Tarek Ehlail, wie bist du zum Fuß­ball gekommen?  

Tarek Ehlail: Ich komme aus Hom­burg im Saar­land und bin als kleiner Steppke schon immer zum FC Hom­burg mit­ge­schleift worden. Das ist der Klub, der in den acht­ziger Jahren mit der Tri­kot­wer­bung »London« auf­lief, ein Kon­dom­her­steller. In der Bun­des­liga musste das zunächst mit einem schwarzen Balken abge­klebt werden! Ich habe damals all die großen deut­schen Ver­eine gesehen. 



Und wie lief die Sozia­li­sa­tion in punkto FC St. Pauli ab?
 

Tarek Ehlail: Mit 13, 14 bin ich Punker geworden und als Punker war die Schnitt­menge mit dem FC St. Pauli damals noch wesent­lich größer als heute. Als 15-Jäh­riger bin ich dann mit Moses Arndt, der damals das Hard­core-Fan­zine »Zap« gemacht hat, zum ersten Mal nach Ham­burg gefahren und ins Mill­ern­tor­sta­dion. Die Punks sind weit­ge­hend ver­schwunden aus dem Sta­dion, aber ich bin dabei geblieben und seit 15 Jahren treuer St.Pauli-Fan. 

Sind die Leute, die jetzt ins Sta­dion gehen, Mode-Punks?
 

Tarek Ehlail: Das Erschei­nungs­bild der Zuschauer hat sich ein­fach geän­dert, natür­lich auch mit den stei­genden Ein­tritts- und Gastro-Preisen. Mit dem sich ein­stel­lenden Erfolg war das für die Punks nicht mehr so attraktiv. Die Leute haben im Sta­dion gekifft und gesoffen, für viele war Fuß­ball eigent­lich neben­säch­lich. Die Gegen­ge­rade auf St. Pauli ist einer der Ursprünge des doch ein­deutig anti-faschis­ti­schen, anti-homo­phoben und nicht-sexis­ti­schen Kon­senses in den deut­schen Sta­dien heute. 

»Gegen­ge­rade« heißt auch der Fim, den du gedreht hast und der seinen Kino­start in Deutsch­land Ende März hat. Bis jetzt galten Fuß­ball­filme, nimmt man »Deutsch­land – ein Som­mer­mär­chen« mal aus, nicht unbe­dingt als Kas­sen­schlager. Ändert sich das mit »Gegen­ge­rade«?
 

Tarek Ehlail: Zunächst mal mache ich keinen Film mit der Inten­tion, einen Kas­sen­schlager zu pro­du­zieren. Wenn man das als jün­gerer Fil­me­ma­cher wollte, wäre man zum Schei­tern ver­ur­teilt. Trotzdem ist es so, dass der FC St. Pauli wesent­lich mehr ist als ein Fuß­ball­verein. Die Strahl­kraft dieses Klubs reicht weit über die Fuß­ball-Nische hinaus. Wir erzählen ein Kiez-Drama mit unheim­lich vielen Figuren. Es ist ein klas­si­scher Ensem­ble­film, des­wegen auch so viele Schau­spieler. Der FC St. Pauli ist let­zend­lich nur das Milieu, in dem sich die Prot­ago­nisten bewegen. 

Was waren neben dem Regie­führen deine Auf­gaben?
 

Tarek Ehlail: Ich bin zusammen mit Ste­phanie Blum und ihrer Firma »triple beat« Mit-Pro­du­zent mit meiner »Sabo­takt Film«. Das Buch haben wir zu dritt geschrieben: Steffi, Moses und ich. Vom Sekt­kis­ten­schlepper bis hin zum Spiel­leiter habe ich so ziem­lich jede Funk­tion im Pro­duk­ti­ons­pro­zess von »Gegen­ge­rade« schon erfüllt. Wir haben den Film in zehn Monaten gedreht und da musste ich mein Talent, Leute zu über­zeugen, schon voll aus­schöpfen. 

Dein Film besticht durch ein großes Star­auf­gebot: Moritz Bleib­treu, Mario Adorf, Domi­nique Hor­witz, Claude-Oliver Rudolph. Wider­spricht das nicht diesem St. Pauli-Grund­satz des Anti-Kom­mer­zi­ellen?  

Tarek Ehlail: Der Vor­wurf, einen Auto­di­dakten wie mich, der mit 29 und einem Nichts an Mit­teln seinen zweiten Film macht, als Teil der Kom­mer­zia­li­sie­rung zu betrachten, ist völlig aus der Luft gegriffen. Ich pro­du­ziere diesen Kino­film mit den­selben Mit­teln wie ich ein Punk-Fan­zine pro­du­zieren würde. Von der Pro­mo­tion über den Kino­ver­leih bis hin zur Pre­mie­ren­party: Wir organ­si­s­ieren alles selbst. Gerade hast du mich dabei gestört, die Sekt­kisten in den Keller unseres Hotels zu tragen. Nur wegen des Casts meinen Film schon per se als einen Bei­trag zur Kom­mer­zia­li­sie­rung zu sehen, das kann ich nicht nach­voll­ziehen. 

