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Es gibt zwei Songs, die man mit dem FC St. Pauli ver­bindet: Hells Bells“ von AC/DC, wenn die Mann­schaften aufs Feld kommen, und Song 2“ von Blur, wenn der FC St. Pauli ein Tor geschossen hat. Mal ehr­lich: Wel­chen der beiden können Sie nicht mehr hören?
Hells Bells“ mag ich etwas lieber, denn wenn das Lied läuft, dann ent­lädt sich bei mir eine Menge Span­nung und Erwar­tung. Man weiß, jetzt geht’s los. Als Sta­di­on­spre­cher hat man ja die ganze Woche mit der Vor­be­rei­tung zu tun, muss den Ablauf mit dem Verein abspre­chen und auf­schreiben, daher ist es schön, wenn man weiß: Nun kann ich mich auf das Spiel kon­zen­trieren, denn nur darum geht es ja. Nie­mand kommt ins Sta­dion, um uns oder die Wer­bung zu hören. Wenn ein Tor fällt und wir den Blur-Song spielen, dann muss ich schon wieder völlig kon­zen­triert auf die Ansage sein: Wer hat getroffen? War es viel­leicht das erste Tor des Spie­lers? Außerdem muss ich auch schnell die TV-Zeit­lupe kon­trol­lieren, um mich zu ver­ge­wis­sern, ob mal wieder Ginzcek getroffen hat oder doch jemand anderes. 
 
Und wenn Sie Song 2“ zufällig im Radio oder auf einer Feier hören?
Bekomme ich immer Gän­se­haut. Ganz ehr­lich. Aber keine Sorge, Zuhause muss ich mir die CD nicht auch noch anhören.
 
Ist die CD in der Spre­cher­ka­bine schon mal gesprungen? Oder gab es andere Pannen?
Oh ja, früher häu­figer! In den acht­ziger Jahren, als es unsere Kabine und diese Jin­gles noch nicht gab, da hatte ich sogar nur einen ein­fa­chen Kas­set­ten­re­korder. Und wenn ein Tor fiel und ich zu laut ins Mikrofon sprach, dann fiel das Gerät gerne mal für eine Minute kom­plett aus. Ich konnte nicht mal mehr den Tor­schützen ansagen! Die Leute vor mir drehten sich um und fragten sich: Warum redet er nicht weiter?“ Das gleiche pas­sierte, wenn Zuschauer ihr Bier auf meinem Rekorder abstellten, dann fiel der auch gerne aus. Ganz wun­der­bare, aber gewöh­nungs­be­dürf­tige Pannen! Als ich 1986 anfing, hatte ich ja nicht mal eine Spre­cher­ka­bine. Hinter mir war der Kuchen­block“ von Anne­gret Paulick, der Frau des dama­ligen Prä­si­denten Otto Paulick, und von dort flogen mir immer die Streusel oder auch mal Bier in den Nacken.
 
Und Sie wurden nicht unruhig?
Ach was, das war ja damals alles noch etwas über­sicht­li­cher. Früher kam ich zwei Stunden vor Spiel­be­ginn auf die Geschäfts­stelle und fragte: Steht was an?“ Und dann hatte man irgendwo zwei kleine Zettel, wo ein paar Infos drauf­standen: ein Geburts­tags­gruß, zwei Wer­be­durch­sagen, das war’s.
 
Ein Sta­dion-Ansage-Klas­siker von früher, der immer für gute Stim­mung sorgte: Die Nach­richt an den Mann im Sta­dion, der soeben Vater geworden ist…
Klar, das haben wir auch oft gehabt, dass ein Anruf aus dem Kran­ken­haus kam. Oft musste wahr­schein­lich die Frau etwas früher in den Kreiß­saal, wäh­rend ihr Mann sich hier am Mill­erntor ver­gnügt hat. Früher saßen wir ja so, dass wir für die Fans viel erreich­barer waren. In unsere jet­zige Spre­cher­ka­bine unterm Dach kommt kein Zuschauer mehr hin.
 
Finden Sie das gut oder schlecht?
Eher gut. Früher kamen die Leute zum Teil mit jedem Scheiß an. Sehr oft hatten wir spon­tanen Besuch von betrun­kenen Zuschauern, die dann lallten: Kannst du nicht mal meinen Freund aus­rufen … und schöne Grüße! …“ Die wurde man nur ganz schwer wieder los. Das klappte am Anfang nicht immer. Später haben wir aber unsere Ordner gebrieft. Es gab ja keine rich­tigen Fan­blöcke. Wir hatten auch oft ver­lo­re­nen­ge­gan­gene Kinder in der Kabine, die heulten oder rum­lärmten. Oft gefiel es ihnen aber so gut bei uns, dass sie nicht wieder raus wollten, wenn die Eltern sie abholten!

