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Kor­rektur: Wenige Tage vor dem Spiel berich­teten das Inter­net­portal Gaze​te​Futbol​.com und sport​schau​.de, dass die Gruppe UltrAslan“ das Spiel auf­grund der Ticket­ver­tei­lung boy­kot­tieren werde. Sie wirft Ver­eins­prä­si­dent Ünal Aysal vor, zu viele Tickets für sich selbst bean­sprucht zu haben. Das fol­gende Inter­view wurde im Rahmen der Repor­tage Will­kommen in der Hölle“ (11FREUNDE #136, März-Aus­gabe) geführt.

Ilker Sezgin, haben Sie Ahnung vom Was­ser­ball?

Ilker Sezgin: (lacht) Über­haupt nicht. Ich habe mir vor dem Spiel ein paar Dinge bei Wiki­pedia durch­ge­lesen, das war’s. Aber darum geht es ja auch nicht. Ich bin hier wegen der Stim­mung, den Farben, meinen Freunden – wegen Gala­ta­saray.

Sie fahren überall hin, wo Gala­ta­saray spielt?
Sezgin: Ich ver­suche es. Kürz­lich waren wir beim Bas­ket­ball in Prag. Das war auch super.

Wie sieht es bei Ihnen aus, Levent Alkan?
Levent Alkan: Ähn­lich. Mein schönstes Erlebnis mit Gala­ta­saray ist kein Fuß­ball­spiel, son­dern eine Reise zum Roll­stuhl-Bas­ket­ball nach Wetzlar. Dort sind wir vor einigen Jahren mit 150 oder 200 Leuten hin­ge­fahren und Cham­pions-League-Sieger geworden. Das war eine sehr inten­sive Erfah­rung.

Sie sind füh­rende Mit­glieder der Fan­gruppe UltrAslan“. Haben Sie einen Über­blick, wie viele Gala­ta­saray-Fans zum Cham­pions-League-Spiel nach Gel­sen­kir­chen reisen werden?
Alkan: Wir werden das Kar­ten­kon­tin­gent aus­schöpfen. Wie immer.

Die meisten Gala­ta­saray-Fans reisen aber nicht aus Istanbul an.
Alkan: Richtig. Wir haben uns auf­ge­teilt, die größte Gruppe befindet sich in Istanbul. Dazu gibt es aber überall auf der Welt UltrAslan“-Gruppen: In 60 Län­dern, auf fünf Kon­ti­nenten. Wir sind orga­ni­siert in Sport­schulen, in Gym­na­sien, in Sekun­dar­stufen, in Uni­ver­si­täten.
Sezgin: Wenn Gala­ta­saray wie jetzt im Ruhr­ge­biet spielt, kommen ver­mehrt Fans aus den Benelux-Län­dern und natür­lich aus West­deutsch­land.
Alkan: Für viele Türken bedeuten Reisen nach Deutsch­land oder Eng­land einen zu großen finan­zi­ellen und orga­ni­sa­to­ri­schen Auf­wand. Sie brau­chen ein Visum und ihr Durch­schnitts­ein­kommen ist nicht mit einem west­eu­ro­päi­schen Stan­dard ver­gleichbar. Dank dem UltrAslan“-Netzwerk ist es aber auch mög­lich, dass die Mann­schaft, egal wo sie spielt, jedes Mal von meh­reren tau­send Fans am Flug­hafen emp­fangen wird.

Wie funk­tio­niert der Ticket­ver­kauf?
Sezgin: Man kann sich natür­lich Karten auf dem kon­ven­tio­nellen Weg über den Verein beschaffen, das ist aber bei sol­chen Spielen nahezu unmög­lich. Besser läuft es über UltrAslan“.

