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Hans Til­kowski, was macht Ihrer Mei­nung nach einen guten Tor­wart aus?

Das kommt darauf an, wann man diese Frage stellt. Heute wird viel mehr Wert auf Selbst­dar­stel­lung gelegt. Meine Zeit dagegen war geprägt von Kee­pern wie Hans Jakob, Heiner Stuhl­fauth oder Toni Turek, gegen den ich selbst noch gespielt habe. Es war eine Gene­ra­tion der Sach­lich­keit, die sich viel­leicht am besten mit einem Satz von Sepp Her­berger zusam­men­fassen lässt: Ich brauche einen Tor­hüter für die Mann­schaft, nicht für das Publikum.“

Das ist heute anders?

Heute sehe ich häufig einen gewissen Popu­lismus im Tor­wart­spiel. Her­berger dagegen lag jede Effekt­ha­scherei, jede Show fern. Das ist die Grund­lage, auf der wir damals gespielt haben.

Sie meinen, der Zeit­geist bestimmt, wer als guter Tor­hüter gilt?

Bezie­hungs­weise die jewei­lige mediale Betrach­tungs­weise. Ich habe zum Bei­spiel vor kurzem einen Reporter gehört, der über einen Tor­wart sagte, er leiste sich den Luxus, die Tor­linie zu ver­lassen.“ Ich frage mich dann manchmal, ob die Jour­na­listen das Tor­wart­spiel über­haupt kennen und richtig bewerten können. Schauen Sie nur mal, wie viele Gegen­tore im Fünf­me­ter­raum fallen, selbst nach Eck­bällen oder Frei­stößen. Solche Dinge standen zu meiner Zeit viel stärker in der Kritik, als das heute der Fall ist.

Das klingt, als würde es heute an den Grund­lagen fehlen.

Uns wurden bereits von unseren Ver­bands­sport­leh­rern die tech­ni­schen Grund­lagen bei­gebracht. Ich beob­achte das aktu­elle Tor­hü­ter­spiel sehr genau und bin fast jede Woche im Sta­dion. Ich sehe tat­säch­lich, dass tech­nisch-tak­ti­sche Grund­lagen häufig fehlen. Sepp Her­berger hat damals schon den Tor­hüter als ersten Auf­bau­spieler cha­rak­te­ri­siert. Haben Sie mal darauf geachtet, wie viele Tor­hüter heute Drop­kicks machen?

Wenige.

Sehen Sie. Ziel des Abstoßes ist es aber doch, dass der eigene Mann den Ball behält. Her­berger hat immer zu mir gesagt: Die Kame­raden haben fünf Minuten um den Ball gekämpft und Sie nehmen ihn in die Hand und schlagen ihn ein­fach hoch in die Luft.“ Genau das beob­achte ich heute bei vielen Tor­hü­tern – man hat das Gefühl, es liegt Schnee auf dem Ball, wenn er wieder run­ter­kommt. Nichts ist für einen Abwehr­spieler leichter abzu­wehren und für den eigenen Stürmer schwerer anzu­nehmen, als ein hoher Abschlag.

Was ist der Vor­teil bei einem Drop­kick?

Drop­kicks kommen fla­cher und fliegen knapp über die Köpfe des Geg­ners. Der eigene Stürmer kann sie leicht annehmen, oder besser noch, mit­nehmen. In Eng­land sieht man auch viel häu­figer schnelle, prä­zise Abwürfe in den Lauf des Mit­spie­lers, als das hier in Deutsch­land der Fall ist.

Müssen Sie dann nicht manchmal schmun­zeln, wenn heute vom modernen, mit­spie­lenden Tor­hüter gespro­chen wird?

Sicher­lich. Tor­hüter, die Fuß­ball spielen können, hat es vor vierzig Jahren schon gegeben. Wir mussten doch alle damals ab und an im Feld spielen. Es gab keine Aus­wech­se­lungen, und wenn ein Tor­wart sich im Spiel die Hand ver­letzt hat, ist er aufs Feld gegangen, und ein Feld­spieler ging in den Kasten. Ich habe dann Mit­tel­stürmer gespielt.