Sind Sie schon mal an der eigen­wil­ligen Aus­sprache eines geg­ne­ri­schen Spie­ler­na­mens ver­zwei­felt?
Ja, natür­lich. Wenn ich früher bei einem Verein anrief, um zu fragen, wie man ein paar kom­pli­zier­tere Namen kor­rekt aus­spricht, dann wussten die das oft auch nicht. Meis­tens waren die völlig über­rascht und sagten: Diese Frage hat noch nie jemand gestellt.“ Vor der Spiel­zeit 2010/11 habe ich mal alle Ver­eine um Aus­spra­che­listen gebeten. Das klappte auch, und ich habe die Listen an alle Sta­di­on­spre­cher­kol­legen geschickt. Vor einem halben Jahr hat mich des­halb die DFL kon­tak­tiert, denn die wollen die kor­rekte Aus­sprache der Namen dem­nächst zen­tral sam­meln und ver­teilen. Oft habe ich auch ein­fach bei Wiki­pedia nach­ge­schaut, wie sz, ctsch oder kxy in der jewei­ligen Sprache klingen muss.
 
Nie­mals in der Spre­cher­ka­bine gestot­tert? Rolf-Christel Guié-Mien? Vla­dimir Beschast­nykh?
Hat meis­tens geklappt, aber sicher nicht immer. Als alter Radio­mann ärgere ich mich nur dar­über, wenn TV-Kom­men­ta­toren eines Sen­ders keine ein­heit­liche Aus­sprache wahren. Wie war das noch neu­lich? Unser Spieler Lennart Thy wurde zu Lennart Tüü“. Es ist für mich eine Frage des Respekts dem Spieler gegen­über, dass man seinen Namen kor­rekt aus­spricht. Unsere neuen St. Pauli-Spieler fragen wir im Zwei­fels­fall immer direkt.
 
Stich­wort Respekt: Sie bezeichnen die geg­ne­ri­schen Fans stets als unsere Gäste“ und nicht als Gegner“. Dazu spielen sie auch stets das Fan­lied der Gäs­te­mann­schaft.
Ja, klar. Das habe ich ein­ge­führt, auch wenn das anfangs in der Fan­szene kon­tro­vers dis­ku­tiert wurde. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich auf die Idee kam. Oft war es auch so, dass nicht jeder Verein eine Hymne hatte. Heute haben fast alle eine und freuen sich dar­über, wenn wir die spielen. Ich glaube, das baut auch Aggres­sionen bei den Gäs­te­fans ab, wenn die ihr Lied hören. Poli­tiker würden das eine ver­trau­ens­bil­dende Maß­nahme“ nennen. Die DFL hat das sogar mal allen Sta­di­on­spre­chern emp­fohlen! Ursprüng­lich wollte sie das sogar vor­schreiben, doch aus Schalke und Dort­mund kam extremer Wider­stand, mit der Begrün­dung, die Umset­zung sei unvor­stellbar.

Wenn die Fan-Hymne der Gäste erklingt, müssen einige St.Pauli-Fans oft lachen…
Ja, das kommt vor. Oft hat man den Ein­druck, dass ein­fach der Chef vom ört­li­chen Spiel­mannszug auf die Schnelle ein Stim­mungs­lied kom­po­niert hat. Ich selbst bekam sogar mal in den frühen sieb­ziger Jahren von Hol­stein Kiel die Anfrage, ob ich nicht einen Text zu der Melodie von Tony Mar­schalls Schöne Maid, hast du heut’ für mich Zeit?“ schreiben könnte. Ich habe ver­sucht, was zu ent­wi­ckeln, und der Song wurde sogar mal bei irgend­einem Ver­eins­ju­bi­läum gespielt. Eher pein­lich!