Sie bestimmen dann, wer die Tickets bekommt?
Sezgin: Wir haben eine Daten­bank ange­legt, in der jeder Fan mit­samt allen Spielen, die er sich ange­guckt hat, ver­merkt ist. Wenn es also ein begrenztes Kar­ten­kon­tin­gent gibt wie jetzt beim Spiel auf Schalke, wird der­je­nige bevor­zugt behan­delt, der kürz­lich harte Aus­wärts­touren auf sich genommen hat. Der zum Bei­spiel zu Bas­ket­ball­spielen nach Prag oder zur Cham­pions-League-Partie nach Cluj gefahren ist.

Wenn deut­sche Fans an tür­ki­sche Fuß­ball­sta­dien denken, haben sie Bilder von bren­nenden Blö­cken und maro­die­renden Fans im Kopf. Wie ist es tat­säch­lich?
Alkan: Es hat sich ver­än­dert. Pyro­technik wird bei uns im Sta­dion nicht mehr orga­ni­siert gezündet. Das hat den ein­fa­chen Grund, dass der Klub des­wegen in der Ver­gan­gen­heit zu hohe Geld­strafen bekommen hat. Daraus resul­tieren Platz­sperren oder diese soge­nannten Ladies Nights“, bei denen nur Kinder und Frauen zuge­lassen sind. Im schlimmsten Fall gehen uns dadurch zahl­reiche Punkte flöten. Kurzum: Wir ver­su­chen dem Verein nicht zu schaden.
Sezgin: Außerdem gibt es mitt­ler­weile hoch­wer­tige Kame­ra­sys­teme – gerade in Gala­ta­sa­rays neuer Türk-Telekom-Arena. Wenn ein Fan also Pyros zündet, dann kann er sofort aus­findig gemacht werden. Aller­dings wird nicht nur er belangt, son­dern auch die füh­renden Köpfe der Gruppe müssen mit einer Strafe rechnen. Diese Köpfe, die die Auto­rität im Block genießen, können also pro­blemlos dafür sorgen, dass nicht mehr gezündet wird.

Wie sieht es mit Gewalt aus?
Sezgin: Unser Gründer Alpaslan Dikmen hat immer gesagt: Wenn wir ange­griffen werden, wehren wir uns.“ Tat­säch­lich hat es seit 2007 keine grö­ßeren Vor­komm­nisse beim Fuß­ball gegeben.

Was ist damals pas­siert?
Sezgin: Wir hatten eine unfassbar schlechte Saison gespielt und traten am letzten Spieltag gegen den sicheren Meister Fener­bahce an. Schon vor dem Spiel tönten einige Gala­ta­saray-Fans: Wenn wir dieses auch noch Spiel ver­lieren, nehmen wir das Sta­dion aus­ein­ander.“ So kam es auch.

Obwohl keine Gäs­te­fans anwe­send waren.
Sezgin: Richtig, seit einigen Jahren sind bei Derbys keine Aus­wärts­fans mehr zuge­lassen. Ein Dilemma. Bei jenem Spiel ran­da­lierten die Fans gegen Spieler, schmissen Dinge aufs Feld, rissen Sitze aus den Ver­an­ke­rungen, prü­gelten sich mit Poli­zisten. Ein Beamter hielt sogar eine Waffe an den Kopf eines Fans.

In Deutsch­land wäre so ein Spiel zu Recht abge­bro­chen worden. Diese Partie wurde aber zu Ende gespielt.

Ein dritter Fan tritt an den Tisch und sagt: Irgend­wann lässt man es raus. Man ist ja auch nur ein Mensch.“

Man könnte also nach­denken.
Sezgin: Der Verein hat aber nach dem Spiel reagiert. Er hat gemerkt, dass wir nicht alles hin­nehmen und dass es mit bestimmten Spie­lern nicht wei­ter­geht. Die Polizei wusste aller­dings, wer wie ange­fangen hatte. Die sind direkt am nächsten Tag zu denen Anstif­tern nach Hause gegangen und haben sie fest­ge­nommen. Ein paar von den Jungs sitzen heute noch.

