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Sergio Allievi, Sie wech­selten im Sommer 1990 von Kai­sers­lau­tern nach Dresden. Warum gingen Sie aus­ge­rechnet in die DDR-Ober­liga?

Sergio Allievi: Ich hatte eine Anfrage aus dem Aus­land, von Gala­ta­saray Istanbul, wohin ich auch gerne gewech­selt wäre. Ich hatte mich auch schon mit Ver­tre­tern von Gala­ta­saray in Frank­furt getroffen und ver­han­delt. Das Pro­blem war, dass meine Frau nicht in die Türkei wollte. Auch von Aarau hatte ich ein Angebot, aber meine Frau wollte unbe­dingt zurück in den Westen. Als dann der Wechsel zu Bochum nicht klappte, rief mich eines Tages jemand von Dynamo Dresden an. Wir haben uns am Flug­hafen in Köln getroffen und dann ging alles ganz schnell.

Von West­deutsch­land in die ehe­ma­lige DDR zu gehen war aber sicher­lich damals ein noch grö­ßerer Kul­tur­schock“ als ein Wechsel ins Aus­land oder?

Sergio Allievi: Das war sicher­lich der größte Kul­tur­schock, das stimmt. Aber ich hatte dort eine Super­zeit, die möchte ich nicht missen. Das waren zwei Jahre, die ich in meinem Leben nicht ver­gessen werde. Das war ganz toll, das zu erleben, vor allem die Anfangs­zeit nach dem Mau­er­fall. Auch in Bezug auf die Mann­schaft war das fan­tas­tisch damals. Wir haben schließ­lich Bun­des­liga und Euro­pa­pokal der Lan­des­meister gespielt mit Dynamo.

Was waren ihre ersten Ein­drücke, als Sie in Dresden ankamen?

Sergio Allievi: Zur Ver­trags­un­ter­zeich­nung bin ich zum ersten Mal rüber­ge­flogen. Die ersten drei Monate habe ich im Hotel gewohnt, bis wir eine Woh­nung bekommen haben und die Familie nachkam. Die Zeit damals ist ein­fach unbe­schreib­lich, es war noch alles alt. Mein Hotel war direkt an der Frau­en­kirche, die Innen­stadt war damals schon sehr schön. Ein paar Jahre später war ich mit Wat­ten­scheid 09 dort noch einmal im Trai­nings­lager, da hatte sich dann alles ver­än­dert. Dresden ist mitt­ler­weile wun­der­schön geworden. Damals war aber eigent­lich noch alles alt und ver­rottet, die Frau­en­kirche war noch nicht auf­ge­baut. Die erste Zeit gab es kaum Geschäfte, man durfte ohne Ein­kaufs­wagen über­haupt nicht in die Läden, davor waren Rie­sen­schlagen. Das war natür­lich unge­wohnt. Wir hatten eine Woh­nung ohne Tele­fon­an­schluss, mussten immer zur Tele­fon­zelle laufen. Für mich war die Zeit ins­ge­samt wohl ein­fa­cher als für meine Familie, weil meine Mit­spieler mich wirk­lich herz­lich auf­ge­nommen haben.

Gab es im Team, in dem Sie ja der ein­zige Wessi waren, irgend­welche Res­sen­ti­ments gegen Sie?

Sergio Allievi: Über­haupt nicht. Die Jungs sind vom ersten Tag an auf mich zuge­kommen, wir haben viel zusammen unter­nommen, sie haben mir die Stadt und die Umge­bung gezeigt. Stimmen wie Da kommt der Wessi, der nimmt uns den Platz weg“ gab es absolut nicht, auch nicht von Trainer Rein­hard Häfner, einem wun­der­baren Men­schen, und dem Stab. Es waren wirk­lich zwei schöne Jahre. Im zweiten Jahr war Dieter Müller unser Manager, der wollte mir direkt einen Vier­jah­res­ver­trag geben, aber da hat meine Frau gesagt, sie möchte wieder zurück in den Westen. Mein großer Sohn sollte damals gerade ein­ge­schult werden, und alle, auch meine Mit­spieler in Dresden, haben mir gesagt, ich solle ihn lieber im Westen ein­schulen.

