Marc Ziegler, was halten Sie von der Aus­sage: Sportler fallen nach ihrer Pro­fi­kar­riere zunächst in ein tiefes Loch“?
Gibt es das tat­säch­lich? (lacht) Oder dient dieser Satz nicht eher als Alibi? Im Ernst: Mir geht es zur­zeit richtig gut. Das ist aber auch nicht son­der­lich über­ra­schend, schließ­lich habe ich mich lange auf den neuen Abschnitt vor­be­reitet.

Sie haben mal gesagt, sie würden nach dem Kar­rie­re­ende gern stu­dieren – ist das noch immer eine Option? 
Auf jeden Fall. Da mich der­zeit aller­dings viele Gedan­ken­spiele beschäf­tigen, wäre es falsch, würde ich jetzt eine Option her­vor­heben. Klar ist, dass noch nichts klar ist. Wes­halb sollte ich nun in Hektik ver­fallen? Ich spüre kei­nerlei Zeit­druck, im Gegen­teil, ich will mir zunächst eine Aus­zeit gönnen, eine Aus­zeit, auf die sich meine Frau und die Kinder schon lange freuen. Wir wollen reisen, uns die Welt anschauen, neue Ein­drücke auf­saugen. Erst danach rückt das Thema Neue Her­aus­for­de­rung“ in den Vor­der­grund.

Und wohin geht die Reise?
Ob Sie es glauben oder nicht: Ich komme gerade aus dem Rei­se­büro! (lacht) Erstes Ziel: USA. Später geht es dann nach Süd­afrika. Die Vor­freude ist riesig. Für solche Touren hatte ich bis­lang nie Zeit, obwohl ich sie mir schon zu Abizeiten fest vor­ge­nommen hatte. Bereits damals ist mir stets der Fuß­ball in die Quere gekommen.

Ihre Kar­riere begann 1995 spek­ta­kulär: Ihr dama­liger Trainer beim VfB Stutt­gart, Rolf Fringer, sor­tierte Ex-Natio­nal­keeper und VfB-Idol Eike Immel aus und schenkte Ihnen sein Ver­trauen. Wie haben Sie den Kar­rie­re­sprung erlebt?
Ich trai­nierte damals mit den Profis, es hieß, ich solle mir das alles ein­fach mal anschauen, nach dem Motto: Anschlie­ßend sehen wir weiter. Die Sai­son­vor­be­rei­tung lief aus meiner Sicht ideal, plötz­lich sagte der Trainer: Marc, du spielst.“ Das ging alles sehr, sehr schnell.

Für Eike Immel war die Degra­die­rung – nach eigener Aus­sage – der schlimmste Moment seiner Kar­riere. Er habe bis heute nicht ver­standen, wes­halb er damals aus­sor­tiert wurde. Waren Sie zu jener Zeit eben­falls über­rascht?
Dass es so schnell ging, nun ja, damit konnte ich nicht rechnen. Wenn man ledig­lich davon aus­geht, rein­zu­schnup­pern, das Ziel hat, einen guten Ein­druck zu hin­ter­lassen …(Pause)… und dann plötz­lich die Nummer eins wird, ist das schon ein ganz spe­zi­eller Augen­blick. Die anderen Begleit­erschei­nungen möchte ich jetzt nicht kom­men­tieren.

Mit anderen Worten: Eine große Über­ra­schung?
Hätte ich nicht eine derart über­ra­gende Vor­be­rei­tung absol­viert, wäre der Trainer wahr­schein­lich nie auf die Idee gekommen, einen uner­fah­renen Tor­hüter zur Nummer eins zu machen. Ein junger, ehr­gei­ziger Profi sagt nicht Nein“, wenn man ihn beför­dert.

Die dama­lige VfB-Mann­schaft war ver­un­si­chert, die Abwehr wackelte – Sie spürten gleich in Ihrer ersten Saison hef­tigen Gegen­wind…
Trotzdem spielte ich in Stutt­gart eine gute Runde, laut Sta­tistik zählte ich zu den fünf, sechs besten Tor­hü­tern der Liga. Aber es stimmt, unsere Mann­schaft war nicht gefes­tigt, wir liefen unseren Ansprü­chen hin­terher und wurden am Ende nur Zehnter. Inso­fern war es auch keine Über­ra­schung, dass ich als New­comer nicht in jeder Partie geglänzt habe. Apropos: Wissen Sie, was mir in den ver­gan­genen Jahren auf­ge­fallen ist?

Ver­raten Sie es uns.
Heut­zu­tage dürfen junge Bun­des­liga-Tor­hüter mehr Fehler machen als wir damals. Das ist eine posi­tive Ent­wick­lung. Inzwi­schen setzen die Klubs ver­stärkt auf Nach­wuchs­kräfte. Vor 15, 20 Jahren hatten es Tor­wart-Talente unheim­lich schwer, oben rein­zu­stoßen.