Reden wir ein biss­chen über Ihre per­sön­li­chen High­lights am Mill­erntor: Der 2:1‑Sieg gegen Bayern Mün­chen im Weltpokalsiegerbesieger“-Spiel?
Nein, alle Auf­stiegs­spiele in die erste Liga waren viel inten­siver. Ein Auf­stieg ist ja die Vor­freude auf etwas, das kommt. Ein Sieg in einem großen Spiel ist eher eine Moment­auf­nahme. Wobei der Sieg im DFB-Pokal 2005 im Ach­tel­fi­nale gegen Hertha BSC auch des­wegen sehr emo­tional war, weil der Verein finan­ziell ganz am Boden lag. Wir wussten, dass wir durch einen Treffer in der Ver­län­ge­rung nicht nur eine Runde weiter sind, son­dern auch noch mal eine Mil­lion Fern­seh­gelder bekommen. Die Ret­tung!
 
Beim Auf­stiegs­spiel 1995 gegen den FC Hom­burg müssen Sie aber trotzdem nervös geworden sein, als die Zuschauer kurz vor Schluss das Spiel­feld stürmten, oder?
Ich hatte für das Spiel meine Kur am Bodensee unter­bro­chen und kam nun von der Ruhe meines abge­schie­denen Sport-Sana­to­riums an diesen Hexen­kessel Mill­erntor. In der 87. Minute beim Stand von 5:0 pfiff der Schieds­richter Elf­meter für St. Pauli: Die Zuschauer dachten, das Spiel wäre vorbei und rannten auf den Rasen, was früher bei uns üblich war beim letzten Sai­son­spiel. Ich guckte auf die Stoppuhr und war ratlos: Wird das Spiel wegen des Platz­sturms jetzt abge­bro­chen? Mit der Folge, dass es als Nie­der­lage gewertet wird? Oder war es doch schon der Schluss­pfiff? Für die Hom­burger ging es um nichts mehr. Sogar abends bei der Auf­stiegs­feier hatte ich noch meine Zweifel. Ich habe den Schieds­richter vor drei Jahren bei der 100-Jahre-Jubi­lä­ums­feier des Ver­eins getroffen. Da hat er mir erzählt, dass das damals sein letzter Ein­satz vor seinem Ruhe­stand war. Zum Glück! So hatte er nichts mehr zu befürchten, als er den Elf­me­ter­pfiff kurz darauf als leider etwas ver­frühten Schluss­pfiff dekla­rierte.
 
Fällt es Ihnen nicht wahn­sinnig schwierig, die Ruhe zu bewahren, wenn 20.000 bis 30.000 Men­schen um Sie herum kom­plett durch­drehen?
Ich bin nicht der Typ, der als Ani­ma­teur durchs Sta­dion läuft und die Fan­kurven auf­mun­tert oder anfeuert. Ich singe auch nicht! Wenn man das von mir ver­langt hätte, dann wäre ich schon lange nicht mehr hier. Auch bei Aus­wärts­spielen, also wenn ich nur Zuschauer bin, freue ich mich eher auf stille Weise. Schreien und Brüllen ist nicht mein Ding. Das Beste ist, wenn man nach Hause geht und denkt, dass man einen ordent­li­chen Job gemacht hat. Aber keine Sorge, Zuhause vorm Fern­seher spring ich auch mal hoch.
 
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie die Ani­ma­teure in anderen Sta­dien erleben?
In dem Moment finde ich das ganz schreck­lich, aber oft kenne ich die Kol­legen von ver­schie­denen Schu­lungen und weiß, dass die ganz nette Kerle sind. Ich frage mich aber schon, ob die frei­willig so sind oder ob die das machen müssen. Die Kol­legen, die ans Mill­erntor kommen, sind auch oft über­rascht und sagen zu mir: Mensch, du rennst ja gar nicht rum. Du bist ja nur Ansager!“ Das ist aber nun mal mein Stil, der sich über die Jahre – auch mit Feed­back von den Fans – ent­wi­ckelt hat.
 
Herr Wulff, was ist der größte Fehler, den ein Sta­di­on­spre­cher machen kann?
Kein Ohr zu haben für die Fans. Und undi­plo­ma­tisch zu sein. Man muss den Spagat schaffen zwi­schen Prä­si­dium, Geschäfts­stelle, sport­li­cher Lei­tung auf der einen und Fans auf der anderen Seite. Dafür muss man aber gar nicht jeden Tag im Klub­heim sitzen und mit den Anhän­gern dis­ku­tieren, aber man muss ahnen, wie eine Fan­szene tickt und sich ver­än­dert. Man muss sich mit dem, was pas­siert, mit­ent­wi­ckeln.