Wo haben Sie in Dresden gewohnt?

Sergio Allievi: In einem Plat­tenbau, in der ehe­ma­ligen Woh­nung von Ulf Kirsten. Als der nach Lever­kusen ging, wurde die Woh­nung frei, und die habe ich über­nommen.

Kirsten und Mat­thias Sammer waren ja gerade aus Dresden weg­ge­gangen…

Sergio Allievi: Genau, die waren beide gerade in den Westen gegangen. Das stand auch schon fest, bevor ich mich für den Wechsel ent­schieden habe. Ich bin zusammen mit Peter Lux nach Dresden gegangen. Wir beide waren die ersten, die aus dem Westen ver­pflichtet wurden. Auch Hans-Uwe Pilz und Andreas Traut­mann waren ja zu For­tuna Köln gewech­selt, sind dann aber in der Win­ter­pause nach Dresden zurück­ge­kommen. Die haben nur eine halbe Saison in Köln gespielt und erzählten mir das genaue Gegen­teil von dem, was mir pas­siert ist. Sie wurden dort nicht aner­kannt, wurden zu Ein­zel­gän­gern und kamen in der Mann­schaft nicht unter – und sind des­wegen zurück­ge­kommen.

Unter­schied sich der Profi-Alltag in der DDR-Ober­liga sehr von dem in der Bun­des­liga?

Sergio Allievi: Ja, auf jeden Fall. In der Bun­des­liga wurde sicher­lich auch viel Wert auf Taktik, Spiel­sys­teme und Stan­dard­si­tua­tionen gelegt. Unter Häfner haben wir in Dresden sei­ner­zeit knall­hart trai­niert, diese Härte des Trai­nings war mir bis dato nicht bekannt. Mor­gens um acht Uhr hat sich die Mann­schaft zum Früh­stück getroffen haben, danach wurde trai­niert, danach gab es Mit­tag­essen – alles auf dem Gelände. Nach­mit­tags haben wir wieder trai­niert und erst nach der Pflege ging es dann nach Hause. Von acht Uhr mor­gens bis fünf, halb sechs abends war man nur auf dem Trai­nings­ge­lände. Zwi­schen­durch machte man noch Mit­tags­schlaf, das kannte ich höchs­tens aus dem Trai­nings­lager. Die Inten­sität und Härte war mir neu, aber letzt­end­lich muss man sagen, dass uns das Trai­ning Recht gegeben hat. Wir sind aus der Ober­liga in die erste Bun­des­liga auf­ge­stiegen und haben dort dann im ersten Jahr die Klasse gehalten, obwohl alle gesagt haben, dass wir absteigen. Ein Rie­sen­er­folg für Dynamo!

Der Ablauf war jeden Tag der gleiche?

Sergio Allievi: Ja, Montag bis Freitag. Freitag war Abschluss­trai­ning und je nachdem, wo wir gespielt haben, sind wir dann einen Tag vorher ins Trai­nings­lager gefahren. Selbst am Sams­tag­morgen vor dem Spiel haben wir noch mal trai­niert. Das kannte ich bis dahin auch noch nicht. In der Bun­des­liga haben wir am Spieltag mor­gens einen Spa­zier­gang gemacht. Obwohl in der DDR-Liga die Anstoß­zeiten schon um 14 Uhr war, haben wir um 10 Uhr noch eine Trai­nings­ein­heit gemacht, eine lockere zwar, aber das war mir den­noch neu.

Haben Sie in Dresden weniger ver­dient als vorher in Kai­sers­lau­tern?

Sergio Allievi: Nein, Bedin­gung bei den Ver­hand­lungen war, dass ich nicht weniger als in der Bun­des­liga ver­diene.

Und wie sah das im Ver­gleich zu Ihren ost­deut­schen Mit­spie­lern aus?

