Michael Anicic galt als eines der größten deutschen Talente. Dann druckte er eigene Autogrammkarten und ließ sich halbnackt fotografieren – es war das Ende seiner Bundesligakarriere.
Michael Anicic, Sie leiten seit einigen Jahren eine Fußballschule. Haben Sie schon den neuen Michael Anicic gesehen?
Das Spielertalent oder den Jungen, der im Designeranzug im „Sportstudio“ saß?
Sowohl als auch.
Ich habe hier gute Nachwuchsspieler gesehen. Bei einigen kann ich mir durchaus vorstellen, dass sie ihren Weg gehen werden. Die meisten Jungs wissen natürlich noch nicht, wie das Fußballgeschäft läuft. Es liegt da auch an mir, sie auf eine eventuelle Profilaufbahn vorzubereiten. Sie sollen nicht dieselben Fehler machen wie ich.
Sie spielten Anfang der Neunziger bei Eintracht Frankfurt und hatten Angebote vom VfB Stuttgart, Bayer Leverkusen oder dem FC Bayern. In Ihrer gesamten Bundesligakarriere haben Sie allerdings nur 35 Spiele gemacht. Was lief schief?
Wo soll ich nur anfangen? (überlegt) Vielleicht in meiner Jugend. Wissen Sie, ich bin in Frankfurt geboren, war immer schon Eintracht-Fan, habe alles von dem Verein gesammelt, jedes Spiel geschaut. Nach dem Training der Profis warteten meine Freunde und ich am Riederwald und fragten die großen Stars nach Autogrammen. Spieler wie Lajos Detari, Charly Körbel oder Wlodzimierz Smolarek.
Sie wollten so werden wie sie?
Diese Jungs sahen cool aus, sie waren Stars – und dennoch freundlich und nahbar. Ich kickte damals jeden Tag, es gab ja noch keine Playstation, kein Internet, und im Fernsehen hatten wir nur drei Programme. Also ging es nach der Schule immer zum Training der Eintracht-Jugendmannschaften oder raus auf den Bolzplatz. Ich übte Tricks und Schüsse. Jeden Tag, bis es dunkel wurde.
Wann wurde Dragoslav Stepanovic auf Sie aufmerksam?
In der Saison 1992/93. Ich trainierte als 18-Jähriger schon bei den Profis mit, und ich fühlte mich großartig, dachte, bald geht es richtig los. Es war der 6. März um die Mittagszeit, als mich Stepi zur Seiten nahm und sagte, dass ich heute in der Startelf stünde. Es war der Tag, an dem Frankfurt gegen die Bayern spielte. Ich war baff.
Später sagte Stepanovic: „Ich stellte ihn auf, weil ich die Fans und mich nicht langweilen wollte. Ich wollte uns alle mal wieder überraschen.“ Waren Sie ein Experiment?
Ich sah ihn vor dem Spiel noch fragend an, vielleicht sogar ein bisschen ängstlich, doch er legte mir die Hand auf die Schulter und sagte in seiner ihm typischen Art: „Micha! Denke nicht, du spielst heute schlecht.“ Ich fragte ihn: „Warum glaubst du das?“ Er sagte: „Weil du letzte sechs Monaten bei jedde Training 120 Prozent gegeben hast. Ich habe dich beobachtet, mein Junge! Du bist bereit!“ Drei Stunden später stand ich plötzlich auf dem Platz des Olympiastadions. Direkt neben mir: Lothar Matthäus. Ich war ein wenig nervös, aber das ging nach zehn Minuten vorbei. Ich spielte wie immer, vollkommen unbekümmert und offenbar recht gut. Auch wenn wir 0:1 verloren, feierten mit die Journalisten und Fans.
Stepi sagte danach: „Junge liegt Ball am Fuß wie Klebe.“ Haben Sie sich mal gefragt, was passiert wäre, wenn Sie in diesem Spiel eher unauffällig gespielt hätten?
Klar. Wie wäre meine Karriere dann verlaufen? Hätte ich den ganzen Wechselzirkus miterlebt? Hätte ich zehn Jahre später noch bei der Eintracht gespielt?
Erzählen Sie, was nach dem Spiel los war.
Die Reporter rissen sich um mich. Es war die Zeit, als TV-Sendungen wie „ran“ den Fußballjournalismus mit Geschichten abseits des Platzes verändern wollten. Das ganze Geschäft wurde immer größer und aufgeblasener, die Vereine hielten da anfangs nicht richtig mit.
Was meinen Sie?
Heute muss ein Journalist für Interviews Anfragen an Berater oder Pressesprecher stellen, es gibt etliche Hürden und Filter. Manchmal geht eine solche Anfrage über fünf Schreibtische. Damals standen die Reporter aber einfach an deiner Wohnungstür oder haben dich auf dem Parkplatz abgefangen. „Hallo, Micha, ein paar Fragen.“ Ich habe es mitgemacht, denn ich war komplett ahnungslos, was das für Auswirkungen haben könnte. Es gab niemanden, der mich gebremst hat.
Keine Medienschulungen, niemanden, der einen Karriereplan mit mir machte. Ich war Freiwild und schlidderte total unvorbereitet in diesen Profi-Zirkus hinein.