„Suggs“ McPherson ist Sänger der Ska-Band Madness und glühender Anhänger des FC Chelsea. Wir sprachen mit ihm über die philosophische Bedeutung von Gianluca Vialli, eine Beinahe-Schlägerei mit Roman Abramowitsch und schmutzige Witze von Dennis Wise
Suggs, was war beeindruckender: Zum Thronjubiläum der Queen auf dem Dach des Buckingham Palace zu spielen, eine Platte mit seinen Fußballidolen aufzunehmen oder der Gewinn der Champions League mit dem FC Chelsea?
Eine verdammt schwierige Frage, denn jeder dieser Momente bescherte mir innere Befriedigung. Auf den Champions-League-Titel war ich aber wohl am wenigsten vorbereitet.
Wo wurden Sie überrascht?
Meine Frau hatte einen Urlaub für Ende Mai gebucht. Ich habe blind zugesagt. Man trägt sich das Champions-League-Finale ja nicht in den Terminkalender ein.
Und nachdem die Finalteilnahme des FC Chelsea feststand, haben Sie versucht, den Urlaub abzublasen.
Meine Frau hätte mich umgebracht! Wir sind nach Cádiz gereist, und ich saß am Finalabend mit ein paar spanischen Opas in einer Kneipe. Vor dem Elfmeterschießen habe ich mir einen Drink bestellt und mich zum wiederholten Male von einem großen Traum verabschiedet. Ich war bereit zu trauern.
Aber dann kam Bastian Schweinsteiger …
… und versagte. Ich spendierte drei Lokalrunden nacheinander und rannte schreiend durch die Straßen. Dann rief ich meinen Freund an, der in München im Stadion war. Er brüllte: „Sie spielen ‚Blue Day‘ und ‚One step beyond‘, aber ich schrie: „Halt die Klappe. Ich will nur dabei sein!“
Ihr größter Moment als Chelsea-Fan?
Es war groß, aber nichts war magischer als mein erster Besuch an der Stamford Bridge. Ich bin in der Nähe des Stadions aufgewachsen. Für mein erstes Spiel der Blues habe ich sogar schulfrei bekommen.
Wie bitte?
Bei einem Europapokalspiel 1970 war die Flutlichtanlage ausgefallen, und das Spiel musste am nächsten Morgen wiederholt werden. Also haben viele Schulen in der Umgebung den Unterricht ausfallen lassen. Das Stadion war voller Kinder. Alle kreischten und sangen die Lieder der Erwachsenen. Eine bizarre Kulisse.
27 Jahre nach Ihrem ersten Besuch beim FC Chelsea standen Sie mit der Mannschaft der Blues im Tonstudio und nahmen die Single „Blue Day“ auf. Für manche ist das der beste Fußballsong überhaupt.
Danke für die Blumen, aber bei der großen Anzahl an beschissenen Fußballliedern ist es nicht schwer, mit einem passablen Song herauszustechen.
Warum haben sich so viele Fußballer als Sänger versucht?
Kevin Keegan, Glenn Hoddle – die haben den größten Dreck aufgenommen, um im Musikbusiness mitzumischen. Früher hatten Musiker eben das Geld, die Autos und die Ladys. Fußballer hatten nur hässliche Frisuren und galten als dumme Proleten. Das hat sich heute geändert. Das Musikgeschäft liegt im Sterben. Plötzlich wollen alle lieber Fußballstars sein.
Welcher Chelsea-Spieler der 97er-Mannschaft hatte das Zeug zum Popstar?
Gianluca Vialli! Er kam ins Studio, setzte sich ans Klavier und spielte eine herrliche Sonate. Ich traute meinen Ohren nicht. Und dann sein gebrochenes Englisch. Alles was er sagte, klang irgendwie mystisch. Wir alle suchten einen tieferen Sinn in seinen Aussagen. Bullshit! Irgendwann erklärte uns ein Italiener das Geheimnis.
Was war die Lösung?
Er sagte: „Gianluca Vialli hat rein gar nichts zu sagen. Er ist einfach nur ein dummer Idiot!“
Wie war der Tag mit den Profis im Studio?
