Marko Arn­au­tovic, vor kurzem wurden Sie im Nord­derby gegen den HSV des Feldes ver­wiesen. Sie hatten einen Schuss in Rich­tung des Schieds­rich­ters Thorsten Kin­höfer ange­täuscht, den dieser als Angriff auf sich wer­tete. Sind Sie noch wütend des­wegen?
Naaa, das passt schon.

Klingt, als wären Sie mit der Ent­schei­dung ein­ver­standen.
Das wollte ich damit nicht sagen. Aber ich kann mich ja nicht ewig dar­über auf­regen. Ich muss zusehen, dass ich mich auf jetzt und die Zukunft kon­zen­triere und im Trai­ning wieder Gas gebe. Wut ist da nur Bal­last.

Gibt es denn einen Moment, über den Sie sich heute noch ärgern?
Ja, meine ver­ge­bene Groß­chance im EM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel gegen Deutsch­land letzten Herbst.

Sie hatten kurz vor Schluss das 2:2 auf dem Fuß.
Und dann ist mir der Ball ganz blöd über den Spann gerutscht. Daran denke ich immer noch von Zeit zu Zeit. Aber ich weiß auch, dass ich das nicht rück­gängig machen kann. Ich kann nur sagen, dass es mir leid tut und dass ich es beim nächsten Mal anders machen will.

Können Sie sich ande­rer­seits an einen Moment erin­nern, der Ihnen per­fekt vorkam?
Ja, als ich im ver­gan­genen Dezember beim 4:1 in Hof­fen­heim drei Tore schoss. Das war wohl das beste Spiel meiner Kar­riere. Ein fan­tas­ti­scher Tag!

Wie fühlt es sich an, wenn man vor Zehn­tau­senden ein Tor schießt?
Ein­fach genial! Das Beson­dere an diesem 4:1 war, dass wir aus­wärts spielten, und ich hörte von Anfang an die Schmäh­ge­sänge der geg­ne­ri­schen Fans gegen mich. Am Ende waren die dann mucks­mäus­chen­still. Das war toll.

Spornt es Sie an, wenn man gegen Sie ist?
Klar! Das macht mich stark. Und ich will es denen dann auch zeigen.

Woher würden Sie solche Hoch­ge­fühle nehmen, wenn Sie kein Fuß­baller geworden wären?
Keine Ahnung. Ich bin Fuß­baller und wollte nie etwas anderes sein.

Können Sie sich vor­stellen, dass ein Schreiner auch glück­lich ist, wenn er einen schönen Schrank gebaut hat?
Das schon, aber ich möchte trotzdem nicht mit ihm tau­schen. Ich habe großen Respekt vor Men­schen, die hart arbeiten. Wenn ich sehe, wie Bau­ar­beiter bei minus zehn Grad ein Gerüst auf­stellen müssen, fühle ich mit ihnen. Aber auch der Fuß­ball­beruf hat seine Mankos.

Die da wären?
Es ist schon auch eine Schin­derei, wenn man ganz nach oben kommen und dann auch dort bleiben will. Man muss bereit sein, alles zu geben – und manchmal sogar mehr, als man hat.

Wie schätzen Sie bei sich das Ver­hältnis zwi­schen Talent und Fleiß ein?
Ich sag mal so: Es ver­schiebt sich immer weiter in Rich­tung Fleiß. Das Talent habe ich in die Wiege gelegt bekommen – Danke an Gott – und ich arbeite von Jahr zu Jahr härter, um es zur Gel­tung zu bringen.

Gab es früher im Wiener Stadt­teil Flo­rids­dorf, wo Sie auf­wuchsen, Jungs, die noch talen­tierter waren als Sie?
Talen­tierter als ich war keiner! Es gab schon ein paar gute Jungs, aber nicht alle waren bereit, sich zu schinden, um am Ende wirk­lich groß raus­zu­kommen.

Was ist aus denen geworden?
Alles mög­liche. Einer betreibt eine Piz­zeria, ein anderer han­delt mit Immo­bi­lien. Meinen besten Kumpel, einen guten Fuß­baller, habe ich nach Bremen gelotst, um ihn in meiner Nähe zu haben. Er spielt hier bei einem Ama­teur­verein. Und ein, zwei Jungs sitzen leider im Gefängnis. Ich hätte sie gern davor bewahrt.

