Herr Golz, Torwart wird man nicht freiwillig. Wer hat Sie in den Kasten gestellt?
Stimmt, eigentlich will niemand ins Tor. Ich war schon immer relativ groß, und als ich das erste Mal bei einem Training dabei war, haben die anderen angesichts meiner Größe gesagt: „Geh doch mal ins Tor.“ Ich habe mich ganz gut angestellt – und bin seitdem im Tor geblieben.
Was muss jemand, der ein guter Torwart werden will, mitbringen?
Meistens gehen zu Anfang die Kleinen, Dicken ins Tor – das ist keine gute Voraussetzung (lacht)! Man sollte schon relativ athletisch und schnell sein, eigentlich nicht anders als ein Feldspieler auch.
Man sagt, ein Torwart könne nur verlieren. Haben Sie das auch so empfunden?
Wenn man ein Tor rein bekommt, ist es ja eine natürliche Bewegung, dass sich alle von einem abwenden – schließlich gehen sie in den Mittelkreis, um den Anstoß auszuführen. Gerade am Anfang war das schon ein komisches Gefühl. Das darf man aber nicht allzu sehr an sich herankommen lassen.
Ihr Vorbild war Gregor Quasten von Hertha BSC. Was zeichnete ihn aus?
In meiner Kindheit und Jugend war ich ein großer Hertha-Fan und ging oft ins Stadion. Gregor Quasten strahlte eine besondere Lässigkeit aus, hatte immer so kleine Spielchen in seinen Bewegungen – das hat mich angezogen. Aber interessanterweise bin ich ein anderer, unspektakulärer Typ von Torwart geworden.
Wann haben Sie festgestellt, dass das Verhindern von Toren Ihr Lebensinhalt werden könnte?
Das war, als ich beim SC Tegel in der A‑Jugend spielte. Eines Tages nahm der Hamburger SV über meinen Trainer Kontakt zu mir auf. Die Verantwortlichen fragten mich, ob ich mir vorstellen könne, nach Hamburg zu kommen, um dort in der Jugend zu spielen und nach zwei Jahren vielleicht Profi zu werden.
War Ihnen damals bewusst, welche Konsequenzen eine Entscheidung für den Fußball als Beruf haben würde?
In dem Moment nicht. Ich empfand das als spannend, als Abenteuer. Dass ich 20 Jahre lang Profi sein würde, hätte ich natürlich nicht gedacht.
Haben Sie die Entscheidung jemals bereut?
Überhaupt nicht, nicht eine Sekunde. Selbst in der ersten Zeit, in der noch gar nicht klar war, dass ich einen Profi-Vertrag bekommen würde, habe ich meinen Entschluss nicht angezweifelt.
Als Sie mit 19 Jahren den Vertag unterschrieben hatten, hatten Sie nacheinander drei Konkurrenten. Zunächst Uli Stein, dann Mladen Pralija und schließlich Jupp Koitka. Alle drei warfen sich selbst aus dem Rennen: Stein durch seinen Faustschlag gegen Jürgen Wegmann, Pralija durch desolate Leistungen und Koitka durch einen Platzverweis. Glück für Sie, Herr Golz.
Man muss zur rechten Zeit am rechten Ort sein. Natürlich waren die Ereignisse günstig für mich. Als ich den Vertrag unterschrieb, rechnete ich damit, dass Stein noch zehn Jahre im Tor stehen würde. Dann rutschte ihm die Hand aus. Und als auch noch Koitka für acht Wochen gesperrt worden war, konnte ich mich zum ersten Mal als Nummer Eins beweisen. Aber wenn ich dann nicht meine Leistung gebracht hätte, hätten mir die Ereignisse auch nicht geholfen.
Wie war Ihr Verhältnis zu Uli Stein, dem großen, wilden Mann?
Lange habe ich ihn nicht erlebt. Aber es hat mir, gerade als er 1994 noch einmal zum HSV zurückkam, imponiert, dass er im hohen Alter noch zu Top-Leistungen im Stande war. Seitdem weiß ich, dass, je älter man wird, der Kopf eine um so größerer Rolle spielt.
Ihre Karriere führte auch immer wieder durch tiefe Täler. Wie haben Sie sich in solchen Momenten Ihr Selbstvertrauen bewahrt?