Verrückt. Ich kannte die Jungs nur aus dem Stadion und plötzlich standen wir alle zusammen in der Gesangskabine. Dennis Wise verarschte die ganze Zeit seine ausländischen Mitspieler. Petrescu, Zola und all die anderen sprachen kaum Englisch, und Wise bot sich als Übersetzer an. Er beschimpfte sie aufs Übelste und grinste Ihnen dabei mitten ins Gesicht. Sie nickten nur. Wir lagen auf dem Boden.
Englische Fans gelten als stimmgewaltig. Wie stellten sich die Fußballer 1997 im Studio an?
Gut. Nur Mark Hughes schmollte in der Ecke.
Wieso?
Wir hatten vorher im Innenhof gekickt und dabei habe ich ihn getunnelt. Er hat sich tierisch aufgeregt und mit einem harten Tackling gerächt. Ein Freund hat diese Szene zufällig gefilmt. Noch heute zeige ich sie jedem, der mich besuchen kommt.
Die Mannschaft holte am Ende der Saison den ersten Titel nach einer 26-jährigen Durststrecke. Welchen Anteil hatte ihr Song?
Wir hatten im Vorjahr das Finale mit 0:4 gegen Manchester United verloren. Es war eine Demütigung. Als wir schließlich im Finale 1997 Middlesborough besiegt hatten, lief „Blue Day“ direkt nach dem Abpfiff. Drei Mal hintereinander. Viele Fans sagen noch heute, dass ihnen die Tränen kommen, wenn sie daran denken. Ich war natürlich auch überwältigt, aber ich bin nicht so doof, zu glauben, dass „Blue Day“ auch nur für ein kümmerliches Tor verantwortlich war. Es ist nur ein Song.
Die Gebrüder Gallagher pflegen engen Kontakt zu Ihrem Klub Manchester City. Es heißt sogar, dass Carlos Tevez und Lionel Messi gerne eine Oasis-Coverband gründen würden.
(lacht) Wirklich? (lacht noch lauter) Was ist das denn für eine Scheißidee?
Haben Sie jemals einen Profifußballer auf einem Madness-Konzert gesehen?
Stuart Pearce war früher oft auf unseren Konzerten. Ich habe ihn auch einmal bei einer Sex-Pistols-Show gesehen. Er trug eine Uniform der NVA! Wie bescheuert kann man eigentlich sein? Aber ich glaube, da war er schon etwas neben der Spur.
Können die aktuellen Spieler noch etwas mit Madness anfangen?
Wenn Chelsea ein großes Spiel gewinnt, spielen sie „One step beyond“ an der Stamford Bridge. So etwas macht uns natürlich stolz. Ich meine, 40.000 Leute tanzen zu deinem Song! Das ist verwirrend und manchmal macht es einen auch echt sauer.
Wieso denn das?
Als Manchester City im vergangenen Jahr Chelsea geschlagen hat, dröhnte nicht „Blue Moon“ oder irgendein Oasis-Song aus den Boxen des Ettihad, sondern „One step beyond“. Ich hätte dem Stadion-DJ am liebsten den Hals umgedreht. Also habe ich veranlasst, dass wir im Falle eines Sieges gegen City an der Stamford Bridge das ganze Oasis-Album hören werden, bis ihnen die Ohren bluten.
Dabei müssten Sie körperliche Härte gewohnt sein. Immerhin sollen Sie viele Freunde bei den berüchtigten „Chelsea Headhunters“ gehabt haben.
Wir waren pubertierende Halbstarke, die Schlägereien provozierten und keine Gefangenen machten. Ich könnte sagen, dass ich das bereue, aber wissen Sie was: Es war einfach geil!
Welcher Headhunter ist Ihnen prägend in Erinnerung geblieben?
