„Er hat sie alle verarscht“, urteilte Thomas Häßler einst über seinen Freund Pierre Littbarski. Heute hat er Geburtstag. Der größte Spaßvogel der Bundesliga über Berliner Currywurst und ein neues Leben in Japan.
Pierre Littbarski, wann reifte in Ihnen der Plan, mit Fußball spielen Geld zu verdienen?
Sehr spät. Mein Vater war Finanzrat und wollte, dass ich in seine Fußstapfen trete. Ich überredete meinen Kumpel Stefan Müller und begann zusammen mit ihm die Ausbildung zum Finanzbeamten. Stefan hat mir das bis heute nicht verziehen (lacht). Gut, dachte ich mir, mach was Solides und spiel nebenbei ein wenig Fußball.
Bis der Anruf vom 1. FC Köln kam.
Im Sommer 1978 traten wir mit Hertha Zehlendorf bei den Deutschen A‑Jugendmeisterschaften an, auf dem Weg ins Finale schmissen wir den FC aus dem Wettbewerb. Weil ich in beiden Spielen überzeugt hatte, bekam ich plötzlich ein Angebot von Kölns Manager Karl-Heinz Thielen. Thielen hatte zuvor bei Trainer Hennes Weisweiler durchgeklingelt, der nur mäßig begeistert gewesen war. Er fragte: „Is ett wenigstens ´ne Stürmer?“ Thielen setzte sich für mich ein und überredete den Chef.
Schon nach wenigen Spielen der Saison 1978/79 wurden Sie von der Kölner Presse in den Himmel gelobt. Wie sind Sie damit umgegangen?
Meine Mitspieler sorgten dafür, dass ich mir darauf nicht viel einbildete. Roger van Gool, der erste Millionen-Mann der Bundesliga, saß wegen mir plötzlich auf der Bank. Vor meinem Debüt kam er in die Kabine, schaute mich an und sagte: „Heute machst Du Dein letztes Spiel!“
Mussten Sie die obligatorischen Grätschen im Training ertragen?
Natürlich. Mit meiner Spielweise war ich die perfekte Zielscheibe. Im Laufe der Zeit lernte ich dann, mich zu wehren. Ich erinnere mich an ein Testspiel gegen einen Kreisliga-Verein. Nach einem rüden Foul gegen mich griff sich Paul Steiner, selbst kein Kind von Traurigkeit, den Treter: „Junge, warte mal ab.“ Der lachte nur und drehte sich weg. Ich bin nicht stolz darauf, aber wenige Minuten später legte ich mir absichtlich den Ball zu weit vor und sprang dem Kerl ordentlich in die Beine.
Sie konnten auch anders.
Ich musste anders. Nicht immer blieb das folgenlos. Vor der WM 1986 trafen wir im UEFA-Cup-Finale auf Real Madrid. Bei Real spielte der Mexikaner Hugo Sanchez, der vielleicht unfairste Fußballer, den ich je erlebt habe. Kein Witz: Der trug vorne und hinten Schienbeinschoner! Ich erwischte ihn trotzdem so, dass er ausgewechselt werden musste. Kurz darauf trafen wir bei der WM in Mexiko ein. Noch am Flughafen wurde ich von den Medien in die Mangel genommen. Tenor: Sie haben unser Idol kaputtgetreten!
Hatten Sie als gebürtiger Berliner im fernen Köln nicht Heimweh?
Meine neuen Nachbarn sorgten dafür, dass ich mich bald heimisch fühlte. Im ersten Jahr wohnte ich mit meiner späteren Frau in einem 32-qm-Apartement im Uni-Center. Links wohnten Zuhälter, rechts Damen aus dem Gewerbe. Die schlossen mich gleich in ihr Herz. Am ersten Tag stand ich mit meinem Müllbeutel im Hausflur, als eine Frau im Bademantel und tiefem Dekolleté auftauchte, mich an die Hand nahm und mir den Müllschacht zeigte. Wenn ich mit meiner Sporttasche über der Schulter auf meinem Moped zum Training fuhr, winkte mir das halbe Rotlichtviertel zu. „Och, schau mal, der Kleene, ist der süß!“, hörte ich es aus den Fenstern rufen.
Haben Sie wirklich nichts vermisst?
Doch, die Berliner Currywurst! Für 1000 Mark kaufte ich Toni Schumacher seinen alten VW-Käfer ab und gondelte regelmäßig die sieben Stunden quer durch die Zone nach Berlin. Bei jedem Heimatbesuch nahm ich einen kleinen Vorrat vom Verkäufer meines Vertrauens am Ku´damm mit nach Köln.
Wurde am 16. April 1960 in Berlin geboren. Zwischen 1978 und 1993 stand er 406 Mal für den 1. FC Köln auf dem Platz, 1983 schoss er seinen Klub im Finale gegen Fortuna Köln zum DFB-Pokal-Triumph. Nach zwei Vizetiteln 1982 und 1986 wurde »Litti« 1990 Weltmeister. 1997 beendete er seine Spielerkarriere in Japan und wurde Trainer. Nach Stationen in Yokohama, Leverkusen, Duisburg, Sydney, Fukuoka, Teheran und Vaduz landete er schließlich 2010 beim VfL Wolfsburg, für den er heute zunächst als Co-Trainer anfing, dann Chefscout wurde und nun im Marketing arbeitet.
In der Medienstadt Köln reiften Sie bald zum nationalen Star. Fotos aus der Zeit zeigen Sie als Sunnyboy mit Goldkettchen und blonden Strähnchen in den Haaren. Wollten Sie sich bewusst vom eher biederen Stil Ihrer Kollegen absetzen?
Dazu passt die Begegnung, die ich vor einigen Jahren mit dem brasilianischen Nationaltrainer Felipe Scolari hatte. Der sagte mir zur Begrüßung: „Du bist kein Deutscher. Du bist ein Brasilianer. Schau Dir nur an, wie Du Fußball gespielt hast!“ Das heißt, mein Spielstil war schon einmal alles andere als deutsch. Und zu den Haaren: Schon zu meiner Schulzeit bewunderte ich die Mähne meines Mitschülers und späteren Hertha-Spielers Robert Jüttner. Der kam eines Tages mit einer waschechten David-Bowie-Frisur in die Klasse und konnte an keinem Spiegel mehr vorbeigehen. In Köln bin ich dann irgendwann zu einem Szenefriseur, um mir auch eine spektakuläre Mähne machen zu lassen. Nach dem ersten Färben war die Hälfte meiner Haare blond wie Stroh. Ich saß bis acht Uhr abends in diesem Laden, um die Frisur noch halbwegs zu retten – zwecklos. Natürlich haben sich meine Mitspieler kaputtgelacht. Da sagte ich mir: Jetzt lässt du die Haare erst recht so.
Nicht die einzige modische Extravaganz.
Ich habe alles ausprobiert. In einem Trainingslager ließ ich mir mit Frank Ordenewitz jeweils einen halben Bart stehen. Er die rechte Gesichtshälfte behaart, ich die linke. Sah überragend aus.
Haben Sie sich jemals als Popstar gefühlt?
Eigentlich nicht. Wobei die Inhalte der Fanpost spätestens nach meiner ersten WM 1982 immer kurioser wurden. Nicht selten schrieben mir junge Frauen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte, dass Sie ein Kind von mir erwarten würden. Mit dem Zusatz: „Es könnte aber auch von Thomas Kroth oder Stephan Engels sein, da bin ich mir nicht so sicher.“