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Dieser Mann hat die schönste Samm­lung der Welt: Michael Dennis sam­melte Kur­ven­ge­sänge aus aller Welt – und stellt sie auf seiner Home­page zur Ver­fü­gung. Ein Inter­view über rumä­ni­sche Bank­räuber, Mario Balotelli und die schönsten Gesänge der Welt.

Die Samm­lung ist beein­dru­ckend: Über 20.000 Fan­ge­sänge aus über 40 Län­dern sind auf der Seite fan​chants​.com schon ver­zeichnet – dar­unter Rari­täten aus Indo­ne­sien und Ecuador. Wer bisher noch glaubte, beim Fuß­ball gebe es aus­schließ­lich sinn­loses Gegröle, wird hier eines Bes­seren belehrt.

Gründer von fan​chants​.com ist, wie könnte es anders sein, ein Eng­länder. Michael Dennis (43) stammt aus Bedale im Norden Eng­lands, lebt aber seit einiger Zeit in Thai­land und ver­bringt einen Groß­teil der Zeit unter­wegs in den Sta­dien der Welt. Wir errei­chen ihn wäh­rend einer Süd­ame­rika-Reise in der Nähe von Medellin in Kolum­bien.

Michael Dennis, bei Süd­ame­rika denken wir an heiß­blü­tige Lei­den­schaft auf dem Platz und auf den Rängen. Was sind Ihre Ein­drücke?
Michael Dennis: Jedes Land hat seinen eigenen Zugang dazu, das Spiel zu genießen, zu singen und zu feiern. Argen­ti­nien etwa steht für Mari­huana und Bier. Dazu wird zehn Minuten lang zum selben Song getanzt und gesungen, ganze Bands begleiten das. In Kolum­bien, wo ich jetzt bin, ist es ähn­lich, die Lieder und Bewe­gungen gehen aber eher in Rich­tung Salsa.

Was hat Ihre Lei­den­schaft für Fan­ge­sänge geweckt?
Michael Dennis: Auf jeden Fall die Spiele von Leeds United – seit den Acht­zi­gern und bis heute. Ich habe es geliebt, im Zug mit ein paar Bier, Freunden und meinem Bruder zu Aus­wärts­spielen zu fahren. Wir haben alles dafür gegeben, das Drama des Spiels mit­zu­ge­stalten. Sei es, um mit Gesängen die eigene Mann­schaft anzu­treiben oder dem Gegner das Leben schwer zu machen. Das war wie eine Droge. Wir waren immer eine Stunde eher an der Elland Road, um die Stim­mung anzu­kur­beln und zum Schluss­pfiff waren wir alle total erschöpft.

Der Umfang der Samm­lung ist enorm. Einige der Gesänge wurden von Nut­zern aus aller Welt zuge­schickt. Welche Natio­na­lität ist dabei beson­ders eifrig?
Michael Dennis: Das schwankt. In den letzten Monaten haben wir viele Auf­nahmen aus Bra­si­lien bekommen, seit letztem Monat dann Gesänge aus Indo­ne­sien. Es ist schon toll zu sehen, wie sich das Pro­jekt immer weiter ver­breitet, denn nur durch die Fans bleibt die Seite aktuell. Im Gegenzug bear­beiten wir die Auf­nahmen, über­setzen die Gesänge und stellen sie als Gratis-Down­load zur Ver­fü­gung. Zur­zeit arbeiten wir mit einem Albaner, einem Iraner und einem Zyprioten daran, ihre Songs ein­zu­stellen. Zuschau­er­zahlen von 90.000 oder mehr gibt es an den aus unserer Sicht merk­wür­digsten Orten, aber für die gehört das schon ewig dazu.

Welche Erfah­rungen haben Sie in Deutsch­land gemacht?
Michael Dennis: Deutsch­land gehört natür­lich zu den großen Fuß­ball­na­tionen, auch bei den Fans. Es gehört zu den Län­dern, wo ich am liebsten Fuß­ball schaue. Mir gefallen die herr­li­chen alten und neuen Sta­dien, das gute Bier und das Gefühl, dass sich alles um die Fans dreht, das gibt es sonst sehr selten. Überall auf der Welt werden Fans meis­tens zusam­men­ge­trieben und wie Tiere behan­delt. Teil­weise ist das berech­tigt, aber meis­tens ist es unnötig und in Deutsch­land ist das viel sel­tener.

Und die Fan­ge­sänge?
Michael Dennis: Da ist Deutsch­land eben­falls beson­ders. Die Gesänge sind sehr gut orga­ni­siert und fast jeder Mann und jede Frau macht mit. In großen Sta­dien wie in Dort­mund oder Kai­sers­lau­tern funk­tio­niert das zum Bei­spiel wun­derbar. Mir hat auch Köln gut gefallen und ich erin­nere mich an einen sehr bewegten Tag im Gäs­te­block von Hansa Ros­tock.