Ganz klar: Babs, einer aus der ersten Generation. Ein riesiger Dunkelhätiger mit nur einem Arm. Eine Legende. Diese Jungs waren mystische Figuren, die einen Stadionbesuch zu einer ungemütlichen Veranstaltung machten. Damals waren 20 Polizisten an der Stamford Brigde und alle Fans konnten ungehindert in alle Bereiche. Wenn dann West Ham kam, musste es knallen. Heute weiß ich, dass das nicht cool war. Aber als Kind spielten wir Cowboy und Indianer, als Teenager jagten wir uns eben durch das Stadion. Das war Teil der britischen Jugendkultur.
Haben Sie heute noch Kontakt zu den alten Hooligan-Freunden?
Die heutige Stimmung im Stadion macht mich einfach traurig. Deswegen schaue ich trotz Jahreskarte mittlerweile viele Spiele im Pub. Am Tresen trifft man einige Jungs von damals wieder. Manche haben sich nicht verändert.
Die Headhunters sind heute noch aktiv?
Quatsch! Die meisten sind zahm. Aber als wir etwa 2012 den FC Barcelona zu Gast hatten, kamen plötzlich zwanzig Anzugträger die Straße vor unserem Pub runter. Ein Kumpel rief: „Barca-Snobs! Denen zeigen wir es!“ Also sind alle raus, die Pints im Anschlag. Die Pinguine kamen näher und wir sahen 19 Typen mit beeindruckendem Kreuz. In ihrer Mitte stand Roman Abramowitsch. Er wollte wohl spazieren gehen.
Wie haben Sie reagiert?
Wir haben ihm natürlich freundlich zugewunken.
Dabei sehen nicht wenige Abramowitsch als Auslöser für viele negative Entwicklungen des modernen Fußballs.
Es ist eine schwierige Sache, aber für den FC Chelsea war er ein Segen. Er hat den Klub mit seinem Geld aus dem Dreck geholt. Wir sangen: „We are fucking loaded“ (Wir sind stinkreich Anm. d. Red.) und wedelten mit Pfundnoten, weil wir alle so stolz waren, dass die größten Spieler der Welt im blauen Trikot an der Stamford Bridge aufliefen. Wir sammelten Titel um Titel, haben gelitten und schließlich 2012 die Champions League gewonnen. Wer da noch sagt, Abramowitsch hätte uns geschadet, ist ein Spinner!
Dennoch konnte man in den Jahren des Kaufrauschs auch mal den Überblick verlieren.
Natürlich. Einige Phasen waren ungesund und haben die Fans verschreckt. Als er für 50 Millionen Pfund diesen Russen geholt hat… Wie hieß der noch, Shet…
Sie meinen Andrij Schewtschenko. Er ist Ukrainer.
Genau der. Ich hatte den Namen noch nie zuvor gehört und als dieser alte Mann für eine Unsumme zu uns kam, habe ich gar nichts mehr verstanden. Das war ein Schock, weil jeder wusste, dass er nicht zu Chelsea passt. Aber Abramowitsch wollte ihn unbedingt, also kam er. Er kann nun mal tun, was er will, aber er trägt nicht die alleinige Schuld daran, dass es sich im englischen Fußball immer mehr ums Geld und immer weniger ums Spiel dreht.
Chelseas Neuverpflichtungen müssen zum Einstand auf einen Stuhl steigen und vor der gesamten Mannschaft singen. Hat Sie schon mal jemand nach dem Text von „Blue Day“ gefragt?
Nein, aber ich habe gehört, dass Michael Ballack seinerzeit einen furchtbaren deutschen Song gesungen haben muss. Zudem ist mir ein noch seltsameres Ritual bekannt: Die Spieler ziehen einem Wischmop Frauenkleider an und ein Auserwählter muss mit diesem Mop tanzen und ihm am Ende einen Kuss aufdrücken. Ich glaube, Fußballer sind manchmal etwas seltsam.
Ist Ballacks Schlagerauftritt das, was von ihm in Erinnerung bleibt?
Nein, Ballack war ein großer Spieler, der eine Ära mitgeprägt hat. Er hat verstanden, wie englischer Fußball funktioniert, was die Fans sehen wollen. Aber als er zu uns kam, hatte er seine beste Phase bereits hinter sich. So lief es bei vielen dieser Jungs: George Weah, Juan Sebastian Veron – sie alle kamen, als sie ihren Zenit bereits überschritten hatten. Es war schön, sie im Chelsea-Trikot zu sehen, aber sie werden keine Legenden werden.
