Horst Ehrmantraut, wie wohnt es sich in Einöd?
Horst Ehrmantraut: Ach, das war auch schon Thema, als ich damals zu Frankfurt kam (seufzt). Da fuhren Reporter von Frankfurt nach Einöd, um das Ortsschild hier zu filmen. Wie kann man bloß in Einöd wohnen, fragten alle. Antwort: sehr gut. Es ist keine Einöde im Wortsinne, es gibt hier – ob Sie das glauben oder nicht – 3000 Einwohner. Einöd ist eingebunden in Homburg an der Saar. Es liegt also nicht alleine, es gibt Menschen hier und mehrere Häuser.
Einöd klingt nach Gemüseanbau und Schweinezucht.
Horst Ehrmantraut: Einen Bauernhof habe ich hier schon. Ich betreibe hobbymäßig Landwirtschaft, aber nur Ackerbau. Dieses Jahr habe ich Mais angebaut für die Biogasanlage. Nur Weiterverkauf, kein Eigenbedarf. Es macht Riesenspaß, wenn es klappt. Manchmal ist es allerdings, wie jetzt auch, einfach zu trocken. Die letzten Jahre waren die Erträge schlecht, da habe ich immer draufgezahlt.
Sie sind in Einöd geboren, die dortige Spielvereinigung ist Ihr Jugendverein. Zweimal spielten Sie für den FC 08 Homburg und jetzt also der Bauernhof. Sind Sie ein unwahrscheinlich heimatliebender Mensch?
Horst Ehrmantraut: Auf jeden Fall. Meine Familie wohnt hier. Alle Ehrmantrauts sind im Umkreis von 200 Meter beieinander. Auch meine Spielerkarriere passt zu diesem Bild der Heimatliebe. Den Schritt von Einöd nach Homburg empfand ich 1975 als gigantisch, sportlich wie persönlich. Vier Kilometer Entfernung sollte ich überbrücken, noch dazu die Lücke zwischen Amateurbereich und Zweiter Bundesliga. Der zweite Wechsel dann von Homburg nach Frankfurt war wie der Schritt in eine neue Welt. Da habe ich mir einige Gedanken gemacht: Kommst du da zurecht? Passt du dahin? Ich war ja erst 19 Jahre alt. Zwei Jahre zuvor hatte ich, 17-jährig, noch gute Angebote ausgeschlagen, weil ich nicht weg wollte aus meiner Umgebung.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit als Spieler bei Eintracht Frankfurt? Mit den Hessen wurden Sie UEFA-Cup-Sieger.
Horst Ehrmantraut: Es lief nicht sofort so glatt, der Anfang war problematisch. In Homburg hatte ich immer gespielt, bei der Eintracht plötzlich gar nicht mehr. Ich wollte mich unbedingt beweisen, aber Friedel Rausch, unser Trainer, ließ mich nicht. Vielleicht war ich ihm zu jung, vielleicht hatte er kein Vertrauen. In der Hinserie saß ich jedenfalls nur einmal auf der Bank und war sonst nicht mal im Kader. Die Degradierung kam für mich, einem unglaublich ehrgeizigen Menschen, einem mentalen Nackenschlag gleich.
In der Rückserie machten Sie dann plötzlich fast alle Spiele. Was ist in der Winterpause passiert, das die Wende zum Guten brachte?
Horst Ehrmantraut: Ich habe mich wirklich nie hängen lassen und wir hatten in Frankfurt immer mehrere hundert Zuschauer beim Training. Ende des Jahres, es muss im November gewesen sein, hatten die Rentner und Kiebitze genug. Die haben den Trainer gerufen: „Friedel, jetzt musst du den Ehrmantraut aber mal bringen – der trainiert doch genial!“ Zum Beginn der Rückserie stand ich plötzlich in der ersten Elf.
Die Konfrontation mit Friedel Rausch haben Sie nie gesucht?
Horst Ehrmantraut: Wo denken Sie hin! Ich war ja noch ein Teenager, außerdem hatte man damals als Spieler zu warten, ob der Trainer auf einen zukommt. Mit Charly Körbel, Willi Neuberger, Bernd Hölzenbein und Bum-Kun Cha spielten etliche Top-Spieler für die Eintracht. Daneben war ich doch ein kleines Licht (lacht).
Ein kleines Licht, das 1980 zu Hertha BSC Berlin wechselte. Der Schritt dürfte für Kopfschütteln gesorgt haben, immerhin hatten Sie am Main noch ein Jahr Vertrag und gerade erst als Stammspieler den UEFA-Cup gewonnen.
Horst Ehrmantraut: Genau das war der Haken. Ich hatte gleich im ersten Jahr all meine Ziele erreicht. Deshalb wollte ich unbedingt weg. Die Anfrage aus Berlin kam zum richtigen Zeitpunkt, auch wenn viele aus meinem Freundeskreis den Schritt nicht verstanden.
Hertha BSC war aus der Bundesliga abgestiegen.
Horst Ehrmantraut: Ich brauchte diese Motivation, dieses Gefühl, irgendwo etwas aufbauen zu können. Die Hertha war mir eine Herzensangelegenheit, weil ich, obwohl im fernen Hessen ansässig, ihren Niedergang sehr bedauert habe. Eine Stadt wie Berlin gehört in die 1. Liga, dachte ich. Als ich dann zu Vertragsverhandlungen an die Spree fuhr, war das Wahnsinn. Diese Größe, diese historische Dimension, eine Stadt, vormals geeint und jetzt plötzlich durch eine Mauer getrennt – bei dem Wechsel haben Emotionen eine ganz wichtige Rolle gespielt. Bis heute hält mich diese Faszination gefangen, noch immer habe ich eine Wohnung in Berlin.
Fünf Jahre blieben Sie in Berlin, bezeichneten die Station als die schönste zu Spielerzeiten. Wer hat Sie in der Hauptstadt besonders geprägt?
Horst Ehrmantraut: Wolfgang Holst. Der wurde Zeit seines Lebens immer ein wenig verkannt, war für mich aber eine echte Vaterfigur. Holst war vertrauenswürdig, man konnte sich mit Problemen und Nöten an ihn wenden. In seinem Büro wurden Spieler nie abgewiesen. Für mich war das so überraschend, weil Neuland. Dass man mit einem Vereinspräsidenten so reden kann, kannte ich nicht. Natürlich, manchmal wurde Holst auch wild und böse. Aber wenn man immer alles in die Waagschale warf, stand keine Schelte zu befürchten.
Horst Ehrmantraut, dieses Interview bietet Anlass, mit vielen Klischees, Anekdoten und Halbwahrheiten über Sie aufzuräumen. Lassen Sie uns über Ihre Trainerlaufbahn reden.
Horst Ehrmanntraut: Puh (holt Luft) … also gut, dann mal los (lacht)!
In den Medien hat sich das Bild vom seltsamen Kauz manifestiert. Sie sind der spleenige Eigenbrötler. Aus der Ecke kommen Sie nicht raus.
Horst Ehrmantraut: Eigenbrötler stimmt auch. Ich musste meinen eigenen Weg gehen, um mir Vertrauen zu erarbeiten. Damals war ich einer der wenigen, wenn nicht der einzige Trainer, der am Tag nach dem Spiel schon eine Einzelkritik durchführte. Das war beileibe nicht üblich. Meine Nacht geriet dann auch sehr kurz. Nach dem Abpfiff schon ausgelaugt, habe ich die Restenergie noch in die Spielanalyse gesteckt. So ein Perfektionismus provoziert dann natürlich einen bestimmten Ruf.
Heute gibt es für die Spielanalyse eigene Trainer. Die Bundesligisten beschäftigen riesige Funktionsteams. Jürgen Klinsmann, Joachim Löw, Ralf Rangnick und Felix Magath stehen beispielhaft dafür, Verantwortung und Kompetenzen zu delegieren.
Horst Ehrmantraut: Damals war es anders. Da war man als Trainer noch Autokrat und auf sich selbst gestellt. Das hat Kraft gekostet. Ich habe Tag und Nacht für den Fußball gelebt.
Auch schon zu Ihrer Zeit müssen Sie aber Veränderungen im Trainerjob bemerkt haben.
Horst Ehrmantraut: Klar, ich habe mich ja auch verändert. Ich musste mich verändern. Der Trainerjob hat eine Entwicklung genommen, die nicht zu ignorieren ist. Heute muss er, siehe Funktionsteam, viel mehr Teammensch sein und auf einer Ebene mit den Spielern agieren.
Der moderne Fußballjargon spricht gerne von „flachen Hierarchien“.
Horst Ehrmantraut: Als ich anfing, war der Trainer oben und die Spieler unten. Man befahl etwas, die Spieler gehorchten. Das geht heute nicht mehr. Trainer älteren Jahrgangs, die sich nicht verändern wollen, sind chancenlos. Gucken Sie sich Louis van Gaal an: Sicherlich ein brillanter Trainer mit großem Fachwissen, aber eben einer, der nicht bereit war, seine Dominanz und Autorität auch nur in Maßen aufzugeben. Jupp Henyckes ist das Gegenbeispiel. Der kann sich auch noch mit über 60 Jahren umstellen. Deshalb hatte er in Leverkusen Erfolg und heuert jetzt beim FC Bayern München an.
Hat sich ein Trainertyp à la Christoph Daum verbraucht? Er wurde als Motivator gepriesen, sein Effekt bei Ihrer alten Liebe Frankfurt war aber gleich null.
Horst Ehrmantraut: Frankfurt hat da den totalen Bruch versucht. Erst gab es Michael Skibbe, total ruhig und zurückgenommen – und dann eben Christoph Daum, offen, öffentlich, laut, spaßig. Man muss sich vor jedem Trainerwechsel die Frage stellen: Was passt – in dieser besonderen Situation? Wie stellt sich der Ist-Zustand da – und was braucht das Team? In Frankfurt wurden diesbezüglich ganz offensichtlich Einschätzungen getroffen, die nicht korrekt waren.
Horst Ehrmantraut, hätten Sie die Eintracht retten können?
Horst Ehrmantraut: Natürlich, gar keine Frage! (lacht)
In den Fanforen kursierte Ihr Name. Sie wurden gefordert.
Horst Ehrmantraut: Das macht mich unendlich glücklich. Dass sich die Fans noch heute, dreizehn Jahre nach dem Aufstieg, an mich erinnern, dass ich heute noch in Frankfurt erkannt werde, ist unbeschreiblich.
Das gute Gedächtnis der Eintracht-Fans rührt vielleicht auch von den vielen Anekdoten aus Ihrer Zeit her. So sollen Sie zum Beispiel 1997 Co-Trainer Bernhard Lippert aus der Kabine geschmissen haben, weil der angeblich „negative Aura und Energie“ verströmte.
Horst Ehrmantraut: Die Geschichte verhielt sich etwas anders. Wir spielten in Karlsruhe und ich hatte den Verdacht, dass vom KSC einige Leute durch die Gänge schlichen. Ich hatte ein komisches Gefühl. Was, wenn die an der Tür lauschen und alle taktischen Überlegungen mitkriegen? Also habe ich Bernhard Lippert vor die Tür geschickt, damit er sich da mal umsieht und aufpasst.
Eine andere Episode erzählt, Sie hätten bei Eintracht Frankfurt den Busfahrer entlassen, weil der für den Weg zum Stadion zu lange brauchte.
Horst Ehrmantraut: Wenn meine Zeiten nicht eingehalten wurden, konnte ich grantig werden. Ich habe den Mann aber nicht entlassen, das stand mir gar nicht zu. Ich habe Druck ausgeübt. Es gehört zur Arbeit eines Busfahrers dazu, den Weg exakt zu kennen. Ich habe meine Fahrer immer genauestens instruiert. Es war minutiös ausgearbeitet, wann vor dem Hotel Abfahrt und am Stadion Ankunft sein sollte. An jenem Tag fingen wir mit der Mannschaftssitzung an. Dem Busfahrer blieb also der ganze Morgen, die Strecke abzufahren, die Zeit zu stoppen und mir die Daten zu übermitteln.
Kommt es denn wirklich auf zehn Minuten an? Das klingt sehr penibel.
Horst Ehrmantraut: Fußballer sind sehr abergläubisch, ergo brauchen sie gleiche Abläufe. Stellen Sie sich die Spielvorbereitung vor wie einen Trichter: Montag ist noch locker, locker, locker. Dienstag und Mittwoch kommt erster Ernst auf. Am Donnerstag wird schon sehr taktisch trainiert. Samstag, 15:30 Uhr, muss ich optimal bereit sein, mental wie körperlich. Es geht darum, die Konzentration zu zentrieren – und das war damals nicht möglich, weil der Busfahrer geschludert hatte.
Also sind Sie noch an der roten Ampel ausgerastet und haben sich dann selbst ans Steuer gesetzt, um den Bus gen Stadion zu fahren?
Horst Ehrmantraut: Richtig ist, dass ich sehr, sehr laut wurde. Ich habe gemeckert (lacht). Der Busfahrer war aber nicht, wie überall behauptet, sofort weg vom Fenster, sondern noch einige Zeit da.
Waren Sie schon mal im Vereinsmuseum von Eintracht Frankfurt? Ihr weißer Plastikstuhl hat da einen Ehrenplatz in einer Vitrine. Er ist ein historisches Objekt.
Horst Ehrmantraut: Ha! Der Plastikstuhl! Natürlich, ich wusste es. Eine wahre Geschichte, endlich mal. Ich kam damals zur Frankfurter Eintracht und beauftragte Rainer Falkenhain, unseren Lizenzspielleiter, mir bitte im Baumarkt den billigsten Stuhl zu kaufen, weil … (holt tief Luft, langes Schweigen) … Frankfurt, Bankerstadt, Denkerstadt.
Das müssen Sie erklären.
Horst Ehrmantraut: In Frankfurt gibt es mehr Banker als sonstwo in Deutschland. Nun sind diese Banker ja elitäre Leute. Sie sitzen auf ledergepolsterten Sesseln, weich, gemütlich. Auch mir wurde dieser Komfort angeboten. Ich lehnte ab. Ich wollte diesen billigen, weißen Plastikstuhl, um ein Zeichen zu setzen. Frankfurt war abgestiegen, runter, zweitklassig. Da war nichts mehr mit Elite. Alle Frankfurter, auch die Banker, sollten begreifen, dass jetzt angepackt und unten angefangen werden muss. Arbeit, Maloche. Der weiße Plastikstuhl war hochgradig symbolisch.
Der Boulevard schrieb, der Stuhl diene allein dem Zweck, Ihre Spieler besser fixieren und aus exponierter Position Energiefelder und negative Auren erspüren zu können.
Horst Ehrmantraut: Es ist kurios, welche Unwahrheiten da reingedeutet werden. Ich habe den Stuhl sehr weit nach vorne gestellt, ja. Aber doch nur, weil ich mich im Spiel voll konzentrieren können wollte. Wenn ich da die ganze Zeit die Gespräche der Bankspieler im Ohr habe, drehe ich durch. Ein Co-Trainer neben mir war manchmal noch okay, aber am liebsten blieb ich allein und für mich. Das soll nicht abwertend gegenüber den anderen Leuten klingen. Ich brauchte es einfach so.
Wie unbequem war der Verzicht auf feines Frankfurter Leder?
Horst Ehrmantraut: Der Stuhl war nicht gemütlich, aber immerhin sehr rustikal. Er hat ja dann auch einiges mitmachen müssen, der arme Kerl. Ich habe den Stuhl getreten, umgeworfen, gestoßen – das tat mir manchmal schon fast leid.
So oft kann es nicht Grund zum Ausrasten gegeben haben. Am Ende der Saison 1997/98 stieg Eintracht Frankfurt in die Bundesliga auf. Der Triumph war ein kleines Wunder, weil Sie ihn mit lauter Aussortierten und Abgeschriebenen schafften.
Horst Ehrmantraut: Es gab nach den fetten Jahren des Erfolgs nur noch ganz geringe Mittel. Also habe ich improvisiert. Thomas Epp, Alexander Kutschera und Ansgar Brinkmann sind Beispiele für Spieler, die erst bei uns aufblühten. Woanders waren sie außen vor. Das war natürlich auch keine totale Wundertüte. Wir konnten nicht einfach nur Risiko gehen. Wir wollten Typen holen, die zum Verein und zur Zielsetzung passen. Hinter die Auswahl von Spielern habe ich mich mit Akribie geklemmt. Ich wollte die Psyche der Spieler bewerten. Will der kämpfen, sich aufreiben und den Weg mitgehen oder nur leichtes Geld abgreifen? Die Antwort auf solche Fragen kriegst du nur in persönlichen Gesprächen und über ein dichtes Kontaktnetz.
Ihre Entlassung bei Eintracht Frankfurt empfanden viele als unrühmlich. Sie wurden nur ein halbes Jahr nach dem Aufstieg vom Hof gejagt. Bei der Verabschiedung in der Kabine sollen Tränen geflossen sein.
Horst Ehrmantraut: Auch ich habe später geweint. Frankfurt war eine ganz besondere Aufgabe für mich. Ich wurde entlassen, obwohl ich nicht mal auf einem Abstiegsplatz stand, und das mit einem Kader, den wir nach dem Aufstieg nur punktuell verstärkt hatten. Heute weiß ich, dass mein Standing beim Präsidium nicht das beste war.
Sie gingen 1999 zu Hannover 96. Bei den Niedersachsen setzten Sie durch, dass keine Auflaufprämie mehr gezahlt wird, nur noch Punkteprämie.
Horst Ehrmantraut: Im Fußball zählt der Erfolg. Wenn ein Spieler schon Geld dafür bekommt, dass er überhaupt aufläuft, ist der Sieg plötzlich nur noch ein kleiner Bonus. So kann man niemanden motivieren.
2002 heuerten Sie im Saarland an. Beim 1. FC Saarbrücken soll es sehr oft Meinungsverschiedenheiten mit dem Präsidenten, Hartmut Ostermann, gegeben haben.
Horst Ehrmantraut: Es wird immer gesagt, der hätte sich ins Training und in die Aufstellung eingemischt. Alles Kappes! Kein Trainer lässt sich sowas bieten – es sei denn, er ist so schwach, dass er sich über die Hilfe des Präsidenten auch noch freut. Ich bin dafür mit Sicherheit zu kernig. Wer diese Mär glaubt, kennt Horst Ehrmantraut nicht (lacht).
Viele kennen den Horst Ehrmantraut aus Saarbrückener Zeiten vor allem aus den Weiten des Web 2.0. Mit Ihrem Wutinterview nach dem Spiel gegen 1860 München wurden Sie zum YouTube-Hit.
Horst Ehrmantraut: Heute ist mir das peinlich. In dem Interview kriege ich ja fünfmal die Krise und rege mich auf über eine Schiedsrichterleistung, die „zum Himmel schreit“ und „jeder Beschreibung spottet.“ Das war nicht souverän. Heute würde ich mich nicht so gehen lassen, auch wenn ich echauffiert wäre.
Solche Zornesausbrüche sind sehr selten geworden im TV. Die Trainer werden in den DFB-Lehrgängen bis ins Letzte mediengeschult.
Horst Ehrmantraut: Sehe ich heute die Gelassenheit anderer Trainer, beneide und bewundere ich sie manchmal. Die halten Kopf und Gefühl auseinander und können im Interview noch ganz cool von ihren Hobbys erzählen. Das kenne ich gar nicht! Aber ich finde auch, ein Trainer sollte Ecken und Kanten haben. Reibung ist gut, Reibung bringt Erfolg. Regt mich etwas auf, muss es raus. Ich sage meine Meinung.
Sie sagen, Sie standen damals unter Strom. Sie kennen Situationen der Anspannung also gut. Trotzdem regten Sie sich in einem Interview 2008 über Joachim Löw auf, als der für das EM-Spiel gegen Portugal gesperrt war und hinter einer Glasscheibe seine Nervosität mit Zigaretten zu bekämpfen versuchte.
Horst Ehrmantraut: Das war mir ein rotes Tuch. Ich hätte den sofort entlassen nach der Aktion, ware ich DFB-Präsident gewesen. Natürlich verstehe ich, dass der Bundestrainer unter immensem Druck steht – das tun wir Vereintrainer aber auch. Und wir stellen uns eben nicht hinter Glas, rauchen und trinken Rotwein.
Vereinstrainer waren Sie nicht mehr, seit es beim 1.FC Saarbrücken zu Ende ging. Sechs Jahre ist das her – im Fußballgeschäft, auch wenn es platt klingt, eine halbe Ewigkeit.
Horst Ehrmantraut: Es kommt der Moment, da man merkt, wie das Alter voranschreitet. Die Zeit rinnt und rennt davon. Tage sind gar nichts mehr, Wochen ganz wenig, Monate gerade noch eine Kleinigkeit. Man fängt an, nur noch in Jahren zu zählen. Alles kehrt sich um. Der Tag, als die 50 auf dem Kuchen thronte, schockte mich. Früher, als kleiner Steppke, erschienen mir Sechzigjährige immer unendlich alt. Ich hielt die für verbraucht, vom Kopf und vom Körper her. Und jetzt sollte ich davon nur noch zehn Jahre entfernt sein? Da habe ich beschlossen, mehr auf mich zu achten.
Das klingt, als hätten Sie mit dem Fußball abgeschlossen.
Horst Ehrmantraut: Nein, gar nicht. Der Eindruck soll nicht entstehen. Ich freue mich über die Angebote, die bei mir eingehen, und es kann durchaus sein, dass man mich wieder auf der Trainerbank sieht. Aber ich war dreizehn Jahre als Spieler und sechzehn Jahre als Trainer aktiv. Entweder mache ich ich etwas ganz – oder gar nicht.
Wer wollte Sie haben?
Horst Ehrmantraut: Seit Saarbrücken hatte ich elf konkrete Angebote. Die erste Liga war nicht dabei, dafür zweite, dritte und Regionalliga, auch das Ausland. Ginge es mir ums Geld, hätte ich annehmen müssen. Aber ich habe zu aktiven Zeiten immer sehr konservativ gehaushaltet. Wenn ich dann einstige Mitspieler von mir sehe, die damals so viel mehr verdienten und jetzt händeringend einen Job suchen, kann ich das kaum begreifen. Das macht mich traurig.
Sie laufen Gefahr, bald keine Angebote mehr zu kriegen, wenn sich die Interessierten nur Absagen einhandeln. Irgendwann verschwindet ein Trainer vom Radar, weil es heißt: Der will ja doch nicht.
Horst Ehrmantraut: Der Gefahr bin ich mir bewusst. Damit muss ich leben – und ich lebe gut damit. Noch ist es ja nicht so, dass gar nichts mehr kommt. Erst im Winter hatte ich eine Anfrage aus China. Cheng Yang, mein ehemaliger Spieler aus Frankfurter Zeiten, ist jetzt Sportdirektor bei einem Erstligisten. Der hat Vermittler beauftragt, um mich aufzuspüren. Leider war China nicht das, was ich brauche. Das Land hat sich sicherlich geöffnet, aber ich passe nicht in dieses System.
A propos System: Wie wollten Sie Fußball spielen lassen? Wie sah die Ehrmantrautsche Philosophie aus?
Horst Ehrmantraut: Da muss ich einen Bogen in die Vergangenheit schlagen, denn die Einführung der Drei-Punkte-Regel ist in diesem Zusammenhang ganz wichtig. Vorher war ein Remis ja schon die halbe Ernte. Die Null musste stehen. Nach der Änderung ließen die Trainer offensiver spielen. Wer die Drei-Punkte-Regel erdacht hat, verdient ein großes Kompliment. Es war der entscheidende Impuls, um dem Fußball jenen Stellenwert zu verleihen, den er heute hat. Du kannst in eine Kneipe gehen oder in ein feines Restaurant, überall rollt der Ball. Fußball bringt den einfachen Arbeiter von den Stadtwerken in Kontakt mit dem Professor von der Uni.
Und Ihr System war dann …
Horst Ehrmantraut: … erst ein defensives und nach Einführung der Drei-Punkte-Regel musste auch ich umstellen und offensiver spielen lassen.
Kontrolle und Stringenz schienen Ihnen trotzdem wichtig zu sein. Bei Hannover 96 wechselten Sie mal den Stürmer Sherif Touré aus, weil der einen Übersteiger versucht hatte. Für den Togolesen die Höchststrafe, immerhin lief schon die 90. Minute, er war erst vierzehn Minuten vorher ins Spiel gekommen und: Sie führten mit 4:2 gegen Arminia Bielefeld!
Horst Ehrmantraut: Das habe ich gemacht, weil Touré in der Halbzeit noch den Pausenclown gegeben und nur den Ball jongliert hatte. Das geht nicht. Ich will meinen Spielern ja auch Ernsthaftigkeit vermitteln. Insofern war dieser Wechsel zwar hart, aber eigentlich nur eine Erziehungsmaßnahme. Dass die bei Sherif, einem begnadeten Fußballer, nicht gegriffen hat, ist schade. Er hat den ganz großen Sprung nie geschafft.
Wie viel Fußball verfolgen Sie noch?
Horst Ehrmanntraut: Sehr viel. Ich reise überall hin, Bundesliga, Amateurfußball. Wenn ein vielversprechender, junger Spieler auftaucht, will ich den sofort sehen.
Dabei könnten Sie ihn für keinen Verein verpflichten.
Horst Ehrmantraut: Ich mache das aus Liebe zum Fußball. Dieser Sport hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich war nie ein begnadeter Techniker, kein großer Zauberer. Trotzdem habe ich es bis zum Profispieler gebracht und saß auch auf der Trainerbank. Ich will dem Fußball Danke sagen.