Pierre Litt­barski, waren Sie eine Fum­mel­kutte?
Bei uns hieß das früher Fum­mel­könig. Sagen wir so: Ich habe den Ball ganz gerne behalten. Bei mir war er ja sicher.

Wovor?
Vor den Gegen­spie­lern! Ich bin auf einem kleinen Bolz­platz in Berlin-Wil­mers­dorf auf­ge­wachsen, da war nicht viel Platz. Und meine Auf­gabe war es, den Ball zu beschützen. Meine Vor­bilder waren Stan Libuda und der Bra­si­lianer Jair­z­inho. Die haben den Ball gestrei­chelt, nicht getreten. Später fand ich Alan Simonsen und natür­lich Johan Cruyff groß­artig. Wobei Cruyff von den vier genannten Spie­lern ver­mut­lich als Ein­ziger auch heute noch Chancen hätte, auf dem Platz zu bestehen.

Warum?
Weil er ein Tem­po­dribbler war und nur so kann man im Fuß­ball der Gegen­wart noch bestehen. Das Spiel ist viel schneller und ath­le­ti­scher geworden, die Räume enger, weil wesent­lich mehr Bewe­gung in der Defen­sive ist. Die klas­si­sche Eins-gegen-Eins-Situa­tion gibt es nur noch selten, meis­tens stehen dem Angreifer zwei oder mehr Gegen­spieler gegen­über. Die Zeit der klas­si­schen Fum­mel­kutten ist vorbei.

Warum so pes­si­mis­tisch?
Das ist nicht pes­si­mis­tisch, son­dern rea­lis­tisch. Ver­glei­chen Sie Bun­des­li­ga­spiele von vor 30 Jahren mit heute: die Räume sind enger, es gibt viel weniger Grät­schen. Mal eben ein wenig durchs Mit­tel­feld zau­bern ist nicht mehr drin. Wer heute als Drib­bel­künstler Erfolg haben will, muss schon sehr ziel­ge­richtet spielen. Ich nenne diese Spieler Effektiv-Dribbler“. Also Jungs, die den Zwei­kampf suchen, weil sie damit einen Zweck ver­folgen, näm­lich den Tor­ab­schluss oder die Tor­vor­lage. Abso­luter Gigant in dieser Kate­gorie ist natür­lich Lionel Messi, er ist der mit Abstand beste Fuß­baller der Welt.

Das wird Cris­tiano Ronaldo nicht gerne hören.
Ronaldo gefiel mir richtig gut, als er noch bei Man­chester United spielte. Da machte er seine Gegen­spieler frisch, um danach zum Abschluss zu kommen. Das hat sich ein wenig geän­dert, er nutzt das Dribb­ling, um sich vom Gegen­spieler zu lösen, ist dabei aber nicht so ziel­ge­richtet. Was nichts daran ändert, dass er ein groß­ar­tiger Fuß­baller ist.

Gerade bei Ronaldo sieht man Tricks, die so früher nicht zu beob­achten waren. Hatten Sie und die Fum­mel­kö­nige Ihrer Zeit den vier­fa­chen Über­steiger nicht drauf?
Och, bestimmt. Aber mir ging es nicht darum, den Gegner auf beson­ders kunst­volle Art und Weise aus­zu­tricksen, ich wollte ein­fach nur irgendwie vorbei – und das so schnell wie mög­lich. Über­steiger oder Ball­streichler sehen super aus und machen sicher­lich manchmal auch Sinn, häufig sind es aber ein­fach Zeit­stopper.

Was ist mit dem guten alten Bein­schuss?
Den habe ich auch gerne ein­ge­streut. Aller­dings nicht, um den Gegner zu ver­ar­schen, son­dern um den Ball zu behalten. Ich bin wirk­lich kein großer Freund davon, die eigenen Fähig­keiten ein­zu­setzen, um den Gegen­spieler zu ver­al­bern. Jay Jay Okocha oder noch früher Ente“ Lip­pens waren solche Typen mit unglaub­li­cher Ball­be­hand­lung, die meiner Ansicht aber immer einmal zu viel den Gegen­über ver­äp­peln wollten. Damit konnte ich mich nie richtig anfreunden.