Im Jahr 1999, Sie waren gerade 23, stand ein Wechsel zu New­castle United bevor – woran ist der geschei­tert?
Ich war dort, habe mit­trai­niert und sicher­lich eine gute Visi­ten­karte abge­geben. Aller­dings holte der Klub einen Trainer namens Ruud Gullit. Er wollte einen Lands­mann ver­pflichten. Das Thema war daher schnell wieder vom Tisch.

Bereuen Sie es, nie in der Pre­mier League gespielt zu haben?
Die Pre­mier League wäre sicher­lich inter­es­sant gewesen. Ja, ich weiß, das ist ein Satz, den ver­mut­lich jeder Fuß­ball­profi sagen würde (lächelt). Stimmt aber echt! Ich trauere der Chance aber nicht hin­terher. Es sollte ein­fach nicht sein.

Ein Jahr später wech­selten Sie in die Türkei, zu Burs­aspor – ein großes Miss­ver­ständis?
Auf die Türkei-Zeit möchte ich nicht näher ein­gehen, die ist abge­hakt. Für meine Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung war sie gut, aus sport­li­cher Sicht dagegen ist es nicht die glück­lichste Ent­schei­dung meiner Kar­riere gewesen, um es mal vor­sichtig zu for­mu­lieren. Erfreu­li­cher­weise bin ich heil und gesund aus der Sache raus­ge­kommen.

Anschlie­ßend ging es für Sie wieder auf­wärts: Beim FC Tirol Inns­bruck fei­erten Sie zwei Meis­ter­schaften und galten als über­ra­gender Rück­halt. Hatten Sie wäh­rend dieser Zeit den Ein­druck, man habe Sie in Deutsch­land ver­gessen?
Schwierig ein­zu­schätzen. Die öster­rei­chi­sche Liga spielt ja seit jeher in den deut­schen Medien keine Rolle. Zudem war in der Bun­des­liga kein Platz frei und eine Rück­kehr somit unrea­lis­tisch. Fest steht: Ich habe mich in Öster­reich sehr wohl gefühlt. Ich hätte diese tolle Zeit gern noch länger genossen, leider gab es im Verein Tur­bu­lenzen, letzt­lich ver­ab­schie­dete er sich sogar kom­plett von der Bild­fläche (FC Tirol Inns­bruck mel­dete 2002 Kon­kurs an, d. Red.).

Nach den Sta­tionen Han­nover 96, Saar­brü­cken und Bie­le­feld wech­selten Sie 2007 zu Borussia Dort­mund. Obwohl Sie damals die Nummer zwei waren, sagen Sie heute, das sei die schönste Zeit Ihrer Kar­riere gewesen. Wie passt das zusammen?
Der BVB ist ein groß­ar­tiger Verein. In Dort­mund leben bei­nahe alle Men­schen den Fuß­ball. Bevor ich zur Borussia kam, kämpfte der Klub über­ra­schen­der­weise gegen den Abstieg. Auch in meiner ersten Saison lief nicht alles rund – und was pas­sierte? Die Leute in Dort­mund haben uns stets nach vorne gepusht, sie waren absolut positiv. Sowas sucht in Deutsch­land sei­nes­glei­chen. Natür­lich war das Pokal-End­spiel für mich der Höhe­punkt, obwohl wir damals als Ver­lierer vom Platz gingen (1:2 gegen Bayern Mün­chen, 2008, d. Red.). Dieses Erlebnis in Berlin werde ich nie ver­gessen – ein wun­der­barer Tag!

Was unter­scheidet die BVB- von den VfB-Fans?
Sie wollen mich jetzt in die Bre­douille bringen! (lacht) Keine Chance.

Dann halt so: Was zeichnet den typi­schen Borussia-Fan aus?
Er ist lei­dens­fähig, treu und sehr eupho­risch – ihn können auch kleine Dinge begeis­tern. Dass der BVB nun Cham­pions League spielt und in der Liga ganz vorne mit­mischt, ist natür­lich dop­pelt schön. Ich bin jedoch über­zeugt, die Anhänger ständen auch in einer schlechten Phase hun­dert­pro­zentig zur Borussia.

Welche Stärken Ihres Kol­legen Wei­den­feller schätzen Sie beson­ders?
Roman hat in den ver­gan­genen Jahren einen Rie­sen­sprung nach vorn gemacht. Mitt­ler­weile ist er ein Füh­rungs­spieler, der stets abge­klärt, rou­ti­niert und voller Lei­den­schaft sein Spiel durch­zieht. 

Gehört Roman Wei­den­feller in die Natio­nal­mann­schaft?
Ich würde mich freuen, wenn er mal die Chance bekäme, dabei zu sein. Aber wir alle wissen, dass es in Deutsch­land viele Top-Tor­hüter gibt. Man kann dem Bun­des­trainer sicher­lich nicht vor­werfen, ihm würde eine klare Linie fehlen. Es ist die logi­sche Folge, dass einige Tor­hüter in den sauren Apfel beißen müssen. Ich würde es Roman aller­dings gönnen. Schickte Jogi Löw ihm eine Ein­la­dung, wäre das sicher­lich die Krö­nung seiner Kar­riere.