Haben Sie in Ihrer Jugend auch mal gegen das Gesetz ver­stoßen?
Das waren Mätz­chen, wirk­lich nichts Wildes. Ich war nie in vor­derster Front. Ich wollte meine Kar­riere als Fuß­baller nicht gefährden, also habe ich mich zusam­men­ge­rissen.

Fiel Ihnen das schwer?
Wenn die Jungs, mit denen man seine Zeit ver­bringt, nicht gerade strah­lende Vor­bilder sind, muss man schon sehr wil­lens­stark sein, um sich nicht ein­fach mit­reißen zu lassen. Ich habe das geschafft. Aller­meis­tens jeden­falls.

In wel­cher Sprache haben Sie sich mit Ihren Kum­pels unter­halten?
Meis­tens Deutsch, oft aber auch Tür­kisch. Tür­kisch war meine erste Fremd­sprache.

Ihr Vater stammt aus Ser­bien. Was an Ihnen ist ser­bisch?
Mein Tem­pe­ra­ment. Das erklärt auch einiges, was mir in der Ver­gan­gen­heit unter­laufen ist. Aber ich habe gelernt, mich zu zügeln.

Sind Sie jemals ras­sis­tisch ange­feindet worden?
Das kam in der Wiener Zeit schon mal vor, aber mit den Rechts­ra­di­kalen wurden wir fertig. Es ging da auch um unser Revier, zu zeigen, wer der Chef ist.

Mussten auch harm­lose Pas­santen Angst vor Ihrer Clique haben?
Die meisten sind lieber schnell an uns vor­bei­ge­gangen, ohne uns anzu­schauen. Damals fand ich das gut. Jetzt sehe ich das natür­lich mit ganz anderen Augen.

Würden Sie heute die Stra­ßen­seite wech­seln, wenn Sie nachts Jungs begeg­neten, wie Sie einer waren?
Ich bin doch keine Memme. Im Gegen­teil: Ich würde mit ihnen reden!

Was würden Sie ihnen denn sagen?
Dass sie von der Straße run­ter­kommen sollen. Es bringt doch nichts, da rum­zu­hängen und Leute ein­zu­schüch­tern. Sie sollen lieber was lernen.

Aber Sie hat die Straße doch etwas gelehrt, oder?
Stimmt, das waren wich­tige Erfah­rungen. Sie haben mich auch stark gemacht. Vor allem der Fuß­ball im Käfig, der war zehn Minuten von unserem Haus ent­fernt. Dort war ich jeden Tag, manchmal sogar zwei Mal, vor dem Ver­eins­trai­ning und danach wieder.

Was lernt man im Käfig?
Den unbe­dingten Willen, den anderen zu besiegen. Man ist ja quasi ständig im Zwei­kampf und muss sich behaupten, mit Technik, Kraft und Beweg­lich­keit.

Auch mit schmut­zigen Tricks?
Man lernt zu über­leben.

Und da ist kein Kin­höfer, der einen sofort nach Hause schickt.
Nein, den hat da auch nie­mand ver­misst.

Neben dem Käfig haben Sie Fuß­ball im Verein gespielt, aller­dings fast jedes Jahr woan­ders. Warum das?
Natür­lich ging es auch um Dis­zi­plin. Mir ist die Umstel­lung nicht recht gelungen. Ich wollte auch auf dem Rasen­platz, in der Elfer­mann­schaft, am liebsten alles allein machen, durch­gehen, drauf­halten. Wie im Käfig eben. Das wollten die Trainer aber nicht, und wenn ich nicht auf sie hörte, setzten sie mich auf die Bank. Dann suchte ich mir ein­fach den nächsten Verein. Selbst schuld, dachte ich, wenn die nicht erkennen, dass ich ein Spiel allein ent­scheiden kann.

Fällt es Ihnen heute immer noch schwer, den Ball abzu­geben? Würde ich dann in der Bun­des­liga spielen?
Nein, es macht mir genauso viel Spaß, eine gute Vor­lage zu geben, wie selbst ein Tor zu schießen.

Und wie gut können Sie sich in das soziale Gefüge einer Mann­schaft ein­ordnen?
Besser als früher. Ich sehe es nun als Beruf, für den ich bezahlt werde. Also muss ich tun, was man mir sagt. Spaß kommt da erst an zweiter Stelle.

