Harris, erst einmal: Herz­li­chen Glück­wunsch!
Wie? Was los?

Dein Hertha-BSC-Fan­club United Colours of Hertha“ (UCoH) fei­erte jüngst seinen ersten Geburtstag. Zum Feiern war euch aber wahr­schein­lich eher nicht zumute?
Gefeiert wird immer. Wir sind viele Musiker, Künstler, Multi-Kulti, über 50 Leute. Wenn es was zu feiern gibt, sind wir natür­lich vorne mit dabei.

Dann ver­gisst man auch, dass die Hertha auf dem Sink­flug in Rich­tung zweite Liga ist?
Das ver­gisst man nicht, Alter. Das tut weh. Jedes ein­zelne Spiel tut im Herzen weh. Und trotzdem sind wir immer im Sta­dion. Gegen­tri­büne-Ober­ring ist unser Block. Da zeigen wir Flagge.

Wie sieht das aus?
Wir kommen alle irgendwo aus dem HipHop. Da ist repre­senten natür­lich wichtig. Wir haben eigene Col­lege-Jacken, Band­anas, Shirts. United Colours of Hertha“ erkennt man auf den ersten Blick.

Du bist Rapper und DJ. Wie ist Harris als Fuß­ballfan?
In erster Linie will ich Fuß­ball gucken. Klar, wir prollen auch rum und haben unseren Spaß. Das gehört doch dazu. Aber wenn der Ball rollt, bin ich fixiert. Ich bin keiner, der in der Kurve steht, die Fahne schwenkt und nichts vom Spiel mit­kriegt. Dafür gehe ich nicht ins Sta­dion.

Seit wann machst Du die Berg-und-Tal-Fahrt mit der Hertha eigent­lich schon mit?
Ich bin Ber­liner, in Kreuz­berg auf­ge­wachsem und gehe seit meiner Kind­heit zur Hertha. Die beschis­senen Jahre, die großen Jahre, ich war immer dabei. Beim Cham­pions-League-Spiel gegen Gala­ta­saray Istanbul durfte ich sogar vor der Ost­kurve spielen.

Dein größter Moment als Fan?
Auf jeden Fall. Und mein schlimmster. Als die Hertha anrief und fragte, ob wir als Spe­zia­liztz (Harris und Dean Dawson Anm. d. Red.) im Sta­dion auf­treten wollen, dachte ich im ersten Moment, die würden uns ver­ar­schen. Aber dann hat man mir erklärt, dass sie unseren Auf­tritt auch als Zei­chen für mehr Tole­ranz sehen. Am Tag selbst war ich krass nervös. Ich bekam tau­send Anrufe von meinen tür­ki­schen Kum­pels, die wollten, dass ich beim Auf­tritt auch Gala­ta­saray sup­porte. Nix da, habe ich denen gesagt.

Klingt noch nicht so schlimm.
Kurz vor dem Anpfiff sollten wir dann vor der Ost­kurve los legen. Ich stand da, Con­ti­nen­tale-Trikot an, brüllte Ha-Ho-He“, das ganze Pro­gramm. Aber die Leute, alles Hertha-Atzen, buhten, beschimpften uns, manche schrien: Nigger, ver­piss Dich!“ Das war wie ein Schlag in die Fresse.

Was hast Du gemacht?
Ich schrie Ihr Huren­söhne“ und bin nach Hause gegangen. An dem Tag habe ich mit geschworen, nie wieder zu einem Hertha-Spiel ins Olym­pia­sta­dion zu gehen.

Wie lange hast Du das aus­ge­halten?
Über drei Jahre. Ich habe natür­lich weiter die Spiele geguckt, nur vor der Glotze. Und nicht mehr mit der glei­chen Pas­sion wie vor diesem Abend. Irgend­wann bin ich ins Westend gezogen, jeden Samstag habe ich die Leute zum Sta­dion gehen sehen. Jeden Samstag krib­belte es um 15:30 Uhr. Aber ich bin nicht mehr hin­ge­gangen.
Und wieso gehst Du heute wieder?
Egal, wo ich hinkam, haben die Leute immer gesagt: Wie kannst Du Hertha-Fan sein? Das ist doch ein Fascho-Verein.“ Aber ich habe das eben nur an diesem Abend mit­be­kommen. Und eines Tages habe ich mir gedacht: Ich lass mir von diesen Arsch­lö­chern nicht meinen Fuß­ball weg­nehmen.“ Ich grün­dete mit meinen Leuten United Colours of Hertha“. Wir stehen für Tole­ranz und Inte­gra­tion und der Verein machte uns sogar zum 100. Fan­club. Wie geil ist das, bitte?

Andere hätten sich in so einem Moment viel­leicht einen anderen Verein gesucht?
Auf keinen Fall. Ich bin Ber­liner. Ich bin Her­thaner. Ich ver­stehe die Leute nicht, die sich einen Verein aus einer anderen Stadt suchen. Das finde ich unmög­lich. So etwas erlaubt mir mein Ber­liner Ego gar nicht. Außerdem ist es doch auch geil, Fan von einem Klub zu sein, der nicht kon­stant erfolg­reich ist. Titel feiern kann jeder, leiden muss man lernen.

