Frank Kramer, wären Sie nicht Fuß­ball­trainer, würden Sie heute an einem Gym­na­sium Sport und Eng­lisch unter­richten – eine ange­nehme Vor­stel­lung oder ein grau­en­voller Gedanke?
(lacht) Das wäre keine Kata­strophe. Ich könnte mich zwar damit anfreunden, gebe aller­dings zu, dass ich momentan ungern tau­schen würde. Mein Beruf erfüllt mich. Ich genieße es, mich rund um die Uhr mit Fuß­ball zu beschäf­tigen. Dieser Sport ist meine Lei­den­schaft.
 
Von wel­chen Stu­di­en­in­halten von damals pro­fi­tieren Sie heute im Fuß­ball­ge­schäft?
Vieles fließt wahr­schein­lich unbe­wusst in die eigene Arbeit ein, ich denke da zum Bei­spiel an Didaktik und Päd­agogik. Als Lehrer denkt man bei­nahe täg­lich dar­über nach, wie man die Inhalte so rüber­bringt, dass bei den Schü­lern mög­lichst viel hängen bleibt. Sie sollen sich ent­wi­ckeln, das Erlernte anwenden können und moti­viert und selbst­kri­tisch neue Auf­gaben angehen. Das gleiche gilt auch für Pro­fi­fuß­baller. Außerdem bin ich froh, dass ich mich intensiv mit der Trai­nings­wis­sen­schaft und Sport­bio­logie beschäf­tigt habe. Denn beides kann in einem Trai­ner­lehr­gang nicht so aus­führ­lich behan­delt werden wie in einem mehr­jäh­rigem Stu­dium.
 
Sie haben die Aus­bil­dung zum Lizenz-Fuß­ball­trainer als Lehr­gangs­bester abge­schlossen. Ihr Kol­lege Thomas Meggle hat vor kurzem gesagt, das hätten alle Teil­nehmer bereits nach der ersten Lehr­gangs­woche geahnt…
…Echt? Der Hund!
 
Da drängt sich natür­lich die Frage auf: Sind Sie ein Streber, Herr Kramer?
(lächelt) Da der Begriff negativ besetzt ist: nein. Wer will schon gern ein Streber sein? Ich erkläre mir Thomas‘ Aus­sage so, dass der eine oder andere Kol­lege viel­leicht dachte Ach, der Frank hat ein abge­schlos­senen Stu­dium und hat als Trainer Erfah­rungen in der U‑19 und U‑23 in den Nach­wuchs­leis­tungs­zen­tren in Fürth und Hof­fen­heim gesam­melt.“ Man sollte jedoch nicht ver­gessen, dass die meisten meiner Kol­legen im Gegen­satz zu mir in der Bun­des­liga gespielt und dabei einen rie­sigen Erfah­rungs­schatz gesam­melt haben.
 
Aber Sie würden nicht bestreiten, dass Sie den Lehr­gang sehr fokus­siert und akri­bisch ange­gangen sind, oder?
Nein. Ich bin ein extrem neu­gie­riger Mensch, der sein Han­deln regel­mäßig reflek­tiert. Mir ging es darum, so viel wie mög­lich auf­zu­saugen. Man bekommt dort unheim­lich viele Impulse und Rück­mel­dungen. Diese sollte man auch nutzen. Dass ich nun der­je­nige bin, der den Lehr­gang als Bester abge­schlossen hat, nun ja, das ist eine schöne Aner­ken­nung, auf die ich auch ein wenig stolz bin, aber: eine gute End­note ist den­noch keine Erfolgs­ga­rantie im Pro­fi­ge­schäft.
 
Gleich zu Beginn der Trai­ner­aus­bil­dung stand ein Rhe­to­rik­kurs auf dem Pro­gramm. Wie muss man sich das vor­stellen, stand Ihnen plötz­lich ein Reporter namens Otto Addo gegen­über und stellte Ihnen kri­ti­sche Fragen zu einem Fan­tasie-Fuß­ball­spiel?
Ja, zum Bei­spiel. Es geht darum, die Wir­kung seiner Aus­sagen zu erkennen, Fett­näpf­chen zu ver­meiden und die Sinne zu schärfen. Dazu gehören frei­lich auch Rol­len­spiele – ob Pres­se­kon­fe­renzen oder Inter­views nach Spie­lende.
 