2010 sind Sie zum VfB zurück­ge­kehrt, und zwar als zweiter Mann hinter Sven Ulreich. Jetzt mal ehr­lich: Haben Sie nicht darauf spe­ku­liert, Nummer eins zu werden?
Die Rollen waren klar ver­teilt. Das wusste ich von Anfang an. Ich war 34 und hatte einen unmiss­ver­ständ­li­chen Auf­trag. Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich immer an Abspra­chen halte.

Es gab eine Phase, in der es schlecht lief beim VfB. Sven Ulreich stand in der Kritik.
Ja, damals hätte ich das Ruder durchaus über­nehmen können, das stimmt. Ich bin dann leider aus­ge­knockt worden. (schwere Gehirn­er­schüt­te­rung nach einem Zusam­men­prall in der Europa-League-Partie gegen Ben­fica Lis­sabon, d. Red.).

Wie moti­viert man sich im Trai­ning, wenn man weiß, dass man am Spieltag wahr­schein­lich mal wieder 90 Minuten auf der Bank sitzen wird?
Das Feuer lodert trotzdem. Mit 25 willst du nur eines: spielen, spielen, spielen. Als älterer Profi sieht man dagegen das Gesamt­bild. Obwohl es natür­lich vor­rangig immer noch darum geht, Bälle zu fangen, spielt die Betreuung und Beglei­tung jün­gerer Spieler eine wich­tige Rolle. Man bekommt also auch als zweiter Mann Bestä­ti­gung im Alltag. Fakt ist: Wenn ich gebraucht wurde, war ich da. Das war in Dort­mund ähn­lich. Dort gehörte es übri­gens eben­falls zu meinen Auf­gaben, die Truppe zusam­men­zu­halten. 

Ein Punkt, den Ihr Ex-Trainer Jürgen Klopp oft her­vor­ge­hoben hat.
Das hat mir unheim­lich gut getan! Denn wel­cher Außen­ste­hende weiß schon, was intern abläuft, wie die Mann­schafts­struktur aus­sieht? Viele Leute denken Aha, der Ziegler ist die Nummer zwei, der ist außen vor, er sitzt ja bei jedem Spiel nur auf der Bank.“ Dass aller­dings mehr dazu gehört als nur Bälle zu halten, das ist vielen nicht klar. Es hat mich daher gefreut, dass der Trainer all das geför­dert und schließ­lich auch öffent­lich benannt hat.

Marc Ziegler, Sie zogen 1993 als 17-Jäh­riger ins VfB-Internat ein – wie stark hat sich das Tor­wart-Spiel seitdem ver­än­dert? 
Heut­zu­tage musst du fuß­bal­le­risch wesent­lich mehr drauf haben als früher. Ein gutes Bei­spiel ist Marc-André ter Stegen, der hat oft mehr Ball­kon­takte als so man­cher Feld­spieler. Früher hat es gereicht, gut zu halten, Reflexe zu zeigen. Diese Zeit ist vorbei. Zudem sind die Bälle und Aktionen wesent­lich schneller geworden.

Sie sagten mal: Früher konn­test du besser rein­wachsen ins Geschäft, heute läufst du fast schon gegen eine Wand.“ Wie haben Sie das gemeint?
Die Talente werden viel inten­siver geför­dert als wir damals. Das hat nicht nur Vor­teile. Ein Jugend­spieler hat einen unheim­lich belas­tenden Alltag. Teil­weise werden von den Jungs Dinge erwartet, die sie eigent­lich noch gar nicht leisten können, Dinge, für die sie eigent­lich eine gewisse Erfah­rung benö­tigten. Die Anfor­de­rungen in Sachen Technik und Taktik sind mitt­ler­weile sehr hoch. Dass zudem die Medien jeden Schritt begleiten und diesen – logi­scher­weise – auch kom­men­tieren, macht die Sache nicht unbe­dingt ein­fa­cher. 

Das heißt?
Es besteht die Gefahr, dass du vom gefei­erten Helden zum Blind­gänger wirst. Und das inner­halb weniger Tage oder Wochen. So was muss man erst mal ver­kraften. Damit hat schon so man­cher erfah­rene Profi seine Pro­bleme; für einen jungen Spieler ist das noch mal eine Spur härter.

Marc Ziegler, wo werden Sie den ersten Bun­des­li­ga­spieltag ver­folgen?
Wann ist der denn über­haupt?

Welch ein sym­bo­li­scher Satz! Sie sind offenbar tat­säch­lich in Ihrem neuen Lebens­ab­schnitt ange­kommen… 
(lacht) Sehen Sie! Sag‘ ich doch! Um Sie zu beru­higen: Selbst­ver­ständ­lich werde ich mir im Urlaub viele Spiele anschauen, schließ­lich will ich auch nach meiner Aus­zeit top-infor­miert sein, wenn es um das Thema Fuß­ball geht.