Sergio Allievi: Das hob sich natür­lich ab, keine Frage. Es gab ja auch viele junge Spieler. Klaus Sammer trai­nierte damals die zweite Mann­schaft. Leute wie Mat­thias Maucksch, Sven Ratke, Uwe Jähnig und Sven Kmetsch kamen alle aus dieser Mann­schaft. Die haben spä­tes­tens in meinem zweiten Jahr in Dresden dann alle in der ersten Mann­schaft gespielt. Von denen erfuhr ich, dass es einen großen finan­zi­ellen Unter­schied zwi­schen den Eigen­ge­wächsen und mir gab. Aber nochmal: Da war über­haupt kein Neid zu spüren.

Dresden galt und gilt als extrem fuß­ball­be­geis­terte Stadt. Wie war das Ver­hältnis zu den Fans?

Sergio Allievi: Super. Man hat ja immer die Nega­tiv­schlag­zeilen über Aus­schrei­tungen vor Augen, was ich ja selbst auch ein paar Mal erlebt habe. Grund­sätz­lich aber war es ein sehr herz­li­ches Ver­hältnis. Auch mit den Nach­barn bei uns im Haus, die sofort meine Kinder und meine Frau begrüßt und uns viel Glück gewünscht haben. Das war wirk­lich sehr herz­lich.

Sie spielten als vor­letzter DDR-Lan­des­meister im Euro­pacup – war den Spie­lern da schon klar, dass das eine Abschieds­tournee auf euro­päi­scher Bühne für län­gere Zeit sein könnte?

Sergio Allievi: Das war gar nicht prä­sent. Wir haben das ein­fach genossen, bei­spiels­weise in Bel­grad vor 100.000 Zuschauern zu spielen. Oder in Malmö im Elf­me­ter­schießen wei­ter­zu­kommen, wohin uns 2.000 Dresdner Fans begleitet haben. Unser ein­ziges Ziel war ja ohnehin, eine von zwei Mann­schaften zu sein, die in die Bun­des­liga kommt. Der große Kon­kur­rent war Hansa Ros­tock. Wir haben gar nicht daran gedacht, ob und wann wir mal wieder im Euro­pa­pokal spielen würden. 

2000 Dresdner in Malmö. Fuhren immer so viele Fans mit?

Sergio Allievi: In Bel­grad waren ja auch tau­send Dresdner. Das war schon beein­dru­ckend. Auch bei Aus­wärts­spielen in der Liga. Für das Spiel in Eisen­hüt­ten­stadt bei­spiels­weise hat ein Sponsor zehn Busse orga­ni­siert. Da sind dann alleine 1.000 Fans in den Bussen mit­ge­fahren. Es gab eine rich­tige Begeis­te­rung in der Stadt, und die nahm immer mehr zu, je näher das Sai­son­ende rückte. Sie können sich nicht vor­stellen, was los war, als wir es am Ende geschafft hatten. Sen­sa­tio­nell! Auch ein Jahr später, im letzten Spiel beim 1. FC Köln, da war die Hölle los. Uns reichte ein Punkt zum Klas­sen­er­halt, Köln reichte ein Punkt zum inter­na­tio­nalen Geschäft. Das Spiel ging 1:1 aus. Ein Gefühl, als ob man Deut­scher Meister geworden ist!

In der dritten Runde trafen Sie auf Roter Stern Bel­grad mit Robert Pro­sinecki. Bis heute hängen blieb der Spiel­ab­bruch im Rück­spiel in Dresden. Welche Erin­ne­rungen haben Sie daran?

Sergio Allievi: Das ging wohl schon beim Hin­spiel in Bel­grad los. Nach dem Spiel gab es Aus­schrei­tungen, nach denen offenbar ein Dresdner Fan mit Schä­del­ba­sis­bruch ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert wurde. Dar­aufhin kur­sierten die ersten Gerüchte, wonach es auch im Rück­spiel zu Aus­schrei­tungen kommen würde. Dafür wurde wohl auch mit Fans aus anderen deut­schen Städten kom­mu­ni­ziert. Die Situa­tion eska­lierte schon vor dem Spiel. Wir haben die ganze Zeit die Sirenen vor dem Sta­dion gehört. Im Sta­dion standen die Bel­grader Fans anfangs direkt in der Kurve neben den Dresdner Fans. Erst später wurden sie in die andere Kurve geleitet. Dann wurden immer Leucht­ra­keten in die anderen Blocks geschossen und irgend­wann ist die Situa­tion auch im Sta­dion eska­liert. Als bei einer Ecke von Pro­sinecki dann Pflas­ter­steine flogen, hat der Schiri das Spiel abge­bro­chen.

