Ein­tracht Braun­schweig hat mitt­ler­weile Stel­lung zu den Vor­würfen genommen. Hier das Inter­view mit Soeren Oliver Voigt

Martin Schmidt, es heißt häufig, dass Neo­nazis ab der Jahr­tau­send­wende suk­zes­sive aus deut­schen Fuß­ball­sta­dien ver­schwunden seien. Ihre 80-sei­tige Infor­ma­ti­ons­bro­schüre kur­ven­lage – Rechte Akti­vi­täten in der Fan­szene von Ein­tracht Braun­schweig“ zeigt ein anderes Bild. Hat der deut­sche Fuß­ball ein Neo­nazi-Pro­blem?

Das heu­tige Neo­nazi-Pro­blem ist nicht mit dem aus den acht­ziger oder neun­ziger Jahren zu ver­glei­chen. Den­noch zeigen Fälle in Dort­mund, Aachen oder Braun­schweig, dass es noch Neo­nazis in Fuß­ball­sta­dien gibt. Allein, ihre Aus­drucks­formen haben sich geän­dert. Man sieht heute jeden­falls keine Glatzen in Bom­ber­ja­cken mehr, die Reichs­kriegs­flaggen schwenken.

Son­dern?
Sie haben zum Bei­spiel auch ihre Zaun­fahnen mit ihren Slo­gans und Namen. Und sie sind, jeden­falls im Ein­tracht-Sta­dion, in ihren Blö­cken aner­kannt. So wie die Fet­ten­Schweine / Hun­ger­haken Braun­schweig“ oder die Nord Power Dogs“, deren Name nicht zufällig die glei­chen Anfangs­buch­staben wie der einer rechts­extremen Partei hat. Wirk­lich pro­ble­ma­tisch ist die Gruppe Kate­gorie Braun­schweig“

Wieso?
Das ist eine sehr aktive rechte Gruppe, die vor allem Nach­wuch­shoo­li­gans in ihren Reihen hat. Im Gegen­satz zu anderen Gruppen, wie etwa der rechten Hoo­ligan-Gruppe Alten Kame­raden“, sind ihre Mit­glieder noch nicht so oft vor­be­straft. Daher sind sie inner- und außer­halb des Sta­dions bei Angriffen auf Men­schen, die nicht in ihr rechtes Welt­bild passen, feder­füh­rend. Ihre Gesin­nung zeigten sie in der jün­geren Ver­gan­gen­heit bei­spiels­weise dadurch, dass sie an der Spitze eines Fan­mar­sches anläss­lich des Auf­stiegs 2011 Parolen wie Hier mar­schiert der natio­nale Wider­stand“ skan­dierten.

Warum hat Ein­tracht Braun­schweig in der jün­geren Ver­gan­gen­heit so wenig gegen Neo­nazis unter­nommen?
Das Thema fand viele Jahre kaum mediale Beach­tung, daher konnte man es gut unter den Tep­pich kehren oder ver­harm­losen. Bestes Bei­spiel ist eine Podi­ums­dis­kus­sion Ende April (Titel: Aus der Mitte der Gesell­schaft. Was tun gegen Rechts­extre­mismus?“, d. Red.), bei dem sich ein Ein­tracht-Vor­sit­zender gerade mal zu einem Bekenntnis gegen Extre­mismus über­reden ließ. Doch schon diese Aus­sage birgt neue Pro­bleme, denn sie setzt Rechts mit Links gleich. De facto haben wir aber keine Pro­bleme mit soge­nannten Links­extre­misten, son­dern mit Rechts­extre­misten. Mit Men­schen, die andere Men­schen dis­kri­mi­nieren und auf­grund von Her­kunft oder Geschlecht selek­tieren und angreifen.

Ein­tracht-Geschäfts­führer Soeren Oliver Voigt sagte auf der Podi­ums­dis­kus­sion zum Thema Rechts­extre­mismus bei Ein­tracht Braun­schweig: Ich glaube nicht, dass wir aktiv ein­greifen müssen, weil ich nicht glaube, dass wir dieses Pro­blem haben.“
Es ist daher nicht ver­wun­der­lich, dass auch das Fan­pro­jekt kaum etwas gegen das Pro­blem unter­nimmt. In dem Arbeits­profil des neuen Fan­be­auf­tragten ist von prä­ven­tiven Maß­nahmen gegen Gewalt oder Alko­ho­lismus die Rede, doch dort steht nicht ein Wort dar­über, wie man Ras­sismus bekämpfen kann.

Laut Ihrer Bro­schüre gibt es auch per­so­nelle Über­schnei­dungen der Braun­schweiger Neo­nazi-Szene und den Sicher­heits­kräften im Ein­tracht-Sta­dion. Wieso lässt der Verein so etwas zu?
Das ist die große Frage. Tat­säch­lich sym­pa­thi­sieren einige Ordner mit der rechten Gruppe Alte Kame­raden“.

Welche Aus­wir­kungen hat das auf den Fan­block?
Zum einen fragt man sich natür­lich, wie diese Leute ihren Job ver­richten. Wie sollen diese Ordner Fans mit Thor-Steinar“-Klamotten den Ein­tritt ver­wehren, wenn sie diese selber tragen. Ande­rer­seits soli­da­ri­sieren sich die Ordner auch gerne mit den Neo­nazis, wenn es hart auf hart kommt. Als im Dezember 2007 die Ultras Braun­schweig“ beim Spiel gegen den VfL Wolfs­burg II im eigenen Block von der rechte Fan­gruppe Horn­burger Jungs“, HJ, ange­griffen wurden, ertönten zunächst Ultras-raus!“-Rufe. Danach schritten die Ordner ein. Ein Ordner trug eine Mütze der Marke Thor Steinar“ und stellte sich demons­trativ auf die Seite der Rechten. Auf einem Foto, das von dieser Aus­ein­an­der­set­zung exis­tiert, kann man sehr gut erkennen, wie er die Kon­fron­ta­tion mit den Ultras sucht.