Stehen die typi­schen Fuß­ball­flos­keln dabei eigent­lich hoch im Kurs oder gilt es eher, diese zu ver­meiden?
Das hängt von der jewei­ligen Situa­tion ab. Ziel ist es, authen­tisch zu bleiben. Wer will schon eine Mario­nette oder eine bil­lige Kopie sein? Es geht um Fragen wie Wie viel will ich von meinen Innen­leben preis­geben?“ Oder: Wie kann ich meine Gedanken so ordnen und for­mu­lieren, dass sie keinen Zünd­stoff bieten?“ Die Aus­bilder haben sowohl unsere Stärken und Schwä­chen benannt als auch neue Ansätze auf­ge­zeigt. Klar ist aber auch: Am Ende ent­scheidet jeder Teil­nehmer selbst, wie viel er davon annimmt.
 
Sie gehören nach eigenen Angaben zu jenen Trai­nern, die Medi­en­be­richte nicht bei­seite schieben, son­dern diese intensiv ver­folgen – ziehen Sie daraus etwa Rück­schlüsse auf Ihre Arbeit?
Selbst­ver­ständ­lich. Es ist ein Spiegel, den man von außen vor­ge­halten bekommt. Wenn man sich als Trainer ent­wi­ckeln will, schadet es nicht, das eigene Auf­treten zu über­denken. Klar, man könnte all das igno­rieren und sagen Alles Blöd­sinn, ich weiß, wo es lang­geht“. Ich halte es aber für besser, sich damit zu beschäf­tigen. Lese ich Artikel über mich und meine Arbeit, kann ich daraus Erkennt­nisse ziehen und viel­leicht auch mal sagen Ach ja, hier hat der Jour­na­list viel­leicht gar nicht so unrecht.“ Zudem erkennt man Ten­denzen in der Bericht­erstat­tung und bekommt ein Gefühl dafür, woher der Wind medial kommt.
 
Fällt Ihnen ein Bei­spiel ein? Wann hat Ihre Selbst­wahr­neh­mung nicht über­ein­ge­stimmt mit der Bericht­erstat­tung?
(Pause) Wir haben die ersten vier Liga­par­tien gewonnen, sind aber sehr selbst­kri­tisch auf­ge­treten. Wir haben oft betont, wir würden uns von diesem guten Start nicht blenden lassen und müssten weiter hart arbeiten. Diese Sätze sind offen­sicht­lich nicht gut rüber­ge­kommen, es ent­stand der Ein­druck, wir würden ständig rum­nör­geln, wären nie zufrieden und sta­pelten tief. Derlei wurde offenbar als nervig emp­funden. Wir dagegen hatten die Wir­kung unserer Aus­sagen zu jener Zeit ganz anders wahr­ge­nommen.
 
Sie haben in Hof­fen­heim unter Marco Kurz und Markus Babbel Prak­tika absol­viert – was haben Sie dabei gelernt?
Eines vorab: Marco Kurz und Markus Babbel haben in ihrer Spie­ler­kar­riere richtig was gerissen, sowohl national als auch inter­na­tional. Auf deren Stufe will ich mich nicht stellen. Ich habe, wie gesagt, nie in der Bun­des­liga gespielt.
 
Es geht ja auch um Ihre Rolle als Trainer.
Beide arbeiten schon lange im Profi-Geschäft, ich dagegen bin ein Rookie, ein echtes Green­horn. Und das hat jetzt nichts mit Under­state­ment zu tun. Ich freue mich ein­fach, oben dabei sein zu dürfen.
 
Trotzdem: Was haben Sie von Markus Babbel gelernt?
Wenn man sich die Mühe macht, genau hin­zu­schauen, dann kann man sich von jedem Trainer etwas abschauen. Wie Markus mit seinen Spie­lern umge­gangen ist, hat mich stark beein­druckt – diese ruhige, sach­liche und kom­pe­tente Art. Eines ist mir damals wieder deut­lich geworden: Hast du ein gutes Ver­hältnis zu deinen Spie­lern, sind diese auch emp­fäng­li­cher für Kritik. Ein Trainer, der nur sein Ding durch­zieht und nicht auf seine Jungs ein­geht, kommt nicht weit.
Hatten Sie in der ver­gan­genen Saison eigent­lich Mit­leid mit Marco Kurz, der in Hof­fen­heim nach nur wenigen Monaten wieder ent­lassen worden war?
Mit­leid ist das fal­sche Wort. Ich fand es ein­fach schade. Marco ist ein beses­sener Typ und guter Trainer. Man konnte mal wieder sehen, wie schnell sich eine Nega­tiv­spi­rale in Gang setzt. Zu Beginn einer Negativ-Phase, kann ein Trainer noch gegen­steuern, irgend­wann hat er das Ruder aber nicht mehr in den eigenen Händen. Der Druck wird zu groß, die bekannten Mecha­nismen greifen. Aber was sagt das über die Arbeit des Trai­ners aus? Ich finde: nicht viel. Ich hatte bis zum Schluss gehofft, dass Hof­fen­heim mit Marco das Ruder noch her­um­reißt. Man denkt in sol­chen Momenten natür­lich auch daran, dass es einem selbst mal ähn­lich gehen könnte.
 
