Schalkes Roman Neustädter reiste durch die Slums von Indien, lief mit Uchida durch Japan und hing mit Steve Nash ab. Hier erzählt er davon.
In unregelmäßigen Abständen sprechen wir hier mit Profis über Themen außerhalb des Fußballs, Teil 1: Roman Neustädter übers Reisen. Seht in unserer aktuellen Ausgabe, wie er sich für das Bild „Bei der Geburt getrennt“ revanchiert.
Roman Neustädter, wir möchten nun mit Ihnen übers Reisen sprechen. Woher rührt dieses Hobby?
Früher hatte ich nie große Lust aufs Reisen und wollte mich in der Sommerpause nur irgendwo am Strand ausruhen. Doch meine Frau hat mich mit ihrem Fernweh angesteckt. Im letzten Jahr sind wir dann kreuz und quer durch Mittel- und Südamerika gereist, durch Chile, Argentinien und Mexiko. Wir sind durch Patagonien gewandert und waren auf einem Eisgletscher. Das war sehr spannend.
Planen Sie Ihre Ausflüge selbst?
Teils, teils. Manchmal halten wir uns an Agenturen, die diese Touren anbieten, manchmal rufen wir Bekannte an, die vor Ort wohnen. In diesem Sommer habe ich Kontakt zu Manuel Friedrich (Ex-Profi unter anderem bei Mainz, Leverkusen und Dortmund, die Red.) aufgenommen, der in einer Charity-Organisation in Indien aktiv war. Sie betreut Straßenkinder und wir wollten sie besuchen. Manuel hat gesagt: „Super, dass du das machen willst. Aber stell dich darauf ein, dass es krass werden kann.“
Wo genau waren Sie?
In Dharavi, einem Slum in Mumbai. Jeder hat natürlich seine Vorbehalte, wenn er dieses Wort hört. Doch die Leute vor Ort haben uns erklärt, dass in diesem Slum auch Ärzte und Anwälte wohnen. Das ist wie eine eigene Gesellschaft für sich, mit eigenen Märkten und eigener Wirtschaft, beispielsweise einer Lederproduktion.
Was haben Sie dort gemacht?
Die Agentur „Anstrengung United“ engagiert sich für die Kinder in diesem Slum und organisiert verschiedene Kurse. Als wir da waren, kam beispielsweise ein Tattoo-Artist vorbei und hat den Kindern Schablonen zum Abpausen gegeben. Wir haben mit ihnen gezeichnet, gespielt, einfach Zeit verbracht. Abends wollten wir sie dann nach Hause bringen. Aber das ging nicht.
Wieso nicht?
Wir liefen eine Viertelstunde, bis uns ein Mitarbeiter der Agentur sagte: „Hier nicht weiter, die Kinder werden abgeholt.“ Da habe ich gefragt, wo die Kinder denn wohnen. Die Antwort war: „Auf der Straße.“ Die Menschen leben teilweise nur unter einem gespannten Tuch. Manche liegen auf dem Weg, während andere über sie drüber laufen. Ein Junge sagte mir, dass sein Bruder auch normalerweise mitkomme, aber leider arbeiten muss. Der saß dann in Unterhose am Straßenrand und hat Bambuskörbe geflochten. Er war vielleicht sechs Jahre alt.
Wie sind die Menschen dort miteinander umgegangen?
Sie achten aufeinander, auch wenn sie auf engstem Raum leben. Aber es ist natürlich eine andere Welt. Bei meinem Besuch habe ich schon alles zu schätzen gelernt, was man in Deutschland als selbstverständlich erachtet: das Essen, eine eigene Unterkunft, die medizinische Versorgung.
Wie waren Ihre Erfahrungen mit dem Essen in Indien?