Wie haben Sie mit dem Fuß­ball spielen ange­fangen?

Auf der Straße. Im Gegen­satz zu den heu­tigen Stra­ßen­fuß­bal­lern haben wir tat­säch­lich auf der Straße Fuß­ball gespielt. Da fuhr der Spreng­wagen noch, der die Straßen wäs­serte, damit es nicht so staubt. Wir hatten keine Fuß­ball­plätze, wir haben mit selbst­ge­nähten Stoff­bällen gekickt.

Wie sind Sie eigent­lich Tor­wart geworden?

Irgend­wann kam eine Situa­tion, in wel­cher der Tor­wart aus­ge­fallen war und ich in den Kasten gegangen bin. Da habe ich Spaß daran gefunden, der Jugend­leiter hat mich auch darin bestärkt, und der hatte ja ohnehin das Sagen. Trotzdem dachte ich noch, dass ich das nur vor­über­ge­hend machen würde. Auch des­wegen habe ich neben meinem Tor­wart­trai­ning wei­terhin am nor­malen Mann­schafts­trai­ning teil­ge­nommen. Das habe ich auch als Profi so bei­be­halten.

Das heißt, Sie sind in die Tor­wart­rolle eher rein­ge­rutscht?

Man rutscht ja sowieso überall rein. Du fängst als Links­außen an und plötz­lich spielst du Ver­tei­diger.

Hatten Sie damals ein Vor­bild?

Einige haben geschrieben, Toni Turek sei mein Vor­bild, obwohl ich da nie Stel­lung zu genommen habe. Natür­lich hat mich die Ruhe, die er aus­strahlte, sehr fas­zi­niert. Mensch­lich beein­druckt hat mich mein Vor­gänger Fritz Her­ken­rath – ein Mann, der die Sach­lich­keit schon auf­grund seiner Pro­fes­sion als Lehrer (Her­ken­rath hatte ein Sport­lehrer-Diplom und wurde später Pro­fessor für Sport, d. Red.) ver­kör­perte. Geschwärmt hat damals natür­lich jeder von Lew Jaschin. Und Gordon Banks habe ich eben­falls sehr geschätzt. Das sind dann Leute, von denen man sich ein biss­chen was abge­schaut hat. Aber DAS eine Vor­bild hat es in dem Sinne nicht gegeben.

Wie sah das Tor­wart­trai­ning zu Beginn Ihrer Kar­riere aus?

Her­bert Wid­meyer hat zum Bei­spiel in der Sport­schule Kai­serau gezieltes Tor­wart­trai­ning durch­ge­führt – das Fangen, das Auf­nehmen. Er hat die Bälle so geworfen, dass man das rich­tige Fangen übte, mit den Händen hinter dem Ball. Wenn wir Paraden trai­nierten, haben wir das in der Sand­grube getan, weil man sich da nicht ganz so weh tat – dadurch wurde gleich­zeitig die Sprung­kraft enorm gestärkt. So haben wir die tech­ni­schen Grund­lagen des Tor­wart­spiels gelernt.

Wie ging es dann weiter?

Ich war 15, als ich meinen ersten Lehr­gang bei Dettmar Cramer beim west­deut­schen Fuß­ball­ver­band in Duis­burg gemacht habe. Das war 1950. Sepp Her­berger hatte als Bun­des­trainer seine Trai­nings­lehre an die Ver­bands­trainer wei­ter­ge­geben, von der auch die Tor­hüter pro­fi­tierten.

Gab es denn schon spe­zi­elle Tor­wart­trainer?

Natür­lich nicht, für so etwas war doch über­haupt kein Geld da. Aber es gab zum Bei­spiel spe­zi­elle Lehr­filme über das rich­tige Fausten und Abwerfen, die nach Her­ber­gers Anwei­sungen mit mir als Tor­wart ent­standen sind und dann in den Sport­schulen gezeigt wurden.

Wie geht denn das rich­tige Fausten?