Ende 2012 haben Sie in Hof­fen­heim für wenige Wochen als Inte­rims­trainer gear­beitet – was hat Ihnen diese kurze, aber zugleich inten­sive Zeit gebracht?
Unheim­lich viele Erfah­rungen. Ich habe zum ersten Mal erlebt, was es heißt in der Bun­des­liga in vor­derster Reihe zu stehen. Die Wucht der Medien ist schon enorm. Zudem war inter­es­sant zu sehen, wie unter­schied­lich Pro­fi­fuß­baller in einer ver­fah­renen Situa­tion reagieren, wie auch ein Mann­schafts­ge­füge plötz­lich ins Wanken gerät.
 
Stimmt es eigent­lich, dass Sie sich in Ihrer Frei­zeit nie ent­spannt ein Fuß­ball­spiel anschauen können, weil Sie sich wäh­rend­dessen ständig Notizen machen?
Ja, das stimmt leider. Man kann aus anderen Spielen unheim­lich viel für die eigene Arbeit her­aus­ziehen. Wie löst sich Mann­schaft X in Situa­tion Y auf? Wie reagiert der Trainer, wenn sich die Situa­tion im Spiel in diese oder jene Rich­tung dreht? Was macht er, wenn die eigene Mann­schaft plötz­lich 0:2 hinten liegt, ihm aber die per­so­nellen Alter­na­tiven fehlen? Da ich mir nicht alles merken kann, notiere ich meine Gedanken. Das mache ich aber auch, wenn ich ein inter­es­santes Buch lese. Die Ein­drücke ver­an­kern sich dann besser im Gehirn. Kurz: Ich fände es fahr­lässig, würde ich ein­fach nur dasitzen und mir mal eben so nebenbei ein Spiel anschauen.
 
Wel­cher Trainer hat Sie zuletzt mit seiner Taktik begeis­tert?
Das Para­de­bei­spiel der ver­gan­genen Saison: Chris­tian Streich, SC Frei­burg. Auf welch hohem Niveau seine Mann­schaft tak­tisch agiert hat – wow! Aber auch die Par­tien des FSV Mainz 05 sind aus tak­ti­scher Sicht immer wieder höchst inter­es­sant. Dass auch Dort­mund auf aller­höchstem Niveau fan­tas­ti­sches ablie­fert ist augen­schein­lich. Wie dort ein Räd­chen ins andere greift und mit wel­cher Dynamik die Jungs auf­treten, das ist schon beein­dru­ckend.
 
Wie würden Sie Ihre Taktik in wenigen Sätzen beschreiben?
Ich würde nie von meiner Taktik“ spre­chen, son­dern immer nur von unserer Taktik“. Ein Trainer sollte sich zunächst anschauen, welche Stärken seine Mann­schaft hat, um dann abschlie­ßend zu ent­scheiden, welche Taktik zu ihr passt. Alles andere geht meis­tens schief.
 
Sie for­dern von Ihren Spie­lern, dass sie domi­nant auf­treten.
Wir ver­tei­digen in der Tat sehr aggressiv. Wir wollen die Gegner früh atta­ckieren. Das setzt natür­lich Ord­nung voraus. Geschwin­dig­keit spielt für unser Spiel eine wich­tige Rolle. Zudem ist Fle­xi­bi­lität für uns keine Wort­hülse, unsere Spieler sollen mit­denken, nach dem Motto Okay, wenn die Option A nicht greift, wech­seln wir zur Option B oder C“. Die Jungs müssen stets meh­rere Vari­anten abrufbar haben.
 
Herr Kramer, Sie sagten mal, Sie fänden es gut als Tau­send­füßler durchs Leben zu gehen – wie haben Sie das gemeint?
Man muss im Leben stets mit Rück­schlägen rechnen. Erfolg ist nicht der Nor­mal­fall. Ich halte es daher für wichtig, dass man sich meh­rere Stand­beine auf­baut. Das Fuß­ball­ge­schäft ist bekannt­lich schnell­lebig. Ich könnte mir auch vor­stellen in einen anderen Job zu wech­seln, der mir eben­falls Freude bereiten würde. Ich weiß, wie es in der freien Wirt­schaft läuft, habe ein Jahr bei einem großen Sport­ar­ti­kel­her­steller gear­beitet. Ein wei­teres Tür­chen habe ich mir mit meinem Stu­dium und meiner Tätig­keit als Lehrer im Beam­ten­status offen gehalten.