Max Meyer trainierte schon als 16-Jähriger mit den Profis des FC Schalke 04. Sein damaliger U19-Trainer Norbert Elgert hatte ihn auf die Bundesliga vorbereitet. Ein Gespräch über ihre besondere Beziehung und die Gelsenkirchener Jugendarbeit.
Max Meyer, Sie sind der erste deutsche Futsalspieler, der es in den Profifußball geschafft hat. Was haben Sie beim Futsal gelernt?
Max Meyer: Futsal ist wie Fußball auf engstem Raum: Vier gegen Vier oder Fünf gegen Fünf, viele Kontakte, schnell spielen. Es schult das taktische Verständnis, verbessert das Dribbling und macht vor allem wahnsinnig viel Spaß.
War es rückblickend Ihr großes Glück, dass Norbert Elgert offen war für Ihre Futsal-Skills?
Meyer: Unbedingt. Ich hatte das vorher beim MSV Duisburg ganz anders erlebt, dort wollte man mir das Dribbeln schon verbieten. Im Training durfte ich plötzlich nur noch mit zwei oder drei Ballkontakten spielen. Bei Schalke durfte ich vom ersten Tag an einfach frei aufspielen.
Norbert Elgert, haben Sie wirklich nie versucht, Max Meyer die vielen Dribblings auszutreiben?
Norbert Elgert: Ganz im Gegenteil. Bei Spielern wie ihm muss man das eher noch forcieren. Wenn du einem Spieler seine herausragende Stärke nimmst, wird er nie dorthin kommen, wo er hinkommen kann. Er musste nur lernen, das Spieltempo zu variieren und somit die Ballkontaktzeiten zu erhöhen. Bei den Profis ist es entscheidend, im richtigen Moment schnell zu spielen.
Wann haben Sie zum ersten Mal miteinander gesprochen?
Meyer: Als ich mit 13, 14 Jahren vor dem Wechsel zu Schalke stand, in seinem Büro im Jugendzentrum. Herr Elgert hat mich dabei so begeistert, dass ich anschließend nur noch zu Schalke wollte.
Sie hatten noch andere Offerten?
Meyer: Ja, Borussia Dortmund hatte auch angefragt.
Herr Elgert, wie war das Gespräch?
Elgert: Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass Max damals eine lockige Matte hatte, aber ich bin ja der Letzte, der wegen einer Frisur etwas sagen könnte. Ich wusste damals, dass eines der größten Talente Deutschlands vor mir saß. Trotzdem weiß man nie, ob es am Ende für eine große Karriere reicht.
Sie machen den Job als oberster Nachwuchstrainer bei Schalke schon fast 20 Jahre, haben zweimal die U19-Meisterschaft gewonnen, reihenweise Profis ausgebildet und sind 2014 zum „Trainer des Jahres“ gewählt worden. Was müssen Ihre Jungs heute vor allem können?
Elgert: Der Fußball hat sich in den letzten 15 Jahren unglaublich verändert, was Zeit‑, Raum- und Gegnerdruck betrifft. Als Spieler braucht man ein extrem gutes Spielverständnis und eine hohe Spielintelligenz. Mit jeder Bewegung eines Mitspielers, eines Gegenspielers oder des Balles verändert sich alles auf dem Platz. Die mentale Geschwindigkeit ist daher heute noch wichtiger als die Laufgeschwindigkeit.
Was zeichnet Max Meyer aus?
Elgert: Er besitzt genau das, was man heutzutage braucht. Wenn Max spielt, sind alle Radarschirme und Antennen ausgefahren. Er hat eine extrem schnelle Wahrnehmung und scannt den Platz fortwährend. Ein normaler Spieler macht das alle paar Sekunden, aber Spieler wie Xavi, Iniesta oder eben Max wissen immer, wo Mitspieler, Gegner und Ball sind. So finden sie schneller Lösungen als andere.
Ist seine Körpergröße von 1,69 Metern ein Nachteil?
Elgert: Nein, mit dem niedrigen Körperschwerpunkt und seinen schnellen Beinen ist er wie gemacht für den heutigen Spitzenfußball.
Sie haben Mesut Özil und Julian Draxler trainiert. Doch wie Sie von Max Meyer schwärmen, klingt es fast so, als wäre er Ihr Lieblingsspieler.
Elgert: Einen Lieblingsspieler habe ich nicht, sonst würde ich den anderen Jungs weh tun, mit denen ich zusammengearbeitet habe.