Am wich­tigsten ist es, ein Gefühl dafür zu ent­wi­ckeln, recht­zeitig in der Luft zu stehen – so wie man es immer über Uwe Seeler gesagt hat, der stand ja förm­lich in der Luft. Der Ball darf dann natür­lich nicht nur berührt werden, son­dern muss wie beim Boxen aus der Schulter heraus richtig getroffen werden, so dass der Ball bis zu 40 Meter weit fliegen kann. Aber ent­schei­dend ist das Timing.

Hat Ihnen dabei Ihr Box­trai­ning geholfen?

Nein, das war bloß aus Jux und Dol­lerei. Ich wollte ein­fach dabei sein, wenn meine Kum­pels boxen gegangen sind. Und dann habe ich eben mit­ge­boxt.

Hat sich das Tor­wart­spiel im Laufe der Jahre ver­än­dert?

Ein Argu­ment dafür ist ja immer, dass die Flanken heute schärfer kommen. Ande­rer­seits hat der Charly Dörfel schon 1960 Flanken geschlagen, die so scharf auf Uwe Seeler kamen, dass der nur noch seinen Kopf hin­halten musste. Und das konnte der sowohl aus dem Stand, als auch aus dem Lauf heraus. Ana­ly­siert man das Tor­wart­spiel nüch­tern und nicht so auf­ge­regt wie in der Sport­presse üblich, würde ich sagen: Es hat sich nichts geän­dert.

Also alles beim Alten?

Damals wie heute muss sich der Tor­hüter auf die Eigen­heiten der Stürmer ein­stellen. Bei Stan Libuda wußte ich, dass er nicht aus spitzem Winkel schießen, son­dern zurück passen würde. Helmut Rahn dagegen hat oft den Abschluss aus spitzem Winkel gesucht. Das heißt, wir hatten eine Art Spie­ler­kartei im Kopf. Damals wie heute ist der gute Tor­hüter der­je­nige, der seine Fähig­keiten in den Dienst der Mann­schaft stellt und nicht für sich glänzt. Und diese Fähig­keiten hat er ganz sach­lich ein­zu­setzen. Die Reflexe gehörten auch damals zur not­wen­digen Grund­aus­stat­tung eines jeden Tor­hü­ters. Und heute noch hält es der gute Tor­hüter mit Her­berger: Wenn Sie eine Parade zeigen müssen, haben Sie vorher etwas ver­passt.“

Machen denn nicht die modernen Bälle das Tor­wart­spiel schwie­riger? Man hört immer Klagen, dass sie kaum zu berechnen sind.


Wenn ich das schon höre – bereits im Vor­feld der WM in Chile wurde davon gespro­chen, dass die Tur­nier­bälle flat­tern. Aber keiner fragt heute mehr danach, dass wir damals prak­tisch ohne Hand­schuhe gespielt haben.

Was heißt prak­tisch ohne“?

Ich hatte von meiner Mutter gestrickte Woll­hand­schuhe. Mehr gab es ja nicht.

Rutschte der Ball mit sol­chen Hand­schuhen nicht sofort durch die Hände?

Gerade da zeigte sich dann das Können des Tor­hü­ters. Ich habe kürz­lich noch einmal mit dem Gyula Gro­sics (Ungarns Natio­nal­tor­wart von 1947 bis 1962, d. Red.) gespro­chen – der hat nie Hand­schuhe getragen. Selbst im Winter nicht.

Bei der WM 1962 in Chile zog ihnen Sepp Her­berger über­ra­schend den uner­fah­renen Wolf­gang Fah­rian vor. Stimmt es, dass Sie nach Hause geflogen wären, wenn Sie einen Flug bekommen hätten?

Ja sicher.

Warum?

Wissen Sie, ich war vier Jahre vorher bei der WM in Schweden auch schon im Kader. Da sagte Her­berger: Hans, Sie sind 22 Jahre alt, Sie haben erst drei Län­der­spiele, ich brauche einen Tor­hüter mit mehr Erfah­rung.“ Das hat zwar weh­getan, aber seine Argu­mente waren richtig. Für die WM 1962 habe ich alle Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiele mit­ge­macht, und kurz vor Tur­nier­be­ginn teilt er mir mit, dass Wolf­gang Fah­rian seine Nummer Eins sei. Der hatte aber erst ein Län­der­spiel. Her­ber­gers Ent­schei­dung war eine rie­sige Ent­täu­schung für mich. Ich habe dann auch zu ihm gesagt: Sie lehren etwas anderes, als Sie prak­ti­zieren und prak­ti­zieren etwas anderes, als Sie lehren.“ Und damit habe ich Recht behalten, denn er ist nach meinem Rück­tritt zu mir gekommen und hat mich darum gebeten, wieder zu spielen. So habe ich dann die WM 1966 in Eng­land doch noch als erster Tor­wart gespielt.