Ist dieser Ordner Teil eines Secu­rity-Unter­neh­mens oder wurde er vom Verein ein­ge­stellt?
Er kommt von einer externen Firma, steht aber bereits seit sieben oder acht Jahren vor Block 9. Erwäh­nens­wert ist außerdem, dass der Verein ver­diente Ordner auch zu Aus­wärts­spielen mit­nimmt. Der besagte Ordner gehört dazu. Ihm ver­traut man also. Auch beim Heim­spiel am ver­gan­genen Samstag gegen den VfL Bochum war er im Ein­satz. Da war es wieder einmal erschre­ckend zu sehen, wie Ordner und Neo­nazis mit­ein­ander kom­mu­ni­zieren. Manchmal geht es dabei nur um Gesten oder Blicke. Da standen etwa Ordner und Neo­nazis am Auf­gang und unter­hielten sich über die Gescheh­nisse der letzten Tage und beäugten Mit­glieder der Initia­tive oder von Ultras Braun­schweig“ am Geträn­ke­stand.

Ihre Bro­schüre erschien drei Tage vor dem Spiel gegen den VfL Bochum. Haben Sie mit Reak­tionen der Neo­nazis gerechnet?
Wir haben befürchtet, dass was folgen wird. Des­halb sind wir sehr früh ins Sta­dion gefahren. Und natür­lich gab es Sprüche. Der erste stammte von einem alten Bekannten, ein ehe­ma­liger Vor­sänger der Fan­kurve. Er sagte: Ihr kommt hier nicht lebend raus!“ Dieser Mann hat übri­gens etliche Pri­vi­le­gien im Sta­dion. Er darf zum Bei­spiel seine eigenen Fan­kla­motten und Schals ver­kaufen. Später sah ich ihn noch einmal, da zog er seinen Daumen über seine Kehle. Ende der zweiten Halb­zeit ent­rollten wir dann das Banner Keine Ein­tracht mit Nazis“.

Wie sind Sie aus dem Sta­dion gekommen?
Wir mussten nach dem Schluss­pfiff etwa 30 Minuten im Block warten, da die Polizei die Situa­tion außer­halb des Sta­dions nicht unter Kon­trolle bekam. Schließ­lich wurden wir, Mit­glieder der Initia­tive und von Ultras Braun­schweig“, im Poli­zei­kessel zum Gäs­te­park­platz geleitet, um dort per Shut­tlebus in einen anderen Stadt­teil gebracht zu werden. Die rechten Hoo­li­gans ver­suchten wäh­rend­dessen zu unserer Gruppe durch­zu­bre­chen und diese anzu­greifen.

Woher wussten die Hoo­li­gans über Ihren Plan Bescheid?
Das wissen wir nicht. Unseren Abfahrtsweg kannten nur Mit­ar­beiter, des Ver­eins, das Fan­pro­jekt, die Polizei – und die Ordner.

Ihrer Initia­tive gehören auch einige Braun­schweiger Ultras an. In den Jahren zuvor haben sich die Ultras und aktiven Fans aller­dings ähn­lich lethar­gisch ver­halten wie der Verein. Warum?
In den acht­ziger und neun­ziger Jahren sind die Braun­schweiger Hoo­li­gans sehr aktiv gewesen. Vor allem die rechten Hools haben sich über die Zeit eine Hoheit im Sta­dion erar­beitet, so dass sogar Mit­glieder der mitt­ler­weile ver­bo­tenen FAP offen Wer­bung vor dem Sta­dion machen konnten. Nachdem die Ultras auf­kamen, gab es nie einen wirk­lich großen Bruch, was vor allem daran lag, dass einige Mit­glieder der frühen Braun­schweiger Ultra-Szene auch rechts waren. Es gab also nur einen kleinen Teil von aktiven Fans, der dagegen oppo­nierte. Doch das Gewalt­mo­nopol lag und liegt eben bei den rechten Hoo­li­gans.

Wie steht es heute um die Ultra­szenen?
Die Ultras Braun­schweig“ haben sich mitt­ler­weile gesund­ge­schrumpft. Von 150 Leuten sind viel­leicht noch 50 da. Sie werden aktiver werden, denn sie kreiden sich auch selbst an, in der Ver­gan­gen­heit zu wenig gegen die Neo­nazis im Sta­dion unter­nommen zu haben. Die Stim­mung im Fan­block wird aktuell aber maß­geb­lich von Cat­tiva Bruns­viga“ orga­ni­siert. Eine Gruppe die sich als unpo­li­tisch bezeichnet, aber auch keinen Kon­takt mit rechten Hoo­li­gans scheut.

Welche Reak­tionen haben Sie auf Ihre Infor­ma­ti­ons­bro­schüre bekommen?
Der Verein will das Pro­blem prüfen. So heißt es jeden­falls in einem Bericht der taz“. Ansonsten hoffe ich auf breite Soli­da­rität.

Auch unter den nor­malen Fans?
Es gibt ein Kern­pro­blem bei der Dis­kus­sion um Neo­nazis beim Fuß­ball: Viele Leute denken, dass die­je­nigen, die solche Themen anspre­chen, dem Verein ins Knie
schießen wollen. Doch darum geht es nicht. Es geht darum, dass es Pro­bleme gibt, die man benennen und die man bekämpfen muss.