Macht Fuß­ball­spielen nicht immer Spaß?
Wenn man Erfolg hat, dann schon. Wenn nicht, dann weniger.

Wenn es neben der Bun­des­liga, wie wir sie kennen, eine Käfig-Bun­des­liga gäbe, für welche würden Sie sich ent­scheiden?
Dann würde ich gerne beides machen.

So sehr sie den Käfig­fuß­ball gemocht haben – haben Sie trotzdem manchmal davon geträumt, dass Ihre Eltern ein Haus mit Garten besäßen, weit weg von der Straße?
Wir hatten ja eines, in Ser­bien, der Heimat meines Vaters. Das haben wir immer noch. Da habe ich herr­liche Sommer ver­bracht und natür­lich auch im Garten Fuß­ball gespielt, mit meinem Vater, meinen Brü­dern und meinem Opa.

Haben Sie denn davon geträumt, einmal reich zu sein?
Ja, sicher. Wel­cher junge Mensch tut das nicht?

Und wie fühlt es sich nun an, reich zu sein?
Es ist ein gutes Gefühl, abge­si­chert zu sein. Gerade jetzt, als Vater einer kleinen Tochter.

Zeigen Sie gern, dass Sie Geld haben?
Ich ver­stecke es nicht, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich extrem damit protze.

Sie sagten vorhin, Schmäh­ge­sänge würden Sie moti­vieren. Aber es ist Ihnen ande­rer­seits doch bestimmt auch wichtig, beliebt zu sein.
Ich möchte in meiner Familie beliebt sein, auch in der Mann­schaft, in der ich spiele. Aber alles andere ist mir egal. Ich kann ohnehin nicht beein­flussen, was die Leute von mir halten.

Sie meinen Ihr Image als Enfant ter­rible.
Wissen Sie, ich bin viel ruhiger geworden mit den Jahren, vor allem seit ich Vater geworden bin. Ich gehe nicht mehr in die Disco, ich gebe meiner Tochter die Fla­sche und wechsle die Win­deln. Aber in den Medien bleibe ich der Pro­blem­profi.

Weil es sich besser ver­kaufen lässt als Geschichten über volle Win­deln.
Ach. Ich lese keine Zei­tungen mehr, das nervt mich. Die schreiben ja auch immer noch über meinen Hah­nen­kamm, obwohl ich längst eine andere Frisur habe. Sollen sie doch ein­fach machen, was sie wollen.

Ein Kli­schee, das über Sie im Umlauf ist, lautet: Der Marko Arn­au­tovic ist arro­gant.
Wenn Sie die Leute aus meinem direkten Umfeld fragen, die mich wirk­lich kennen, werden die Ihnen auch etwas anderes erzählen.

Es hieß sogar mal, Ihr Gang sei arro­gant.
Ja, und was soll ich denn da bit­te­schön machen? Mir vor dem Spiegel einen anderen Lauf­stil antrai­nieren?

Ein gewisses Gefühl der Über­le­gen­heit muss doch Teil des Selbst­be­wusst­seins eines Fuß­bal­lers sein.
Natür­lich. Ich muss ganz fest glauben, dass ich besser bin als mein Gegen­spieler, und ihn das auch spüren lassen. Sonst kann ich gleich ein­pa­cken.

Wor­über unter­halten sich ein Stürmer und ein Ver­tei­diger, wenn der Ball nicht in der Nähe ist?
Eigent­lich über nichts. Beide haben ihre klaren Auf­gaben, und darauf kon­zen­trieren sie sich.

Kein Trash Talk?
Nein.

Den Stürmer Stan Libuda brachten die Ver­tei­diger früher aus dem Kon­zept, indem Sie ihm sagten, was seine Frau angeb­lich so treibe, wäh­rend er auf dem Platz stehe.
Das hat bei mir noch keiner ver­sucht.

Gab es Zeiten, da Sie sich gewünscht hätten, dass die Welt Sie nett findet?
Nein. Die Rolle ist ja auch schon mehr­fach besetzt. In Öster­reich zum Bei­spiel ist David Alaba, mit dem ich mich gut ver­stehe, der Nette, der Süße. Ich bin nicht süß, ich bin immer der Bad Boy. So haben die Medien sich das aus­ge­dacht, so bleibt es auch, da kann ich mich auf den Kopf stellen.