Wie beur­teilen Sie vor diesem Hin­ter­grund Oliver Kahns Ent­schei­dung, bei der WM 2006 als Ersatz­tor­wart dabei gewesen zu sein?

Ich behaupte mal, das haben ihm seine Medi­en­be­rater nahe­ge­legt. Aber wie haben Sie das eigent­lich emp­funden, als Kahn vor dem Elf­me­ter­schießen zu Jens Leh­mann gegangen ist, um ihm viel Glück zu wün­schen?

Um ehr­lich zu sein, ich habe eine Gän­se­haut bekommen.

Aha. Und warum?

Weil es mich berührt hat, wie sich der Team­geist dieser Mann­schaft in einem starken Bild mani­fes­tierte.

Sehen Sie, und ich sage Ihnen genau das Gegen­teil. Sie müssen das mal genau betrachten: Oliver Kahn schaut den Jens Leh­mann in diesem Moment gar nicht an. Er schaut in die Kamera.

Sie meinen, die Begeg­nung der beiden Tor­hüter war insze­niert?

Ja. In erster Linie ging es Oliver Kahn darum, aus seiner Rolle als Ersatz­mann das Beste für sich her­aus­zu­holen. Er hat sich den Platz auf der Bank doch sogar in der Wer­bung ver­sil­bern lassen.

Ist Leh­mann Ihr WM-Tor­wart gewesen?

Ich habe mich von Anfang an aus dieser Dis­kus­sion her­aus­ge­halten, und es steht mir auch nicht zu, das zu beur­teilen. Das ein­zige, was ich zu Jens Leh­mann sagen kann, ist, dass er dem Spiel, das ich ver­kör­perte, sehr nahe kommt. Er macht sein Spiel nicht von der Tor­linie aus, das gefällt mir sehr gut. Er steht meist am Elf­me­ter­punkt oder sogar am Sech­zehner. Wenn jetzt vom Gegner ein Steil­pass kommt, hat er gegen­über anderen Tor­hü­tern meh­rere Meter Vor­sprung. Er hat in Eng­land viel gelernt, sein Tor­wart­spiel ist dort ein anderes geworden.

Wie wichtig ist die Lobby für einen poten­ti­ellen Natio­nal­tor­hüter?

Die ist relativ wichtig, das ist heute nicht anders als früher. Mir hat diese Lobby teil­weise gefehlt – ich hatte einen halben Jour­na­listen, der mich beob­ach­tete und stützte, wäh­rend andere fünf oder sechs Pres­se­ver­treter hatten. Heute sehen Sie das an Uli Hoeneß, der Rensing über die Medien wieder ins Gespräch bringt, weil ihm Neuer und Adler in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung den Rang abge­laufen haben.

Sind es am Ende die Medien, die einen guten Tor­hüter kon­stru­ieren?

Sie können das Züng­lein an der Waage sein. Sehen Sie, es gibt doch genug Jour­na­listen, die ihr Herz an einen Verein ver­loren haben. Die beschreiben dann jede noch so unnö­tige Parade ihres Tor­hü­ters als Welt­klasse – Parade, die jedoch im Vor­feld hätte ver­hin­dert werden können. Da fragt man sich teil­weise, ob die ihr Gehalt auch vom jewei­ligen Verein beziehen. Und wenn Sie als Tor­wart nicht nur gegen Ihre Kon­kur­renten, son­dern auch noch gegen eine auf dieses Weise mobi­li­sierte Öffent­lich­keit ankämpfen müssen, haben Sie es ver­dammt schwer. Bevor ich einen Artikel lese, schaue ich zuerst nach, wer ihn geschrieben hat. Dann weiß ich oft schon vorher, dass ich ihn nicht lesen muss.