Was hat Sie bei Ihrer Sam­mel­ar­beit am meisten über­rascht?
Michael Dennis: Früher sind wir viel in einem Wohn­wagen durch Europa zu den Spielen gefahren. Ein Mal haben wir die Nacht auf einer Tank­stelle mitten in Spa­nien ver­bracht. Als wir auf­wachten, stellten wir fest, dass wir im Wagen mit Gas betäubt worden waren. Alles, was wir dabei hatten, war gestohlen worden, Pässe, Com­puter, Geld und sogar Kla­motten. So was haut dich schon um. Ins­ge­samt wurden wir jetzt schon neun Mal beraubt, in unter­schied­li­chen Aus­maßen. Das hatte aller­dings nicht immer mit Fuß­ball zu tun. Kürz­lich wurden wir von fünf Typen in Argen­ti­nien über­fallen. In Ita­lien hat uns die Polizei mit vor­ge­hal­tener Pis­tole durch­sucht: Die hielten uns für rumä­ni­sche Gauner, die die nächste Bank aus­rauben wollten, und das nur, weil wir draußen wohnten.

Glauben Sie, die Unter­stüt­zung von den Rängen kann die Leis­tung der Spieler beein­flussen?
Michael Dennis: Ein klares Ja, defi­nitiv. Und zwar sowohl positiv als auch negativ. Fuß­ball funk­tio­niert vor Ort immer am besten, besser als im Fern­sehen. Die Energie liegt förm­lich in der Luft und, gerade bei wich­tigen Spielen, nimmt dich das emo­tional mit durch alle Höhen und Tiefen. Die Gesänge und Lieder sind ein Teil davon. Ich bin sicher, dass diese Energie die Spieler genauso erreicht wie die Fans und damit auch das Spiel beein­flusst.

Trotz all der Begeis­te­rung für Fan­ge­sänge: Das Liedgut in Fuß­ball­sta­dien ist teil­weise auch poli­tisch radikal…
Michael Dennis: Ja, da gibt es auch sehr geschmack­lose Songs. Ras­sis­ti­sche, homo­phobe oder sek­tie­re­ri­sche Gesänge erhalten auf unserer Seite aber keine Platt­form. Poli­ti­sche Rufe sind an einigen Orten häu­figer als anderswo, aber sie sind nicht die Norm.

In Deutsch­land hatte kürz­lich die Ope­rette Fan­ge­sänge“ ihre Pre­miere. Ihr Autor Jörg-Menke Peit­zmeyer for­derte auf 11freunde​.de mehr Sta­di­on­dichter“. Ist das neben der Spur oder berech­tigt?
Michael Dennis: Ich denke, er hat Recht. Abwechs­lung ist die Würze des Lebens und Fuß­ball­lieder sollten sich immer wei­ter­ent­wi­ckeln. Sie sollten auf den Spiel­ver­lauf oder Vor­gänge in der Mann­schaft oder unter den Fans ein­gehen. Das ist es, wo die bri­ti­schen Fans wirk­lich her­aus­ragen. Es geht doch letzt­lich darum: Irgendwo in der Menge fängt jemand an zu singen und von dort breitet sich die Anfeue­rung aus. In Eng­land nimmt min­des­tens die Hälfte davon Bezug aufs Spiel, klas­si­sche Hymnen spielen eine gerin­gere Rolle. Anders als in Kon­ti­nen­tal­eu­ropa gibt es keine Typen mit Megafon, die die Gesänge diri­gieren. Das för­dert die Krea­ti­vität.

Viele Fans beklagen sich über die Kom­mer­zia­li­sie­rung des Fuß­balls. Sind die Anhänger aus der Arbei­ter­klasse wirk­lich die bes­seren, wäh­rend rei­chere still in ihren Ses­seln hocken?
Michael Dennis: In einigen Län­dern scheint das so zu sein, etwa in Spa­nien. In Eng­land, Deutsch­land oder auch Argen­ti­nien erreicht der Fuß­ball aber, denke ich, alle Klassen. Ten­den­ziell ist es schon so, dass die beson­dere Atmo­sphäre eher von den bil­ligen Plätzen aus­geht. Aber mir fällt auch ein anderes Erlebnis aus Deutsch­land ein: Neben mir saßen auf den vor­nehmen Rängen zwei gut geklei­dete Pär­chen mitt­leren Alters, eins für Schalke, eins für Stutt­gart. Es war ein hit­ziges Spiel und es gab viele Tore. Nach jedem Treffer mussten sich sowohl die Frauen als auch die Männer zurück­halten, um nicht auf­ein­ander los­zu­gehen! Ich sah mir das ver­gnügt an, wie da nach jedem Tor gegen­seitig Salz in die Wunde gestreut wurde. Das war große Unter­hal­tung, aber auch total lei­den­schaft­lich.

Apropos vor­nehm: Haben Sie schon was aus Katar gehört? Bis zur WM 2022 sind es ja nur noch zehn Jahre.
Michael Dennis: Nein, bis jetzt gab es da noch nichts Nen­nens­wertes. Die Gesänge wären aber sicher genauso falsch und kor­rupt wie die Ver­gabe der Welt­meis­ter­schaft dorthin…