Mar­teria hat uns mal erzählt, dass er sich immer rech­fer­tigen muss, weil er Hansa-Ros­tock-Fan ist.
Aber genau so etwas liebe ich. Das macht doch Spaß, wenn man vor eine Gruppe Unioner tritt und sein Hertha-Trikot zeigt. Dann gehen die Dis­kus­sionen los, dann wird sich gestritten. Und dann kann ich mit breitem Grinsen sagen: Leute, die schönste Frau ist doch immer noch Hertha.“

Mit der Hertha geht es seit Jahren auf und ab. Allein in dieser Saison wurden schon zwei Trainer ent­lassen, Otto Reh­hagel als Heils­bringer geholt und trotzdem steht die Hertha auf Platz 17 und mit einem Bein in Liga zwei. Was läuft eigent­lich falsch beim Haup­stadt­klub?
Das gehört ein­fach zur Hertha. Der Verein ist eine ein­zige Wel­len­be­we­gungen. Da gehört auch zweite Liga dazu. Ich hoffe ein­fach, dass dann end­lich auch ein Rei­ni­gungs­prozeß im Inneren des Ver­eins statt­findet.

Der Abstieg würde Dir nicht weh tun?
Natür­lich, es bricht mir das Herz. Aber es ist nicht so schlimm wie noch vor zwei Jahren. Damals war es ein­fach nur hart. Der Abstieg hat mich fertig gemacht.

Die Ex-Her­thaner Jerome und Kevin Prince-Boateng sind mitt­ler­weile Welt­stars, Askhan Dejagah ist in Wolfs­burg zum zen­tralen Mann geworden, Sejad Sali­hovic bei Hof­fen­heim. Beißt Du abends auch mal ins Kissen, wenn Du bedenkt, dass diese Jungs heute auch alle bei der Hertha spielen könnten?
Wer weiß, wo die Jungs heute stehen würden, wenn sie in Berlin geblieben wären? Zur Ent­wick­lung als Fuß­baller gehört eben auch dazu, dass man sich als Mensch ent­wi­ckelt. Viel­leicht muss man dazu raus aus Berlin, die Welt sehen. Man kann also nicht pau­schal sagen, dass die Hertha mit Kevin und Jerome in der Mann­schaft heute die Liga rocken würde. Natür­lich würde ich mir wün­schen, dass dieser ganze Haufen eines Tages wieder im Hertha-Trikot auf­laufen wird. Aber ich gönne jedem ein­zelnen den Erfolg auf einer anderen Stufe.

Ein anderes ehe­ma­liges Hertha-Talent, Patrick Ebert, ist immerhin Ehren­mit­glied von United Colours of Hertha“.
Ja, super geil. Patrick wird oft sehr falsch dar­ge­stellt, er ist echt ein super Typ. Legendär war sein Auf­tritt auf unserer Auf­stiegs­feier im letzten Sommer. Wir hatten ihm aus Spaß Bescheid gesagt, dass wir eine kleine Feier machen. 20 Leute, kleiner Kreis, ein biss­chen Party und so weiter. Spät in der Nacht ging die Tür auf, Patrick kam rein und hat gleich die ganze Mann­schaft mit­ge­bracht. Uns ist fast die Kinn­lade raus­ge­flogen. Dann haben ein paar Spieler ihre Iphones raus­ge­holt, ihre Songs auf­ge­legt. Der Hammer. Viel­leicht die beste Auf­stiegs­feier in ganz Berlin.

London hat Arsenal, Chelsea, Tot­tenham und Co. Madrid hat Real, Paris den PSG. Warum kriegt eine Welt­stadt wie Berlin es eigent­lich nicht hin, einen großen Fuß­ball­verein auf­zu­bauen?
Das ist echt der Hass. Ich hasse es, dass wir der ein­zige euro­päi­sche Haupt­stadt­verein sind, der nichts rockt. Ich kriege das ein­fach nicht in meinen Kopf, wie all die Ver­suche immer wieder gran­dios schei­tern können. In allen anderen Sport­arten sind wir Chef, nur im Fuß­ball geht nichts. Viel­leicht kommt irgend­wann ein Scheich und macht sich in Berlin breit. Dann kommen wir!

Erstaun­lich ist, dass es im Erfolgs­fall sogar viele Hertha-Fans in der Stadt gibt. Als es unter Lucien Favre um die Meis­ter­schaft ging, war das Sta­dion voll und jede Kneipe zeigte Hertha-Spiele.
Das ist doch normal. Wenn der Erfolg da ist, sind die Leute da. Wenn es bei Minus vier Grad gegen Glad­bach geht, kommt kein Mensch. Aber für mich zeigt es, dass die Leute in Berlin Bock auf großen Fuß­ball haben. Durch die stän­digen Auf- und Abstiege hat die Hertha halt auch keine der­maßen große Fan­struktur wie Dort­mund oder der HSV. Das muss sich ent­wi­ckeln. Aber dazu gehört eben auch sport­li­cher Erfolg.

Und viel­leicht ein neues Sta­dion?
Nein, es ist eine Ehre in diesem Sta­dion zu spielen. Natür­lich gehen 40.000 Leute in diesem Sta­dion unter und es sieht halb­leer aus. Aber dafür, dass unsere letzte Meis­ter­schaft 70 Jahre her ist und wir gerade auf dem Weg in die zweite Liga sind, ist ein Schnitt von über 40.000 Zuschauern doch echt fett.

Viele kommen auch, um noch einmal Otto Reh­hagel an der Sei­ten­linie zu sehen.
Auch so ein Ding. Wel­cher Klub ist so geil und holt Otto Reh­hagel aus der Rente? Das macht nur die Hertha! Und es würde mich nicht mal wun­dern, wenn er nun wieder den Libero auf­stellt. Was soll’s? Wenn das am Ende Hertha vor dem Abstieg rettet, dann fallen sich alle in die Arme und feiern Otto. Und eins ist sicher: Ich bin mit­ten­drin.

Und dann gibt es die beste Nicht-Abstiegs­feier der Stadt bei United Colours of Hertha“?
Auf jeden. Das wird tight, Alter.