Auf Michael Ballacks Hochzeit spielte Elton John einen Song. Seit einiger Zeit ist Ballacks Ehe geschieden. Was können wir daraus lernen?
(lacht) Dass man ihn gleich für die Scheidungsparty mitbuchen sollte. Das ist mit Sicherheit auch etwas billiger.
Im Sommer holte Chelsea wieder einen Deutschen.
Wen?
Marko Marin.
Wo kam er her?
Werder Bremen.
Okay.
Sie haben noch nie von ihm gehört?
Nein. Noch nie. Wie teuer war er?
Angeblich acht Millionen Euro!
Ach, du Schande. Dann wird es Zeit, dass er mal ein bisschen spielt.
Es gibt ein sehr bizarres Ritual unter den Fans des FC Chelsea. Sie werfen Sellerie…
… und singen den wunderbaren „Celery Song“ . Ich weiß nicht, wo das überhaupt herkommt. Bereits in den 1970er wurde es gesungen. Dann habe ich es sehr lange nicht mehr gehört. Und als wir nach dem Pokalsieg 1997 zurück an die Stamford Bridge kamen, grölte das ganze Stadion. Alle hatten Sellerie dabei. Es war unglaublich.
Vor Jahren wurde dieses Ritual verboten.
Ja, weil das Fernsehen sich vor dem Lied fürchtete. Sie hatten Angst, dass die Kinder zu Hause fragen: „Dad, was meinen die mit Sellerie?“ Also wurden erwachsene Männer am Einlass nicht etwa nach Waffen, Reizgas, Rauchbomben oder Drogen durchsucht, sondern nach Sellerie. Sie wurden in Gewahrsam genommen, weil sie Gemüse ins Stadion geschmuggelt hatten. Das war so unglaublich, das hätten sich nicht einmal die Jungs von Monty Python ausdenken können. Das sagt aber auch viel über die Premier League.
Wie oft sind Sie heute noch an der Stamford Bridge?
Ich habe eine Jahreskarte, aber die verschenke ich oft an meinen Neffen, weil ich mit Madness sehr viel unterwegs bin. Viele Dinge haben sich zum Negativen verändert, sodass mir der regelmäßige Stadionbesuch nicht mehr so sehr am Herzen liegt. Vor Wochen war ich mal wieder da und eine Frau hinter mir fragte ihren Mann: „In welchen Farben spielt der FC Chelsea?“ Da gehe ich lieber in den Pub. Da ist die Stimmung meist auch besser.
Zum Schluss würde ich gerne ein Spiel mit Ihnen spielen: Ich nenne Ihnen den Namen einiger Fußballer und Sie sagen, welche Rolle sie in einer Band spielen würden.
Okay, legen wir los.
Frank Lampard.
Er ist eindeutig der Manager. Er hat viel zu sagen und scheut sich nicht, seine Klappe aufzumachen.
Wayne Rooney.
Ein klassischer Drummer. Viel Energie, er liebt den Lärm.
Dennis Wise.
(Überlegt lange) Er wäre ein guter Sänger. Er hat ein Riesenego, ist sehr laut und liebt die vorderste Reihe. Er würde dem Publikum sicher eine gute Show bieten.
José Mourinho.
Er ist ganz klar der Chef der Plattenfirma.
Mario Balotelli.
Oh, mein Gott. Er spielt Bass. Wie der Mann von den Happy Mondays. Er springt herum, tanzt, keiner weiß, was als nächstes passiert.
John Terry.
Wir brauchen noch einen Gitarristen. Also macht er den Job.
Hat diese Band auch einen Namen?
Sie ist stark besetzt, hat gute Charaktere und jede Menge Geld. Wir nennen sie „Success“
Und darf Fernando Torres eines Tages auch mitspielen?
(lacht) Es tut mir so leid für ihn. Was ist aus ihm geworden? Vielleicht ist er eines Tages der Posterboy (lacht) Nein, Stopp: Er ist und bleibt ein Groupie.