Muss man als Tor­hüter ein biss­chen ver­rückt sein?

Tja, manche sagen eben, dass einer, der sich dau­ernd im Schlamm wälzt, ver­rückt sein muss. Wenn ich mir auf der anderen Seite manche Tack­lings anschaue, sage ich auch, der muss ver­rückt sein. Das zu beur­teilen, über­lasse ich jedem selbst.

Sind Tor­hüter gene­rell eher Ein­zel­kämpfer oder Mann­schafts­spieler?

Der Tor­wart ist ein auf sich allein gestellter Mann­schafts­spieler.

Sie standen öfter in hartem Kon­kur­renz­kampf mit anderen Kee­pern – Wessel in Dort­mund, Kunter in Frank­furt. Wie ist das Ver­hältnis zu Ihren Kon­kur­renten gewesen?

Sehen Sie, gegen seine sport­liche Kon­kur­renz muss man sich eben durch­setzen – und am Ende ent­scheidet sowieso der Trainer. Zu Wolf­gang Farian habe ich heute immer noch ein gutes Ver­hältnis. Er konnte ja nichts für die Ent­schei­dung des Trai­ners.

Beein­träch­tigt denn die sport­liche Kon­kur­renz das per­sön­liche Ver­hältnis gar nicht?

Manchmal schon. Es kommt immer darauf an, wie jemand mit seiner Unzu­frie­den­heit fertig wird. Ob er sie nach außen trägt, um zum Bei­spiel grö­ßere mediale Auf­merk­sam­keit zu bekommen oder sich bei Jour­na­listen anzu­bie­dern.

Wen sehen Sie als künf­tige Nummer 1 im Tor der deut­schen Natio­nal­mann­schaft?

Das will ich nicht kom­men­tieren. Ich kann Ihnen nur sagen, wen ich momentan schätze, weil sie der Tor­wart­phi­lo­so­phie, die ich ver­trete, am nächsten kommen.

Welche Keeper sind das?

Das sind in erster Linie Manuel Neuer von Schalke 04 und Robert Enke von Han­nover 96. Von letz­terem sieht man auch mal einen Drop­kick. René Adler habe ich zu selten gesehen, um ihn richtig ein­schätzen zu können. Er wirkt manchmal noch ein biss­chen unge­stüm, aber er ist ja auch noch sehr jung.

Was ist mit Timo Hil­de­brandt?

Nicht so mein Fall. Ihm fehlt, meiner Ansicht nach, ein wenig die Fähig­keit mit­zu­spielen. Er kas­siert zu viele Gegen­tore aus dem Fünf­me­ter­raum, bei Flanken zum Bei­spiel. Wenn der Eck­ball von der rechten Seite mit rechts gespielt wird, kann der Ball ja nur vom Tor weg gehen. Da kann ich mich doch schon auf die Fünf­me­ter­linie stellen. Das gehörte bei uns damals zur Grund­aus­bil­dung und wird heute oft­mals falsch gemacht.

Mit Enke und Hil­de­brand auf der einen, und Neuer und Adler auf der anderen Seite, kon­kur­rieren fast schon zwei Gene­ra­tionen mit­ein­ander. Sind Sie für den sanften Über­gang mit der Gene­ra­tion Enke, oder würden Sie per­sön­lich sofort auf die Jugend setzen?

Bei der Ent­schei­dung spielen Gene­ra­tionen doch gar keine Rolle. Ich kann doch jetzt auch noch nicht beur­teilen, wie Enkes Leis­tungen in einem Jahr aus­sehen. Das wird bei sol­chen Dis­kus­sionen immer ver­gessen. Bei Tor­hü­tern geht es um kon­stant gute Leis­tungen über einen langen Zeit­raum, mehr noch als bei Feld­spie­lern.

Haben Sie eine Erklä­rung dafür, warum Deutsch­land schon immer sehr gute Tor­hüter her­vor­ge­bracht hat?

