2007 outete sich der Ex-Fußballer Marcus Urban als homosexuell. Kurze Zeit später erschien seine Biografie „Versteckspieler“. Wir sprachen mit ihm über Homophobie und die Belastbarkeit von Freundschaften.
Marcus Urban, waren Sie mit den Lebensgeschichten von anderen homosexuellen Fußballprofis vertraut, bevor Sie „Versteckspieler“ schrieben?
Ich habe mir die gesamte Geschichte von Justin Fashanu durchgelesen. Und ich weiß noch, wie erstaunt ich darüber war, dass es schon in den 80er Jahren einen Spieler gab, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte.
Der Name Heinz Bonn sagte Ihnen nichts?
Ich wusste, dass es mal einen HSV-Spieler gab, der von einem Stricherjungen ermordet worden sein soll, doch seinen Namen kannte ich nicht. Erst später, kurz nach der WM 2006, also in der Zeit, als die Berichterstattung über Homosexualität im Fußball zunahm, las ich häufiger die Geschichte von Heinz Bonn.
Erkannten Sie sich in dieser Geschichte wieder?
Diese Wandlung vom Spielgestalter zum Defensivtaktiker, die Heinz Bonn gemacht hat, gab es auch bei mir. Auch ich hatte den Drang, nach vorne zu gehen, meine Technik und Schnelligkeit auszuspielen, durch taktisches Defensivspiel bekam ich aber die Anerkennung von meinem Trainer, das war dann für mich wichtiger als frei aufzuspielen. Ich habe auch gute Kritiken in der Presse bekommen und mein Trainer sagte mir, dass ich Potenzial für die Bundesliga habe.
Sind die Namen Heinz Bonn und Justin Fashanu heute Mahnmale?
Sie sind Denkmale, im Sinne von: denk mal nach. Die Geschichten dieser Spieler sagen unglaublich viel über die gesellschaftlichen Verhältnisse aus, über das soziale Verhalten, das Miteinander in Gruppen oder ganz generell über Freundschaften. Darüber nachzudenken, das macht durchaus Sinn.
Gibt es im Profifußball überhaupt echte Freundschaften?
Dieser Mythos der „Elf Freunde“ hat etwas Zynisches. Freundschaften habe ich im Fußball jedenfalls nicht kennengelernt, alle Kontakte, die ich hatte, waren oberflächlicher Natur. Ich habe mit meinen Mitspielern nie über Gefühle gesprochen, das war mir einfach zu heikel.
Einmal haben Sie den Versuch gewagt.
Ich stand mit einem Mitspieler in der Straßenbahn. Und da sagte ich zu ihm: „Ich bin schwul.“ Das hatte etwas von Aufgabe, es war die Sehnsucht, endlich mal loslassen zu können. Er reagierte nicht. Kein Wort. Letztlich auch erschütternd, wie wenig die Spieler übereinander wissen, und wie wenig überhaupt der Wunsch besteht, mehr von seinem Mitspieler erfahren zu wollen.
Wussten Sie von der Homosexualität bei anderen Spielern?
Natürlich habe ich mir darüber Gedanken gemacht, doch ich hätte es nie gewagt, jemanden ernsthaft darauf anzusprechen. Es war alles geprägt von Skepsis und Angst. Und dieser Frage: Was ist, wenn du dich einem anvertraust, doch die Vermutung falsch war?
In Italien gibt es angeblich eine Art Netzwerk, über das sich homosexuelle Profis austauschen können.
In Italien hat ein vermummter Spieler auf dem Fernsehsender „Canal 7“ im Jahr 2008 von einem solchen Netzwerk berichtet, das stimmt. Sonntags nach dem Spiel, also in den Stunden, wo die Spieler etwas Zeit haben und nicht so sehr in ihr Doppelleben mit Kind und Frau eingebunden sind, treffen sich die Spieler in Hotels. Escortservices organisieren im Hintergrund Kontakte für entsprechende Liebesdienste. Da fließt auch ganz schön Geld. Vielleicht ist es in Deutschland ähnlich. Ich weiß davon allerdings nichts.
In Deutschland soll es zumindest Agenturen geben, die sich darauf spezialisiert haben, dem homosexuellen Spieler Frauen anzubieten, um den Schein der Hetero-Ehe zu wahren. Dem Spieler wird also dabei geholfen, sich eine doppelte Existenz aufzubauen. Ist das Fortschritt oder einfach nur grotesk?
Das kann man aus verschiedenen Blickwinkeln sehen. In den 60er Jahren, als Homosexualität noch strafbar war, hätte sich ein Spieler wie Heinz Bonn solch einen Service sicherlich gewünscht. Also schlichtweg die Möglichkeit zu haben, ein Doppelleben führen zu können. In meiner Jugend, also in den 80ern in der DDR, war es ähnlich. Dort war das Thema Homosexualität noch mehr Tabu als in der BRD, es gab keine Bars, keine Orte, keinen Diskurs. Zudem lag damals keine größere Metropole in der Gegend, wo ich aufgewachsen bin. Da war nichts.
Und der andere Blickwinkel?
Menschlich gesehen, muss man natürlich sagen, dass dieser Zustand generell unhaltbar ist. Man kann niemandem zumuten, aufgrund seiner Gefühlswelt, die angeblich falsch oder unpassend sein soll, zwei Leben zu führen. So entstehen starke Aggressionen, Minderwertigkeitskomplexe, Lebensunmut, Energielosigkeit. Ganz einfach, weil man innerlich unfrei lebt und ein starkes Gefühl wie Sexualität ständig unterdrücken muss. Und diese Aggressionen entladen sich nicht selten auf dem Platz. Im Endeffekt haben wir es mit traumatisierten Menschen zu tun – da braucht man sich nichts vormachen.
Würden Sie einem Spieler raten, sich zu outen?
Schmähgesänge blieben nicht aus und das Medieninteresse wäre riesig, das heißt also, diejenigen Spieler, die sich outen würden, wären omnipräsent. Auf der anderen Seite gebe es aus anderen Teilen der Gesellschaft Anerkennung. Vielleicht sollte sich eine Gruppe outen. Einige homosexuelle Spieler und Trainer haben sich ja mittlerweile auch vernetzt. Zudem hat der DFB viel in dieser Hinsicht getan. Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern, bis wir die ersten schwulen Bundesligaspieler haben. Das wird die Gesellschaft verändern, ganz einfach weil sich eingefahrene Vorstellungen über die Geschlechterrollen – sowohl des Mannes als auch der Frau – sich danach verändern werden.
Marcus Urban, geboren 1971, spielte in den 80er Jahren in DDR-Jugendnationalmannschaften, später bei Rot-Weiß Erfurt. Nach seiner Fußball-Karriere studierte er Soziologie und Architektur in Weimar. Bekannt wurde Urban durch seine Biografie „Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban“, die er zusammen mit dem Journalisten Ronny Blaschke schrieb und die 2008 im Werkstatt-Verlag erschien. Momentan laufen Vorbereitungen für einen Film, der in den nächsten zwei Jahren produziert werden soll. Marcus Urban arbeitet heute als Designer in Hamburg (Infos: www.marcus-urban-souldesign.com).