Kannst du es denn nach­voll­ziegen, wenn feh­lende Glaub­wür­dig­keit bemän­gelt wird?
 

Tarek Ehlail: Glaub­würdig zu sein heisst doch nicht, dass nur zahn­lose Kutten in dem Film mit­spielen dürfen. Es ist doch lächer­lich, dass man auf keinen Fall Geld aus­geben darf. Unau­then­tisch wäre gewesen, wenn eine rie­sige Orga­ni­sa­tion von außen gesagt hätte, ok, wir drehen jetzt einen Pauli-Film und ver­su­chen, einen bestimmten Erlös zu erzielen. So lange dieses Ding aber aus einer Liebe zu St. Pauli und dem Gefühl für die Kultur des Ver­eins heraus ent­steht, ist alles erlaubt. Auch, wenn jemand mir eine Mil­lion ange­boten hätte, um den Film zu drehen. Ein Film ist und bleibt ein Pro­dukt. Aber ein Fuß­ball­verein, und das ver­gessen die Leute immer, ist genauso ein Pro­dukt. 

Wie bist du an die Tele­fon­num­mern von Bleib­treu oder Adorf gekommen?  

Tarek Ehlail: Einige Num­mern hatte ich schon von diesen sonst nutz­losen Ber­li­nale-Partys der letzten Jahre. Bei vielen ging der Weg ganz normal über die Agen­turen. Und obwohl wir das Buch als Schnell­schuss geschrieben haben, hat es funk­tio­niert. Wenn die Agentur einem die Mög­lich­keit ein­räumt, die Schau­spieler per­sön­lich zu treffen, dann muss man sie über­zeugen. Kein Schau­spieler würde sich mit dir treffen, ohne vorher das Buch gelesen zu haben. Letztes Jahr war ja das St.Pauli-Jahr schlechthin. Alle Zei­chen standen auf Auf­stieg, das Jubi­läum stand bevor, es war ein unheim­li­cher Hype. Der Zeit­punkt war genau richtig, diesen Fim zu drehen. Die Leute haben auch außer­halb von Ham­burg mit­be­kommen, dass da etwas vor sich geht im Norden. 

Gibt es fil­mi­sche Vor­bilder? Etwa der deut­sche Film »Nord­kurve« oder die bri­ti­schen »Away­days« und »Foot­ball Fac­tory«?
 

Tarek Ehlail: »Away­days« finde ich nicht schlecht, aber das war ja ein »Adidas«-Imagefilm. Das Coolste an dem Fim ist der Titel, der zieht jeden direkt an. Gene­rell habe ich sie alle gesehen und ich habe mich auch inspi­rieren lassen. Unser Film ist sehr arti­fi­ziell und spe­ziell, man sollte sich ihn unde­dingt angu­cken. Für mich ist es eher inter­es­sant, wie jemand seine Filme macht und nicht das, was dabei heraus kommt. Ein gutes Bei­spiel ist Klaus Lemke, den die Leute immer als Trash-Regis­seur ver­schreien, der aber immer wieder Filme mit einer großen Energie raus­bal­lert. 

Wie insze­niert man denn Fuß­ball? Wie insze­niert man ein Fuß­ball­spiel und die Emo­tionen, die damit ver­bunden sind?
 

Tarek Ehlail: In »Gegen­ge­rade« sieht man ja keine aktiven Spiel­szenen. Das Spiel­ge­schehen spie­gelt sich an den Fans wider. Fuß­ball selbst konnten wir zum einen nicht insze­nieren, weil wir uns die Super­zeit­lupe mit der Flug­k­r­ahn­ka­mera nicht leisten konnten. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht, das Spiel aus­ge­klam­mert und bli­cken immer nur vom Platz in die Kurve. Natür­lich haben wir insze­niert, aber auch Szenen bei echten Spielen gedreht. Denis Mos­chitto, Fabian Busch oder Claude-Oliver Rudolph wurden dabei gefilmt, wie sie 90 Minuten das Spiel gucken. So haben wir ver­sucht, eine authen­ti­sche Stim­mung zu erzeugen. 

Der Trailer ist sehr schnell, mit sehr vielen Schnitten und zeigt durchaus auch Gewalt­szenen. Wie insze­niert man eine Mas­sen­schlä­gerei?  

Tarek Ehlail: Der Film zeigt Gewalt, das ist klar. Aller­dings sug­ge­riert der Trailer einen rich­tigen Gewalt­film, das ist »Gegen­ge­rade« aber eigent­lich nicht. Der Trailer ist natür­lich umstritten, aber ein biss­chen Pro­vo­ka­tion kann nicht schaden. Mir ist schon bewusst, dass es auch kri­ti­sche Stimmen gibt. 

Gab es ein Cas­ting für Mas­sen­schlä­gerei-Szene?
 