Da muss man weit zurück­gehen und sich auch den Ama­teur­sport genauer ansehen. Jeder Natio­nal­spieler ist zunächst mal Ama­teur­sportler gewesen. Und wir haben das Glück, eine sehr breite und gut orga­ni­sierte Basis in diesem Bereich zu haben – und das seit Gene­ra­tionen. Das gilt eben auch für die Tor­hüter: Da werden erfah­rene und ver­diente National- oder Bun­des­li­ga­spieler in die Ver­bands­ar­beit mit ein­be­zogen. In Eng­land, ich habe erst neu­lich mit Gordon Banks und Geoff Hurst gespro­chen, ist das nicht der Fall. Und dass Eng­land ein Tor­wart­pro­blem hat, ist ja bekannt.

Wel­ches würden Sie als das Spiel Ihres Lebens bezeichnen?

Das WM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel 1960 in Grie­chen­land. Weil es ein tor­wart­tech­nisch ideales Spiel gewesen ist. Wirk­lich alles hat geklappt: Wenn der geg­ne­ri­sche Links­außen geflankt hat, habe ich es geschafft, den Ball auf unseren Links­außen zurück zu fausten, sodass er den Ball wieder auf­nehmen konnte. Die Bälle, die aufs Tor kamen, konnte ich alle fest­halten oder zur Seite abwehren. Wir haben das Spiel 3:0 gewonnen, nachdem ich beim Stand von 1:0 noch einen Elf­meter gehalten habe. Die Bestä­ti­gung kam nach dem Spiel von Her­berger per­sön­lich, der ja sonst immer sehr sparsam mit seinem Lob umge­gangen ist. Er sagte: Abwürfe und Abstöße sind alle ange­kommen – das war ein per­fektes Spiel.“

Kann man das Elf­me­ter­töten trai­nieren?

Nun, zunächst hat man seine Kartei im Kopf, wo wel­cher Spieler hin­schießt. Des­wegen konnte ich auch über Leh­manns Zettel vor dem Elf­me­ter­schießen gegen Argen­ti­nien nur den Kopf schüt­teln – wie das auf­ge­bauscht wurde! Dann musst du noch die äußeren Bedin­gungen mit ein­be­rechnen: Im Natio­nal­mann­schafts­trai­ning hat mir Becken­bauer einmal die Bälle mit dem Außen­rist in den Winkel gehauen. Das konnte er aber nur, weil es tro­cken und der Ball leicht war. Als ich mit Dort­mund in Mün­chen gespielt habe, war dort richtig eng­li­sches Wetter. Der Ball war mit Wasser voll­ge­sogen und ganz schwer, da funk­tio­nierte das nicht. Ich wusste also, dass Becken­bauer den Ball mit der breiten Seite schießen musste. Darauf konnte ich mich ein­stellen und so seinen Elf­meter halten.

Wen halten Sie für den besten Tor­hüter aller Zeiten?

Das vermag ich nicht zu beur­teilen. Die Frage finde ich auch über­flüssig: Sehr gute Tor­hüter hat es viele gegeben, von denen ich schon viele nicht mehr spielen sehen konnte. Ich denke, dass jeder dieser sehr guten Tor­hüter auf die ein oder andere Weise eine bestimmte Art hatte zu spielen. Ab einem bestimmten Niveau gibt es kein besser oder schlechter mehr, son­dern nur noch ein anders.

Gibt es den unhalt­baren Ball, den man dann doch hält, wirk­lich?

Der Tor­hüter wird in den Sta­tis­tiken gern nach den gefan­genen Gegen­toren bewertet. Die Unhalt­baren zählt aber nie­mand. Doch es gibt sie. Es sind die Bälle, bei denen du dich hin­terher selbst fragst, wie du den noch raus­ge­holt hast, und dir die Ant­wort schuldig bleiben musst.

Fliegen Sie nachts in Ihren Träumen noch durch den Straf­raum?

Nein. Ich habe auch früher nicht vom Fuß­ball geträumt – ich habe immer schon einen sehr guten Schlaf gehabt.

Ich ent­schul­dige mich schon im Vor­feld für die letzte Frage, aber ich kann das Gespräch nicht beenden, ohne sie gestellt zu haben …

(lachend) Er war nicht drin.