UltrAslan“ hat vor einigen Jahren seinen Schriftzug dem Klub zur Ver­fü­gung gestellt. Wieso?
Sezgin: Gala­ta­saray ging es zu der Zeit finan­ziell sehr schlecht, und so ent­schieden die Istan­buler Köpfe von UltrAslan“, die Lizenz für unser Mer­chan­dise für einige Jahre abzu­geben. Der Verein hat dadurch sehr viel Geld ein­ge­nommen. Jetzt gehört das Logo wieder uns.

Gala­ta­saray soll damit über drei MIli­onen Euro ein­ge­nommen haben. Wird so etwas in der Fan­szene nicht kri­tisch gesehen?
Sezgin: Zum Teil, ja. Aber es herrscht auch die ein­fache Losung vor: Wenn es Gala­ta­saray nicht geben würde, gäbe es UltrAslan“ nicht.

Eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit dem modernen Fuß­ball gibt es dem­nach in der Türkei nicht?
Alkan: Die Frage ist doch: Wie willst du in Europa mit­halten ohne modernen Fuß­ball? Wir müssen leider mit dem Strom schwimmen, wenn wir eines Tages die Cham­pions League gewinnen wollen. Und Spieler wie Didier Drogba oder Wesley Sneijder sind dafür eben wichtig.

Ilker Szegin und Levent Alkan, Sie sind beide in Deutsch­land auf­ge­wachsen, sind den­noch Fans von Gala­ta­saray. Haben Sie sich nie für deut­schen Fuß­ball inter­es­siert?
Sezgin: Nicht wirk­lich. Ich kannte früher Schalke und Dort­mund, denn ich bin im Ruhr­ge­biet auf­ge­wachsen. Für mich gab es aber eigent­lich immer nur Gala­ta­saray. Auch wenn es abge­dro­schen klingt: Das Fan­sein liegt den Türken in den Genen. Mein Vater war Gala­ta­saray-Fan, also bin ich es auch.
Alkan: Ich muss der Erb-Theorie wider­spre­chen – mein Vater ist Bes­iktas-Fan. Den­noch: Gala­ta­saray fand ich seit meiner Kind­heit toll. Viel­leicht weil es der erste tür­ki­sche Klub war, der in Europa für Furore sorgen konnte.

Sie meinen den Uefa-Cup-Gewinn 2000.
Alkan: Unser Gründer Ali Sami Yen hat gesagt: Unser Ziel ist es, nicht tür­ki­sche Mann­schaften zu besiegen, son­dern euro­päi­sche Teams.“ Den ersten Schritt haben wir 2000 mit dem Gewinn des Uefa-Cups gemacht. Das war der erste inter­na­tio­nale Titel einer tür­ki­schen Mann­schaft. Jetzt kommt die Cham­pions League!

Wie wichtig war das Spiel gegen Man­chester United 1993, als Gala­ta­saray das Star-Ensemble um Eric Can­tona und Peter Schmei­chel aus dem Wett­be­werb schmeißen konnte?
Sezgin: Wel­come to hell!“, 1993! Es war das erste Spiel, was ich richtig bewusst erlebt habe. Damals war ich acht Jahre alt und ver­folgte mit meinem Vater die Cham­pions-League-Aus­lo­sung. Als dann die Partie Man­chester United gegen Gala­ta­saray gezogen wurde, stöhnte mein Vater auf. Ich kannte damals aber nicht viel außer Gala­ta­saray, Borussia Dort­mund und Bayern Mün­chen. Also sagte ich: Baba, wer ist schon Man­chester? Wir sind Gala­ta­saray!“


Ilker Sezgin, 28, ist Poli­tik­wis­sen­schaftler und ist in der Öffent­lich­keits­ar­beit für einen Ber­liner Verein tätig.
Levent Alkan, 34, arbeitet als selb­stän­diger Obst- und Gemü­se­händler in Berlin.