Tarek Ehlail: Die Schlä­gerei rekru­tierte sich aus meinen Jungs aus dem Süden und den St.Pauli-Skins, die ich vorher im Fan­shop ange­quatscht hatte. Wir haben die auf­ein­ander gehetzt und dann machen der Schnitt und die Musik die Dynamik. Bei dieser Schlä­gerei-Szenen waren die Jungs moti­viert und wir haben sie mit Bier bezahlt. Für die Kom­parsen haben wir schon ein großes Cas­ting gemacht, vor dem wir einen großen Aufruf im Mill­ern­tor­sta­dion gemacht haben. 

Wie nah ist das, was ihr abbildet, dran an der Fuß­ball­rea­lität 2011?  

Tarek Ehlail: Letzten Endes geht es um eine Fan-Rea­lität und da über­spitzen wir fil­misch. Aber es gibt auch ein »Slime«-Konzert im »Jolly Roger«, es gibt eine Szene expli­ziter Poli­zei­ge­walt und ein Fan­fest. Da glaube ich schon, dass wir authen­tisch sind. Gerade diese erwach­senen Figuren sind aber natür­lich auch fast schon als Kari­katur über­zeichnet und das auch bewusst. Zu dieser ganzen Fuß­ball­rea­lität im Sta­dion gibt der Film über­haupt kein State­ment ab. 

Der Fuß­ball kennt das Phä­nomen der »Trai­ningski­e­bitze«. Gab es die auch bei euch am Set?
 

Tarek Ehlail: Klar, wir haben ja auf St. Pauli gedreht! An jedem dritten Drehtag kam irgendein besof­fener Zausel ange­laufen, der ein­fach so dazu kam. Aber davon lebt das ja auch. Wir haben direkt in der Stadt gedreht, da wurden die Leute teil­weise auch zu unfrei­wil­ligen Sta­tisten. Daraus, dass immer wieder Leute dazu kamen, bezog der Dreh eine Menge Dynamik. Und auch im Sta­dion selber: Dass die Kamera auch schon mal weg­ge­schubst wird oder die Leute direkt in sie hinein agieren. Und auch das Kon­zert von »Slime«: Die haben live gespielt, die Leute haben gesoffen und wir haben gedreht. 

Hat der Verein auch par­ti­zi­piert?  

Tarek Ehlail: Tür­öffner beim Verein war Orga­ni­sa­ti­ons­leiter Sven Brux, der auch aus der Punk-Szene kommt. Der FC St. Pauli hat uns unent­gelt­lich die Dreh­orte zur Ver­fü­gung gestellt, die gesamte Infra­struktur. Wir durften die Marke benutzen, wir können sagen: »Mit offi­zi­eller Unter­stüt­zung des FC St. Pauli«. Das war natür­lich alles sehr hilf­reich. Ins­be­son­dere in diesem Auf­stiegs- und Jubi­lä­ums­jahr hatten sie natür­lich alle Hände voll zu tun und trotzdem haben sie uns toll unter­stützt. Ins Sta­dion gehen, in den Logen filmen, das kannst du natür­lich bei keinem anderen Verein in Deutsch­land so machen. Da ist St. Pauli immer noch anders und bleibt es auch immer. 

Wie war die Arbeit mit Mario Adorf? Hast du mit ihm in seinem Wohn­wagen Bier getrunken?
 

Tarek Ehlail: Nein, habe ich nicht. Er hat uns ein Mal hin­terher zum Essen ein­ge­laden. Mario Adorf ist ja inzwi­schen 80 und immer noch ein richtig harter Typ. Neben den ganzen Schmon­zetten, die man so sehen kann, hat der die geilsten Italo-Filme gedreht. Wenn man sich mal anguckt, was für Filme schon in den fünf­ziger und sech­ziger Jahren schon gedreht hat, das ist der Hammer. Bei einer Ver­fol­gungs­jagd im Film »Der Eisen­fresser« musste er auf der Motor­haube lie­gend die Front­scheibe mit dem Kopf ein­schlagen. Da aber noch nicht mit Kunst­glas gear­beitet wurde, saß ein Kame­ra­ss­sis­tent im Auto und hat gleich­zeitig ver­sucht, die Scheibe mit einem Not­hammer von innen ein­zu­schlagen. Das musst du dir mal vor­stellen, so etwas geht heute nicht mehr. Er hat sich auch von einem Youngster wie mir insze­nieren lassen, was für so einen gestan­denen Mann nicht selbst­ver­ständ­lich ist. 
 
Der Film »Gegen­ge­rade« läuft auf der Ber­li­nale und dem 11mm-Film­fes­tival in Berlin (25. bis 30. März). Offi­zi­eller Film­start ist der 31. März 2011. Mehr Infos auf der Home­page des Films

—-
Nie­mals nichts ver­passen! Bestelle hier den 11freunde.de-Newsletter kos­tenlos und gewinne mit etwas Glück ein 11FREUNDE-Jah­resabo!