Ich bin nicht allein damit, dass es auch mal schlecht läuft. Das passiert jedem. Und wenn es passiert, muss man versuchen, gut und hart zu trainieren. Auch durch körperliche Fitness bewahrt man sich sein Selbstvertrauen.
Haben Sie sich auch wieder aufbauen können, indem Sie an Glanztaten aus vergangenen Spielen dachten?
Es gibt schon Spiele, die mir in Erinnerung geblieben sind – weniger jedoch wegen einzelner Szenen als wegen des Gefühls, in diesem Spiel die nächste Entwicklungsstufe erreicht zu haben.
Dass ein Torwart einen unhaltbaren Ball halten soll, ist doch eigentlich paradox. Geschieht es trotzdem manchmal?
Natürlich passiert das. Es hat viel mit Antizipation und Intuition zu tun. Manche Schüsse sieht man nicht, weil der Schütze verdeckt ist. Aber man hat eine Ahnung, dass der Ball dahin kommt, macht einen Schritt in die Richtung – und hält dann den eigentlich Unhaltbaren.
Das muss ein großartiges Gefühl sein.
Wenn der Ball danach ins Aus geht, hat man schon Zeit, sich ein paar Sekunden an einer Glanzparade zu berauschen. Aber wenn der Ball noch im Spiel ist, muss man natürlich konzentriert bleiben.
Im Gegensatz zu solchen Momenten muss es entsetzlich sein, wenn man sich als Torwart einen Bock leistet und dann von Zehntausenden ausgepfiffen wird.
Einem jungen Spieler tut das wahnsinnig weh. Es ist wichtig, die richtige Strategie zu finden, um damit fertig zu werden. Im Laufe der Jahre habe ich erkannt, dass es nichts bringt, solche Fehler zu verdrängen. Man muss, auch wenn man keine Lust dazu hat, sich das noch einmal anschauen und konstruktiv damit umgehen.
Welche Rolle spielte Ihr privates Umfeld, wenn es darum geht, solche negativen Erlebnisse zu kompensieren?
Eine sehr große und wichtige Rolle. Man braucht sowohl Leute, die sich mit dem Fußball auskennen und mit denen man darüber diskutieren kann, als auch Leute, die nichts mit dem Geschäft zu tun haben – einfach, um abschalten zu können. Und das sollte man tun, egal, ob es gerade gut oder schlecht läuft.
Sie machen stets einen gelassenen Eindruck. Ihr ehemaliger Trainer Benno Möhlmann verleitete das zu der Annahme: „Richard Golz fehlt das Feuer.“
Ich kann mir vorstellen, was er damit gemeint hat. Im Endeffekt hat mir wohl die Konstanz gefehlt, um noch mehr Erfolg zu haben. Aber es ist müßig, meine Karriere noch einmal unter der Voraussetzung durchzuspielen, dass ich mehr Feuer gehabt hätte.
Befremdet Sie der unbändige Ehrgeiz, der manche Ihrer Kollegen auszeichnet, etwa Oliver Kahn oder eben Uli Stein?
Ich kann mich durchaus ein Stück weit in meine Kollegen hineinversetzen. Aber es ist hypothetisch, mir vorzustellen, ich hätte den gleichen Ehrgeiz wie andere. Jeder muss mit seiner Mentalität durchs Leben zu kommen und das Beste rauszuholen.
Apropos Mentalität: Als Sie 1998 vom HSV zum SC Freiburg wechselten, sagten Sie: „Vor lauter Schopenhauer kommen wir gar nicht zum Trainieren.“
In Freiburg habe ich eine andere Art und Weise kennen gelernt, mit dem Fußball umzugehen. Dort wurde mehr reflektiert und miteinander geredet. Ich habe bald gemerkt: So geht es auch.
Wenn Sie nun das Geschehen nun als Zuschauer verfolgen und sehen, dass 22 Männer einem Ball hinterherlaufen – kommt Ihnen das Spiel, das Sie beinah 30 Jahre spielten, nicht absurd vor?
Keineswegs. Es ist und bleibt ja ein Spiel – und es macht einfach Spaß. Aber das ganze Drumherum… ja, das kommt mir manchmal absurd vor. Als ich anfing, gab es gerade mal die Sportschau. Heute sind bei jedem Training zehn Kameras da. Aber die Jungs, die heute Profis werden, sind ja mit dieser Art der Berichterstattung aufgewachsen und dürften weniger Schwierigkeiten damit haben als ich.