Holstein Kiel ist die Überraschung der Dritten Liga, holte aus den letzten neun Spielen 25 Punkten und steht aktuell auf dem zweiten Platz. Trainer Karsten Neitzel möchte dennoch nicht vom Aufstieg sprechen.
Karsten Neitzel, warum spricht in Kiel niemand vom Aufstieg?
Ständig werde ich gefragt: „Wollen Sie nicht aufsteigen?“. Ich finde diese Frage, mit Verlaub, einfach nur frech. Es ist doch klar, dass wir den maximalen Erfolg wollen und dafür das Maximum an Arbeitskraft investieren. Soll ich mich am Wochenende vor die Mannschaft stellen und sagen: „Jungs, macht mal langsam, wir müssen mal ein Spiel verlieren, sonst steigen wir am Ende noch auf“?
Sie haben also Sorge, die Spieler unter Druck zu setzen?
Ja, denn je mehr wir drüber reden, desto mehr verändert sich die öffentliche Wahrnehmung unserer Leistung. Wenn wir zu offensiv an die Sache herangehen, heißt es dann irgendwann: „Die wollen aufsteigen, verlieren aber gegen den Tabellenletzten.“ Unter anderem so etwas wollen wir damit vermeiden.
Sie haben zuletzt gegen Jahn Regensburg 1:0 gewonnen.
Richtig, und das war nicht unbedingt glücklich, das Spiel hätte auch 5:1 ausgehen können. Aber ich glaube nicht, dass es einen Unterschied macht, ob wir in Halle, in Duisburg oder bei Großaspach spielen. Mannschaften von unten kämpfen für die Ligazugehörigkeit, das macht es nicht unbedingt einfacher. In dieser Liga musst du vor jedem Gegner Respekt haben. Regensburg hat zum Beispiel vor dem Spiel gegen uns Rot-Weiß Erfurt, die vor dem Spiel auf dem 5. Platz standen, geschlagen.
Das hat Holstein Kiel auch geschafft.
Unser 4:1‑Sieg ist das beste Beispiel für mich, an dem man sieht, wie der Fußball in der Dritten Liga leider ganz oft funktioniert. Erfurt kommt als Tabellenzweiter zu uns, rutscht durch die Niederlage in der Tabelle etwas ab, verliert die nächsten drei Spiele und Trainer Walter Kogler, der vor dem Spiel gegen uns noch umjubelt wurde, ist jetzt arbeitslos. Schon komisch, oder?
Ihre Mannschaft hat die letzten sieben Spiele gewonnen, teilweise gegen direkte Konkurrenten im Aufstiegskampf. Was macht den Erfolg aus?
Es ist ein großes Plus, dass wir momentan viele Dinge sehr konstant abrufen. Wir müssen aber in dieser Phase den Blick fürs Wesentliche behalten und das bedeutet, dass es keine Alternative zu einer seriösen Vorbereitung auf das nächste Punktspiel gibt. Für uns ist es umso wichtiger, dass wir Grundvoraussetzungen im Spiel gegen den Ball Woche für Woche abspulen und in der Defensive weite Wege gehen. Diese werden leider oft nicht so honoriert wie ein langer Sprint in die Spitze, der mit einem Tor gekrönt wird. Da müssen wir die Jungs motivieren und ihnen auch mal in den Arsch treten, damit sie diese Läufe auch weiterhin machen. Aber so viele Arschtritte braucht die Mannschaft im Moment nicht. (Lacht.)
Holstein stellt die beste Defensive der Liga. Basiert der aktuelle Tabellenplatz auf einer defensiven Grundordnung?
Wir bauen uns nicht an der Mittellinie auf und lauern auf Konter. Wir versuchen, den Gegner früh zu attackieren, egal ob wir auswärts oder zu Hause spielen. Das ist besonders für die Viererkette schwierig, da die gegnerischen Offensivleute dadurch mehr Räume erhalten. Aber die Mannschaft setzt die Vorgaben sehr gut um. Das hat zur Folge, dass wir wenige Torchancen zulassen. In 68 Drittliga-Spielen haben wir nur 57 Gegentore bekommen, das ist ein Topwert. Vor allem, wenn man sich bewusst macht, dass wir letzte Saison erst aufgestiegen sind. Die Jungs sind sehr lernwillig und können unsere Vorgaben schnell umsetzen, ohne dass wir sie 24 Mal ansprechen muss.
Was könnte Ihr Team noch verbessern?
Wir sind zwar nicht die Mannschaft, die die wenigsten Tore schießt oder die wenigsten Chancen herausspielt, aber es dürften schon noch ein paar mehr Tore sein. Es hapert manchmal an der Effektivität vor dem Tor, das muss sich allerdings fast jede Mannschaft in der Liga ankreiden lassen.
Kiel gilt dank der Erfolge des THW eher als Handball-Stadt. Steht Holstein in Sachen Zuschauer in Konkurrenz zu dem Handballverein?
Kiel ist auf jeden Fall eine Sportstadt. Die Berichterstattung über den THW Kiel in den lokalen Medien ist natürlich umfangreicher als über Holstein, aber die beiden Vereine arbeiten hier nicht gegeneinander, sondern zusammen. Wenn der THW gewinnt, dann freue ich mich, und ich glaube, auch der eine oder andere Handballer freut sich, wenn wir unsere Punktspiele gewinnen.
Ist in der Stadt wegen der jüngsten Erfolge eine Fußball-Euphorie zu spüren?
Wir kämpfen um jeden Zuschauer, und wenn wir weiter oben spielen, kommen zwangsläufig mehr Besucher ins Stadion, das wollen wir in Zukunft pflegen. Statt von Fußball-Euphorie würde ich allerdings eher von Holstein-Sympathie sprechen. In der Vergangenheit mag der eine oder andere von den hochnäsigen Holsteinern gesprochen haben. Wir arbeiten gerade daran, dieses Image Stück für Stück abzubauen. Ich denke, dass wir mittlerweile sympathischer wahrgenommen werden und ein Verein sind, der transparent arbeitet.
Schleswig-Holstein gilt manchen Fans als fußballerisches Niemandsland und kann keine Mannschaft vorweisen, die in der 1. Bundesliga gespielt hat. Woran liegt das?
Bei den kleineren Vereinen gibt es immer wieder Jugendspieler, die leider zu früh dem Ruf eines großen Vereins folgen, das entzieht dem Nachwuchsfußball Qualität. Dennoch sehe ich gerade in der Regionalliga einige Mannschaften, die durchaus Potential für mehr haben und in der Lage sind, in Kürze durch einen Aufstieg den nächsten Schritt zu machen.
Sind die Strukturen im schleswig-holsteinischen Fußball nicht professionell genug?
Es wird hier nicht viel anders gemacht als in den restlichen Bundesländern, von daher sind die Strukturen im Jugendfußball so, wie es sein muss. Die Vereine arbeiten ruhig und seriös daran, sich weiterzuentwickeln.