Wie ordnen Sie die Beziehung zwischen Max Meyer und Ihnen dann ein?
Elgert: Es war schon ein sehr gutes Trainer-Spieler-Verhältnis. Man könnte auch sagen: Wir schätzen uns sehr. Er war bei mir immer sehr lernbereit, und zudem ist er menschlich in Ordnung. Das sage ich nicht nur, weil er gerade neben mir sitzt.
Wie ist denn das ideale Verhältnis zwischen Trainer und Spieler?
Elgert: Für mich ist wichtig, dass wir neben persönlichen auch gemeinsame Ziele verfolgen und die Mannschaft intakt ist. In einem erfolgreichen Team, wo jeder alles für die Mannschaft gibt, kann man persönliche Ziele leichter erreichen. Gelten Sie zu Recht als harter Trainer? Elgert: Ich würde eher sagen, dass ich konsequent bin. Ein Trainer kann nicht immer Everybody’s Darling sein, sonst ist er irgendwann Everybody’s Depp. Trotzdem muss hier niemand geduckt herumlaufen, weil der Trainer so streng ist. Für mich ist genauso wichtig, dass die Jungs wissen, dass sie immer zu mir kommen können. Sie sollen wissen, dass ich sie anständig behandele und sie von mir immer eine ehrliche Einschätzung bekommen.
Stimmt das, Herr Meyer?
Meyer: Ich wusste bei Herrn Elgert tatsächlich immer, woran ich bin. Er hat mir auch gesagt, wenn etwas schlecht war. Ich habe öfter mal einen vor den Kopf bekommen, wenn er zum Beispiel gemerkt hat, dass ich nicht mit zurückgelaufen bin. Im ersten Moment habe ich mich darüber geärgert, aber im Nachhinein hat mir das auch dabei geholfen, dass ich so rasch in der ersten Mannschaft angekommen bin.
Das hört sich alles sehr harmonisch an, war wirklich immer alles eitel Sonnenschein?
Elgert: Da fällt mir eigentlich nur eine Geschichte ein. Max will immer spielen, er kann an keinem Ball vorbeigehen. Deshalb war es für ihn eine gefühlte Höchststrafe, als ich ihn im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft 2012 zunächst auf der Bank gelassen habe.
Sie brachten ihn gegen den FC Bayern München beim Stand von 0:1 in der 63. Minute und nahmen ihn wieder raus, als es kurz vor Schluss 2:1 stand.
Elgert: Das lag aber nicht daran, dass er vorher schlecht gespielt hatte, sondern das war eine taktische Maßnahme. Aber wenn das schiefgegangen wäre, hätten mich alle umgebracht.
Meyer: Ich wusste, dass es taktisch bedingt war, und deshalb war es auch kein Problem. Natürlich wäre es ärgerlich gewesen, wenn wir dann noch einen reinbekommen hätten. Es gab da schon noch so eine große Chance in der Schlussphase …
War es, wenn Sie heute zurückblicken, für ihn eine geradlinige Karriere?
Elgert: Max musste auch mal beißen, das ist aber total wichtig für die Jungs. Wer in der Jugend nicht irgendwelche Hindernisse überwinden muss, wird dem Druck bei den Profis nicht standhalten.
Max Meyer hat inzwischen sein erstes A‑Länderspiel absolviert und stand mit fünf ehemaligen Spielern aus dem Schalker Nachwuchs im vorläufigen WM-Kader. Was machen Sie anders als andere Klubs?
Elgert: Wir bilden die Spieler schon hervorragend aus, aber das tun andere in Deutschland auch. Ich könnte wirklich nicht sagen, was unser Geheimnis ist.
Wie definieren Sie sich denn als Fußballtrainer?
Elgert: Ich stehe für ein ausgeprägtes Wir-Gefühl. Zugleich wird keiner eingeengt, die Jungs müssen ihre Persönlichkeit ausleben dürfen.
Sie haben aber auch mal gesagt, dass Sie großen Wert darauf legen, dass Ihre Spieler auf dem Boden bleiben.
Elgert: Die Jungs sollen von ihrem Können überzeugt sein, aber immer noch alles richtig einschätzen können. Die Jungs haben ein gottgegebenes Talent. Wenn sie zu den Profis kommen, ändert sich alles. Sie verdienen mehr als alle vorher in der Familie, haben einen Schauspieler-Status und spielen in den schönsten Stadien der Welt. Damit musst du erst mal klarkommen. Eine gewisse Demut ist sehr wichtig. Zu wissen, dass man kein besserer Mensch ist, nur weil man besser Fußball spielt.
