gewöhnt ist, wird in Polen zwangsläufig vor Probleme gestellt werden. Aber es gibt Ausnahmen, zum Beispiel Lech Posen. Dort sind die Strukturen wirklich professionell. Insgesamt genügt die Liga aber noch nicht den professionellen Ansprüchen.
Sicherlich auch ein Grund dafür, dass die besten polnischen Talente schon frühzeitig das Land verlassen. Wie kann man diese „Auswanderungswelle“ stoppen?
Im Moment gar nicht. Ich denke, dass die Europameisterschaft helfen wird, um die Klubs besser zu strukturieren, um die Jugendförderung zu verbessern. Aber grundsätzlich sind die Bedingungen für junge Talente eher mangelhaft. Wenn ein 15- oder 16-Jähriger ein Angebot von einem Fußballinternat aus Holland, Deutschland oder England bekommt, dann ist er weg.
Als ein weiteres Problem im polnischen Fußball gelten die Zuschauer. Hat Polen ein Hooliganproblem?
Nicht mehr als auch Deutschland eines hat. Polnische Fans sind nicht so schlecht wie sie gemacht werden. Es gibt eine aktive Hooliganszene, das ist klar. Und sie war in der Vergangenheit auch deshalb schwieriger zu bekämpfen, weil die Stadien nicht so modern waren wie beispielsweise in Deutschland. An die neuen Stadien sind ja auch neue Sicherheitsstandarts gekoppelt. Polen ist auf einem guten Weg. Und als Fußballland nicht zu verachten. Ein Beispiel: 2009 habe ich Marco Reich zu Jagiellonia Bialystok vermittelt. Marco hat sich in Polen pudelwohl gefühlt.
Thomas Sobotzik, was erwarten Sie sich von der Europameisterschaft 2012 in Polen?
Selbst wenn es jetzt noch einige Probleme gibt, werden wir ein gut organisiertes Turnier erleben. Die Polen sind Meister im Improvisieren. Ich hoffe, dass die Euro im Land eine ähnliche Euphorie entfacht, wie die WM 2006 in Deutschland. Vielleicht sollte uns die polnische Nationalmannschaft dafür mal ausnahmsweise positiv überraschen.
Wird Polen Europameister?
Nein (lacht).