Im Sommer 1997 stand der HSV auch am Abgrund. Am 33. Spieltag rettete der Amateur Dirk Weetendorf die Hamburger mit zwei Kopfballtoren. Ein Gespräch über „Horst-Uwe“, One-Hit-Wonder und große Konkurrenz.
Dirk Weetendorf, wann retten Sie den HSV?
Es tut mir sehr leid, aber ich bin mittlerweile zu alt für den aktiven Fußball.
Die HSV-Fans sehnen sich aber nach einem Stürmer, der sie von ihren Sorgen befreit.
Ich kann sie natürlich verstehen, zumal der Verein momentan arge Verletzungsprobleme hat. Vielleicht hätte man Artjoms Rudnevs nicht abgeben sollen. Doch so ist das im Fußball: Erst hat man kein Glück, und dann kommt auch noch Pech dazu.
Sie befürchten einen Abstieg des HSV?
Nein. Ich denke, die werden das schon wuppen. Und vielleicht wird ja Pierre-Michel Lasogga den Klub retten.
Sie haben den Klub am 33. Spieltag der Saison 1996/97 mit zwei Kopfballtoren gerettet. Träumen Sie heute noch davon?
Es war sicherlich eines meiner besten Profispiele. Wir standen auf Platz 15 und mussten gewinnen, um den Klassenerhalt zu schaffen…
…allerdings kam mit Borussia Dortmund die damals beste Mannschaft der Welt ins Volksparkstadion.
Richtig. Die Dortmunder waren amtierender Meister und standen im Champions-League-Endspiel gegen Juventus Turin.
Waren die Dortmunder mit ihren Gedanken schon im Finale?
Das Endspiel fand zwar vier Tage später statt, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass die unkonzentriert waren. In der Startelf standen damals alle Topstars: Chapuisat, Ricken, Sammer, Reuter, Zorc…
…und Ihr Gegenspieler Jürgen Kohler. Kannte der Sie überhaupt?
Vermutlich nicht. Aber das war dem sicherlich herzlich egal. Kohler war einer der besten Verteidiger der Welt, den konnte nichts aus der Fassung bringen – schon gar nicht ein ehemaliger Amateurkicker.
Sie waren damals 24 Jahre alt, hatten für den TSV Pansdorf und die zweite Mannschaft des HSV gespielt. Wieso sind Sie am Ende jener Saison in den Profi-Kader gerutscht?
Nach der Entlassung von Felix Magath wollte der Interimstrainer Ralf Schehr was verändern, außerdem war Karsten Bäron verletzt. Schon eine Woche zuvor hatte ich daher meinen ersten Einsatz. Wir verloren zwar 0:4 gegen den 1. FC Köln, doch ich machte ein gutes Spiel. Gegen Dortmund durfte ich also wieder ran. Rodolfo Cardoso zuckerte zwei Flanken auf meinen Schädel und ich nickte ein. So einfach war das.
Nach dem Spiel orderte Ralf Schehr beim Busfahrer einen Kasten Bier. Wie war die Party nach dem Spiel?
Wir haben ein bisschen gefeiert, aber auch nicht ausufernd, denn absurderweise hätten wir durch den Sieg am 34. Spieltag wieder die Chance gehabt, einen UI-Cup-Platz zu erreichen. Dafür mussten wir allerdings in Düsseldorf gewinnen müssen, doch wir spielten nur 1:1.
Sie bekamen in jenen Tagen von der Presse den Spitznamen „Horst-Uwe“ verpasst. Wie breit war Ihre Brust?
Ach, ich fand das total übertrieben, und es war mir auch ein bisschen unangenehm. Ich hatte zu dem Zeitpunkt gerade mal zwei Bundesligaspiele gemacht und wusste auch, dass ich niemals so gut sein würde wie die HSV-Legenden Horst Hrubesch oder Uwe Seeler.
Ein anderer Spitzname kam später: „One Hit Wonder“. Fanden Sie den besser?
Das ist Fußball. Es wird nur in Extremen gedacht. Ich konnte mein Können immer ganz gut einschätzen. Mal lief es gut, mal weniger gut. Mit 25 Jahren einen Profivertrag zu bekommen, war natürlich großartig. Doch der neue Trainer Frank Pagelsdorf verpflichtete im Sommer 1997 Tony Yeboah, später kamen noch Jacek Dembinski, Sergej Kirjakow und Martin Dahlin hinzu. Ich war auf einmal Stürmer vier oder fünf. Ich hatte keinen Groll gegen den Klub, doch ich wusste: Es ist Zeit zu gehen.
Bei Werder Bremen lief es allerdings auch nicht wie erhofft.
Meine Konkurrenz war enorm. Im Kader standen Claudio Pizarro, Marco Bode und Ailton. Im Nachhinein kann ich mir aber nichts vorwerfen, ich hängte mich immer voll rein. Und mit Thomas Schaaf habe ich mich auch immer super verstanden.
Erst bei Eintracht Braunschweig haben Sie zu alter Stärke zurückgefunden. In der ersten Regionalliga-Saison schossen Sie 16 Tore in 26 Spielen.
Da habe ich mein spätes Glück gefunden, das stimmt. Allerdings war die Zeit dort auch sehr kurz, denn ich hatte anhaltende Knieprobleme. Es ging soweit, dass ich ein neues Gelenk bekam.
Herr Weetendorf, wären Sie nicht gewesen, würde der HSV vermutlich heute nicht der „Dino“ genannt werden und es hinge auch keine Uhr im Volksparkstadion, die die Erstligazugehörigkeit des HSV anzeigt. Werden Sie heute noch auf Ihre Rettung angesprochen?
Manchmal. Ich habe mich vor einem Jahr aus dem Fußball zurückgezogen und mir was Bodenständiges gesucht. Ich arbeitete bei „Lash & Lift“, einer Firma für Zurr- und Hebetechnik. Manchmal kommen Kunden zu mir und fragen: „Dirk Weetendorf? Waren Sie das mit den zwei Buden gegen Dortmund?“ Ich nicke dann – und lächele in mich hinein.