Als Sie in den siebziger Jahren als junger Spieler zu Schalke kamen, welche Bezugsperson hatten Sie da im Verein?
Elgert: Ich bin gebürtiger Gelsenkirchener, habe mit 18 Jahren in der ersten Mannschaft gespielt und mein Trainer war Max Merkel. Da hast du funktioniert – oder nicht. Sein Co-Trainer, Friedel Rausch, hat mich vielleicht mal kurz zur Seite genommen, aber das war’s dann auch schon.
Max Meyer, haben Sie Ihren ehemaligen Jugendtrainer eigentlich mal als Spieler gesehen?
Meyer: Ich habe schon mal ab und zu bei Youtube geschaut, aber jetzt auch nicht groß weiter gesucht.
Was war er denn für ein Spielertyp?
Meyer: Außenspieler, dribbelstark, habe ich gehört …
Elgert: Was nicht so bekannt ist: Ich war schwer nierenkrank und habe deshalb mehr von meiner Technik und Einstellung gelebt. Ich konnte schon ähnlich gut mit dem Ball umgehen wie Max und war sehr dribbelstark. Aber ich hatte nicht seine Spielintelligenz und Übersicht. Ich hatte den Kopf immer zu weit unten.
Heute steigen junge Spieler immer schneller in die Bundesliga auf, wie finden Sie das eigentlich?
Elgert: Die Entwicklung hat ihr Pro und Contra. Es ist auf Schalke sehr gut, dass begabte Spieler schnell die Chance bekommen, in der Bundesliga zu spielen. Bei Julian Draxler hatte ich zuerst Bedenken, weil Felix Magath für ein hochintensives Training bekannt ist. „Jule“ war damals körperlich noch nicht so stark, aber es hat trotzdem funktioniert, weil er ganz gut vorbereitet war.
Max Meyer hat sein erstes Bundesliga-Spiel schon mit 17 Jahren bestritten …
Elgert: Wenn einer es schaffen kann, muss er zu den Profis. Reine Begabung reicht dazu aber nicht, es gehört auch die nötige Mentalität dazu, und die hat Max. Bei manchen jungen Spielern ist es auch mal zu früh gewesen, aber bei Max ist es sehr gut gelaufen. Es ist eine große Verantwortung, wenn wir eine solche Entscheidung treffen. Letztlich verläuft jeder Weg vollkommen anders.
Haben Sie Ihre ersten Bundesligaspiele mit Norbert Elgert nachbesprochen?
Meyer: Anfangs habe ich ja nur so zwischen fünf und zehn Minuten gespielt. Ich war immer glücklich, wenn ich
wieder zur U19 runterkommen durfte.
Elgert: Das zeigte nur seine große Liebe und Leidenschaft für den Fußball. Er spielt auch, wenn keine Zuschauer da sind, kann aber genauso vor voller Hütte frei aufspielen und ist dabei mental voll belastbar.
Wie häufig tauschen Sie sich heute noch miteinander aus?
Meyer: Nicht mehr so häufig wie früher, aber der Kontakt ist nicht abgebrochen. Wir schreiben uns regelmäßig SMS. Wenn wir gewonnen haben, kommt garantiert eine Nachricht vom Trainer.
Elgert: Ich biedere mich bei meinen Ex-Spielern nicht an. Sie wissen aber, dass ich da wäre, wenn sie mal Hilfe brauchen, und das Angebot wird auch wahrgenommen. Wenn Max und ich uns sehen, haben wir immer Gesprächsstoff. Wenn die Profis auswärts in der Champions League spielten, sind wir zuletzt mit der U19 mitgeflogen. Da hatten wir immer die Gelegenheit, uns persönlich auszutauschen.
Sie haben Ihren Vertrag als Nachwuchstrainer gerade um vier Jahre bis 2018 verlängert. Können Sie sich trotzdem vorstellen, dass Sie Max Meyer mal in der Bundesliga trainieren?
Elgert: Ich schließe das nicht aus. Wenn mir mein Gefühl sagt, dass ich Profitrainer werden sollte, dann werde ich das auch machen. Ich kann es gar nicht fassen, dass ich diesem Job hier jetzt schon so lange nachgehe. Hansi Flick wollte mich zuletzt für den DFB gewinnen, aber im Moment finde ich hier noch meine Erfüllung. Ich helfe den Jungs einfach wahnsinnig gerne weiter.