Wir sind natürlich auch über die Märkte gelaufen. Dort haben die Verkäufer Tiere getötet, sie auf der Straße ausbluten lassen und dann auf den Grill geworfen. Auf dem Markt ziehen sie ihnen vor deinen Augen die Haut ab und trennen den Kopf ab. Das ist schon etwas gewöhnungsbedürftig. (lacht.) Doch ich habe natürlich auch etwas gegessen, das meiste ist frittiert, mit 40 Produkten in einem, schon sehr originell und auch lecker.
Viele Mumbai-Besucher erzählen, dass das Bahnfahren ein Abenteuer sein soll.
Da ist was dran. Die Bahn steht noch nicht, da springen die ersten raus und die anderen rein. An einem Bahnhof kommen um zwölf Uhr die gesamten Essensrationen für die Bänker an. Die Arbeiter transportieren diese Kisten auf dem Kopf, ich möchte nicht wissen, wie viele Kilo das waren. Auch die Fahrten im Bus und Taxi sind nicht ohne. Die Fahrer sind so gerast, dass ich unzählige Male aus Angst mitgebremst habe.
Hatten Sie Probleme während Ihres Aufenthalts?
Es gab nur eine komische Situation, als wir am Bus auf einen weiteren Mitfahrer gewartet haben. Man wird als Europäer natürlich direkt erkannt. Eine ältere Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm kam zu mir und bat mich um Geld. Ich wollte ihr etwas geben, stand mit dem Rücken zu ihr und durchsuchte meine Taschen. In diesem Moment sagte ein Mitarbeiter der Agentur: „Bitte, bitte, nichts geben, so schwer es auch fällt.“ Als ich mich umdrehte, standen dort auch direkt 20 Leute und hielten die Hand auf. Wenn ich der Frau etwas gegeben hätte, den anderen aber nicht, wäre die Situation eskaliert. Man denkt natürlich, dass man etwas Gutes tut, löst aber vielleicht etwas Schlechtes damit aus.
Wie langen blieben Sie in Indien?
Wir waren fünf Tage in Mumbai. Ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Wer weiß, ob man so etwas noch mal wiederholen kann. Schon bei unserer Ankunft waren wir so mitgenommen von den Erlebnissen, dass wir den halben Tag geschlafen haben. All diese Eindrücke, die Farben, die Gerüche – das ist so viel und so intensiv, dass man müde wird.
Nach Ihrem Besuch in Mumbai flogen Sie nach Tokio. Wie kam es dazu?
Uschi (Neustädters Mitspieler Atsuto Uchida, die Red.) hat immer wieder gesagt: „Komm mich besuchen. Tokio, das ist die geilste Stadt.“ In den zwei Tagen kurz vor seiner Operation hat er uns dann tatsächlich durch die komplette Stadt geführt. In den restlichen Tagen sind wir mit einem Freund von mir losgezogen, der dort bei einem Sportartikelhersteller arbeitet.
Uchida hat sich in Japan operieren lassen. Der Verein war überrascht, wussten Sie etwas davon?
Ich habe von seinem Plan nur in der Zeitung gelesen. Er hat mir in Japan davon berichtet, aber wir haben das nicht vertieft.
Er ist in Japan ein Star, der auch auf dem Cover von Modemagazinen zu sehen ist. Kann er sich in Tokio frei bewegen?
Nein, gar nicht. Er trug zwar eine Sonnenbrille, aber alle zwei Meter haben sich die Menschen mit offenem Mund umgedreht und geflüstert: „Uchida, Uchida!“ Er hat mich dann gefragt, ob wir die Metro nehmen sollen. „Klar, warum nicht?“, habe ich gesagt. Für mich ist die Metro im Ausland sowieso immer eines der besten und schnellsten Fortbewegungsmittel. Aber Uschi ist noch nie mit ihr gefahren. Als wir eingestiegen sind, gab es auch sofort eine helle Aufregung um ihn. Alle Passagiere im Abteil haben sich nervös umgedreht, weil sie dachten, das wäre so etwas wie die „Versteckte Kamera“. Es war wirklich extrem.