Wie war die Situa­tion bei Liga­spielen?

Sergio Allievi: In den Sta­dien selbst kam es selten zu Aus­ein­an­der­set­zungen. Da waren die Fan­gruppen getrennt. Aber man hat hin und wieder gehört, dass es rings um Spiele zu Aus­schrei­tungen kam. Da muss teils richtig ran­da­liert worden sein. Das wurde viel­leicht auch von den Behörden unter­schätzt, die auch nicht so gut orga­ni­siert waren zu der Zeit.

Warum wurde Trainer Rein­hard Häfner eigent­lich nach der doch sehr erfolg­rei­chen Saison 90/91 ent­lassen?

Sergio Allievi: Das war für mich auch total über­ra­schend, ich hätte nie damit gerechnet. Er hatte es ver­dient, mit uns zusammen die Bun­des­liga-Saison zu bestreiten. Der dama­lige Prä­si­dent meinte aber, ein West­trainer würde besser zu uns passen. Einer, der sich im Westen aus­kennt und die Bun­des­li­ga­mann­schaften kennt. Des­wegen kam Helmut Schulte. Ich per­sön­lich denke, ein Trainer, der mit einer Mann­schaft auf­steigt, sollte auch die Mög­lich­keit haben, mit dieser weiter zu trai­nieren.

Was ver­än­derte sich zur Saison 1991/92, in der Dresden dann in der gesamt­deut­schen Bun­des­liga spielte? Holten sich Ihre Mit­spieler Tipps bei Ihnen?

Sergio Allievi: Unser Auf­takt­spiel war aus­ge­rechnet gegen Kai­sers­lau­tern. Da hat Helmut Schulte natür­lich vorher mit mir gespro­chen. Ich kannte ja alle, die da spielen. Der eine oder andere meiner Mit­spieler hat schon gefragt, wie man gegen diesen oder jenen Spieler am Besten spielen sollte. Da konnte ich schon Tipps geben. Aber in der Rück­runde hat eigent­lich keiner mehr gefragt.

Haben Sie heute noch Kon­takt zu ihren dama­ligen Dresdner Mit­spie­lern?

Sergio Allievi: Als Heiko Scholz in Duis­burg war, habe ich mich ein paar Mal mit ihm getroffen, wir waren auch zusammen bei der Trai­ner­fort­bil­dung. Ralf Minge habe ich mal bei Rot-Weiss Essen auf der Tri­büne getroffen, als er noch bei Dynamo war. Als Jens Melzig in Lever­kusen war, kam er mal zu mir zum Essen. Ansonsten tut sich da wenig, man ver­liert sich aus den Augen.

Wenn Sie zurück­denken, was war die kurio­seste Geschichte, die wit­zigste Anek­dote aus Ihrer Zeit in Dresden?

Sergio Allievi: Was ich immer wieder gerne erzähle: Als wir in die neue Woh­nung kamen, lief mein ältester Sohn herum und sagte auf einmal: Ich will Oma anrufen. Aber hier ist kein Telefon.“ Meine Frau und ich haben ihm gesagt, er soll noch mal genauer nach­schauen. Aber er bestand darauf: Hier ist kein Telefon.“ Dann haben wir selbst gesucht und es gab tat­säch­lich weder ein Telefon noch einen Anschluss.

Wann haben Sie dann ein Telefon bekommen?

Sergio Allievi: Gar nicht mehr. Die Antrags­be­ar­bei­tung hätte wahr­schein­lich länger gedauert, als wir in Dresden waren. Wir sind also zwei Jahre lang immer zur Tele­fon­zelle gelaufen und haben von dort aus alle ange­rufen. Sergio Allievi: