Mit Mitte 20 kickte Hendrik Helmke noch für den VfB Lübeck in der Regionalliga. Über Finnland und Malaysia ist er nun beim norwegischen Erstligisten Tromsø IL gelandet – und spielt plötzlich in der Europa League gegen Tottenham Hotspur. Ein Gespräch über fanatische Fans, Weltreisen und das Leben nahe des Nordpols.
Hendrik Helmke, kennen Sie Lutz Pfannenstiel?
Der Name sagt mir was. Helfen Sie mir auf die Sprünge.
Pfannenstiel stand bei über 25 Vereinen als Fußballprofi unter Vertrag.
Ich erinnere mich. Pfannenstiel ist der Welttorhüter, der auf allen Kontinenten gespielt hat. Aber was hat das mit mir zu tun?
Sie sind ebenfalls ein Globetrotter. Laut Ihrer englischen Wikipedia-Seite haben Sie bereits in Deutschland, Papua-Neuguinea, Finnland, Malaysia und im Iran gespielt. Aktuell stehen Sie bei Tromsø IL in Norwegen unter Vertrag.
Moment! Das steht da? Ich war nie in Papua-Neuguinea oder im Iran. Richtig ist, dass ich in Malaysia und Finnland gespielt habe und jetzt in Tromsø gelandet bin.
Mit Mitte 20 haben Sie noch in der Regionalliga gespielt. Heute Abend spielen Sie in der Europa League gegen Tottenham Hotspur. Wie haben Sie das geschafft?
Dafür muss ich ein bisschen ausholen.
Bitte.
Ich habe meine Karriere in der Jugend des HSV begonnen, später spielte ich für den Lüneburger SK und den VfB Lübeck. Vor allem in Lübeck hatte ich eine tolle Zeit, wir haben im DFB-Pokal sogar mal den FSV Mainz 05 geschlagen. Dennoch träumte ich früher wie jeder Nachwuchsspieler von der großen Fußballbühne, von der Bundesliga, von Spanien oder England. Um 2010 wollte ich dann den nächsten Schritt machen.
Es gab aber keine Angebote aus Deutschland?
Die gab es durchaus. Leider zerschlugen sich die meisten. Ich hatte etwa eine Anfrage von Rot Weiss Essen vorliegen, doch der Klub ging wenig später insolvent. Konkret wäre es beinahe mit dem Zweitligaabsteiger Rot-Weiß Ahlen geworden. Zeitgleich vermittelte mir mein Berater aber einen Kontakt zum finnischen Erstligisten FK Mariehamn, und ich sagte zu.
Was wurde aus dem Bundesliga-Traum?
Viele Leute vergessen, dass es unfassbar hart ist, ganz nach oben zu kommen. Den Bundesliga-Traum haben hunderttausende Kinder und Jugendliche, doch wie viele schaffen es von denen wirklich? Ich konnte meine Leistung immer realistisch einschätzen. Außerdem sah ich Finnland auch als eine Art Sprungbrett.
Das Sprungbrett beförderte Sie zunächst nach Malaysia. Wie kam es dazu?
Mein ehemaliger Mitspieler Fernando de Abreu, der übrigens auch schon mal für Atlético Madrid gespielt hat, gab mir den Tipp. Er war im Sommer 2011 zum FC Johor gewechselt und hat von der Stimmung und den Bedingungen in Malaysia geschwärmt: Spiele vor 30.000 oder 40.000 Zuschauern, dazu das Meer direkt vor der Haustür und immer Sonne. Was will man mehr? Ich unterschrieb bei Sabah FA, einem Klub auf der Touristeninsel Borneo.
Und?
Es war tatsächlich so, wie Fernando es erzählt hatte. Eine traumhafte Zeit.
Sie sind nach einigen Monaten trotzdem zurück nach Finnland. Wieso?
Ich wollte mit der Zeit in Malaysia ursprünglich nur die lange Winterpause in Finnland überbrücken. Als ich dann dort war, habe ich tatsächlich überlegt, länger zu bleiben. Doch es gibt in Malaysia die blöde Regel, dass man als Ausländer nicht direkt zu einem anderen malaysischen Verein wechseln darf. Und nachdem wir mit Sabah FA leider abgestiegen waren, dachte ich: Junge, versuch es noch einmal in Europa! Außerdem fühlte ich mich noch zu jung für Malaysia.
Wie können wir das verstehen?
In Südostasien trifft man ziemlich viele europäische und südamerikanische Fußballer, darunter auch einige ehemalige Superstars, die fast alles am Ball können. Doch fast alle sind weit über 30. Irgendwie kam ich mir da fehl am Platz vor.
In einem Interview haben Sie mal gesagt, dass Sie ein Lebemann sind. Wie kommen Sie in der finnischen oder norwegischen Provinz zurecht?
Natürlich sind Orte wie Tromsø oder Jaro, wo ich nach meiner Zeit in Malaysia spielte, nicht mit einer Großstadt wie Hamburg zu vergleichen. Doch ich habe kein Problem damit. Ich fühle mich wohl. Der Lebemann-Satz spielte eher darauf an, dass ich gerne unterwegs bin. Ich möchte die Welt sehen und viele neue Leute kennenlernen.
Das können Sie jetzt. Tromsø spielt in der Europa League gegen Anschi Machatschkala, Sherrif Tiraspol und Tottenham Hotspur. Traumlose?
Tottenham auf jeden Fall. Anschi Machatschkala ist sicher nicht mehr so attraktiv, seit der Milliardär den Geldhahn ein wenig zugedreht hat und Samuel Eto’o nicht mehr dort spielt. Und Sherrif Tiraspol? Ganz ehrlich: Über die weiß ich nichts.
Tiraspol, Moldawien. Entfernung nach Tromsø über 3000 Kilometer.
Wir haben glücklicherweise eine Charter-Maschine, die direkt von Tromsø aus fliegt. Doch zurück zu Ihrer Traumlos-Frage: Eigentlich müssen wir darüber gar nicht sprechen, denn wir können froh sein, dass wir überhaupt dabei sind. Sportlich sind wir ja in der Qualifikation ausgeschieden.
Wann haben Sie erfahren, dass Sie für Besiktas nachrücken?
Es gab schon vor dem Rückspiel Gerüchte, dass Besiktas aufgrund des Manipulationsskandals von der Uefa ausgeschlossen wird. Doch wir wollten uns davon nicht verwirren lassen und sportlich qualifizieren. Das Hinspiel hatten wir ja 2:1 gewonnen, die Ausgangslage war also nicht so schlecht. In Istanbul war dann die Hölle los, Verkehrschaos, überall Polizei und schließlich 60.000 Zuschauer im Atatürk-Olympiastadion, die uns schon beim Aufwärmen ausgepfiffen haben. Sie waren gnadenlos! Wir haben nicht schlecht gespielt und trotzdem 0:2 verloren. Am nächsten Tag haben wir die Auslosung im Fernsehen gesehen. Ich habe auf Rubin Kazan gehofft, die anderen Jungs auf Tottenham.
Auf Rubin Kazan?
Ein ehemaliger Mitspieler von mir kickt dort.
Nun müssen Sie sich mit Tottenham anfreunden. Auch okay?
(lacht) Klar. Ich habe zwar schon gegen ein paar Torpstars spielen dürfen, doch Jermain Defoe und Emmanuel Adebayor sind eine andere Hausnummer.
Und im Mittelfeld spielt Lewis Holtby. Kennen Sie sich?
Nein. Aber ich werde ihn nach dem Spiel wohl mal ansprechen. Es ist bei den ganzen Reisen immer nett, mal wieder Leute aus Deutschland zu treffen.
Wird es Tottenham ähnlich gehen wie Besiktas?
Wir brauchen uns nichts vormachen: Tottenham ist klarer Favorit.
In heimischen Alfheim-Stadion sind allerdings schon einige Favoriten gestolpert.
Das stimmt. Tromsø hat in den vergangenen Jahren Mannschaften wie Chelsea oder Galatasaray geschlagen.
Herr Helmke, Sie spielen beim nördlichsten Erstligisten der Welt. Spürt man das?
Klar. Haben Sie schon mal einen Sommer in der Polarregion erlebt, wenn die Sonne gar nicht mehr untergeht? Als ich noch in Finnland gespielt habe, bin ich immer mitten in der Nacht aufgewacht. Mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt.
Und was machen Sie in Tromsø, wenn Freunde aus Deutschland zu Besuch kommen?
Hier gibt es viele Berge und wunderschöne Landschaften. Meine Eltern würden es sehr mögen. Doch ganz ehrlich: Wenn meine Freunde kommen, gehe ich mit ihnen in eine Bar. Tromsø ist nämlich eine Studentenstadt und nicht so verschlafen, wie Sie vielleicht denken.