Können Sie sich in Men­schen hin­ein­ver­setzen, die bei Dieter Boh­lens Deutsch­land sucht den Super­star“ antreten?
Nein. Da singen viele, obwohl sie nicht singen können. Das wäre für mich unvor­stellbar: Fuß­ball zu spielen, obwohl ich nicht Fuß­ball spielen kann.

Schauen Sie manchmal auf der Inter­net­seite trans​fer​markt​.de nach, wie sich Ihr Markt­wert ent­wi­ckelt?
Nie!

Sie werden von ihrem Bruder Danijel beraten, mit dem Sie bis vor kurzem sogar in einem Haus wohnten. Da haben Sie doch bestimmt mal abends im Internet nach­ge­guckt, was Sie so kosten.
Nein, ganz ehr­lich. Ich weiß halt, dass diese Zahlen eh nichts mir der Rea­lität zu tun haben.

Soll ich es Ihnen trotzdem ver­raten?
Ja, wie viel?

Aktuell liegen Sie bei acht Mil­lionen.
Aha. Ist doch nicht schlecht.

Cris­tiano Ronaldo ist ziem­lich genau das Zwölf­fache wert. Heißt das auch, dass er zwölf Mal so gut ist wie Sie?
Wie gesagt: Diese Zahlen haben nichts mit der Rea­lität zu tun. Cris­tiano Ronaldo hat bei Real Madrid ganz andere Mög­lich­keiten, seine Stärken zu ent­falten.

Also eigent­lich ist er gar nicht so viel stärker als Sie?
Nein, das will ich damit nicht sagen. Ronaldo hat 35 Sai­son­tore erzielt, ich erst fünf. (Zum Zeit­punkt des Inter­views, d. Red.) Das sind die Zahlen, an denen ich mich ori­en­tiere und die mich anspornen, besser zu werden – und nicht spe­ku­la­tive Markt­werte.

Warum spielt eigent­lich Marko Marin beim FC Chelsea – und nicht Sie?
Nichts gegen Marko, aber er wird dort ja kaum ein­ge­setzt.

Ein war­nendes Bei­spiel für Sie?
Nein. Das heißt ja nicht, dass ich mich nicht durch­setzen würde.

Wel­cher Verein müsste denn anklopfen, damit Sie bei Werder um die Frei­gabe bitten?
Das kann ich nicht sagen.

Weil Sie es nicht sagen dürfen?
Weil ich es nicht weiß. Fest steht, dass ich erst einmal hier in Bremen zu Top­form auf­laufen und alles für diesen Verein geben will. Der Rest ent­wi­ckelt sich von allein.

Heißt geben“ in diesem Fall zurück­geben“?
Es stimmt, der Verein hatte viel Geduld mit mir und hielt zu mir, als es nicht so gut lief. Da möchte ich vor allem unseren Trainer Thomas Schaaf her­vor­heben. Ich bin ihm etwas schuldig, ganz klar.

Wel­cher Trainer hat Sie bis­lang am meisten geprägt?
Schon Thomas Schaaf, allein durch die Dauer unserer Zusam­men­ar­beit. Dadurch hat sich ein ganz großes Ver­trauen ent­wi­ckelt, er ist wie ein Vater für mich. Aber auch Steve McClaren war wichtig, der mich bei Twente Enschede zum Stamm­spieler machte, und José Mour­inho, obwohl ich bei Inter Mai­land kaum zum Zuge kam. Sein Sach­ver­stand und seine Beses­sen­heit haben mich tief beein­druckt.

Hätten Sie Lust, Marko Arn­au­to­vics Trainer zu sein?
Ich glaube, die Geduld hätte ich nicht. Ich bewun­dere Thomas Schaaf dafür.

Es gibt erstaun­liche Par­al­lelen zwi­schen Ihnen und Zlatan Ibra­hi­movic: die Her­kunft, die raue Jugend, der starke Eigen­sinn, die genia­li­sche Spiel­weise. Ist er eine Art Vor­bild für Sie?
Zlatan ist Zlatan. Das kann man nicht nach­ma­chen.

Wann ist Marko end­lich Marko?
Das dauert noch eine Weile. Aber es wird pas­sieren.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wo sehen Sie sich in Ihrer Ent­wick­lung als Fuß­baller?
7. Das ist auch meine Glücks­zahl.

Errei­chen Sie die 10 noch?
Nein, die erreicht keiner, nicht mal Zlatan. Aber es muss das Ziel sein.