Vor vier Jahren versuchte sich Babak Rafati das Leben zu nehmen – Depressionen. Anlässlich einer am heutigen Montag ausgestrahlten BR-Doku verweisen wir auf dieses Interview vom Frühjahr 2015.
Babak Rafati, gibt es noch Tabuthemen im deutschen Fußball?
Selbstverständlich.
Welche?
Homosexualität. Depressionen. Mobbing. Burnout.
Sie selbst waren jahrelang erfolgreicher Fifa-Schiedsrichter. Vor dem Spiel zwischen dem 1. FC Köln und Mainz 05 am 19. November 2011, bei dem Sie als Schiedsrichter angesetzt waren, versuchten Sie sich das Leben zu nehmen. Das Spiel wurde abgesagt, Ihre Karriere als Unparteiischer war vorbei. Anschließend gaben Sie Depressionen als Auslöser für Ihren Suizidversuch an, begaben sich in Behandlung und wurden wieder gesund. Was meinen Sie: Warum werden die Themen Depression, Mobbing und Burnout in der Bundesliga tabuisiert?
Weil das für viele Menschen etwas Fremdes ist. Und wenn etwas fremd ist, dann will man damit erstmal nichts zu tun haben. Es kostet immer Überwindung, sich mit etwas Fremden auseinanderzusetzen. Das gilt in diesem Zusammenhang ja nicht nur für den Fußball, sondern auch für die Gesellschaft.
Ihr Fall hat auf dramatische Art und Weise gezeigt, zu welchen Auswüchsen solche Tabuisierungen führen können. Wie geht man dem entgegen?
Indem man offen und ehrlich darüber spricht. Nehmen wir das Thema Sex. Vor 20, 30 Jahren war Sex in der Gesellschaft ebenfalls ein Tabu. Heute spricht jeder über Sex, ohne sich dabei schämen zu müssen. Ich hoffe, das wird auch irgendwann beim Thema Depression und Co. so sein. Bloß braucht es dafür Menschen, die sich hinstellen, ihr Gesicht zeigen und darüber sprechen.
Sind Sie ein geeigneter Kandidat dafür?
Ich denke schon. Ich sage: „Leute, ich habe viel falsch gemacht und dafür die Quittung erhalten. Zum Glück bin ich noch hier, um euch mitzuteilen, dass ich ein Vorbild dafür war, wie man es nicht macht.“ Das sehe ich als meine Aufgabe an: Meine eigene Geschichte zu nutzen, um mitzuhelfen, diese Fehlerkultur in in unserer Gesellschaft zu ändern.
Sie sind gegenwärtig als Referent und Mentalcoach in der freien Wirtschaft unterwegs. Thema: „Präventions-Strategien gegen Burnout“. Wie ist das Feedback auf Ihre Arbeit?
Wesentlich aufschlussreicher, als ich dachte. Schon während der Veranstaltungen sehe ich meinem Publikum an, wie wissensgierig die bei diesen Sachen sind. Und hinterher kommen regelmäßig hohe Führungskräfte zu mir, bedanken sich und sagen: „Vielen Dank, dass sie mir den Spiegel vorgehalten haben. Sie haben bewirkt, dass ich mein Leben ändern werde.“ Das ist natürlich fantastisch für mich, wenn ich die Menschen so erreiche. Aber es zeigt auch, wie erschreckend verbreitet Stress, Leistungsdruck, Mobbing, Burnout und Depressionen in unserem Arbeitsalltag sind.
Und da reicht ein Vortrag, um gestresste Manager das eigene Leben überdenken zu lassen?
Bestimmt nicht bei jedem. Aber besagter Spiegel, den ich ihnen vors Gesicht halte, zeigt eine hässliche Fratze. Ich kann das förmlich sehen, wie sich in den Köpfen der Zuhörer eine Stimme meldet: „Verdammte Scheiße, das geht mir ganz ähnlich.“ Und mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne liegend möchte schließlich niemand enden.
Und welche Ratschläge geben Sie den Zuhörern mit auf den Weg, um nicht so zu enden, wie Sie im November 2011?
Ich erzähle Ihnen z.B. vom Spiel zwischen dem HSV und Mainz in 2011, als ich den Mainzern ein Tor zugestand, was keines war, der HSV verlor und ich anschließend an den Pranger gestellt wurde. Mit negativen Reaktionen von Fans und Medien muss man als Schiedsrichter klar kommen. Aber in meinem Fall stellt sich auch noch mein Chef auf die Gegenseite, obwohl den Fehler mein Assistent machte. Zitat: „Jeder darf Fehler machen. Nur du nicht Babak.“ Damals habe ich den großen Fehler gemacht, diesem Mobbing den Kampf anzusagen. Ich wollte ja Stärke zeigen, mich durchbeißen, das typische Männerideal. Hätte ich einen kühlen Kopf bewahrt und mir gesagt: „Der fühlt sich doch nur stark, wenn er mich schwächt“, wenn ich also eine kleine Niederlage im Sinne meines Wohlergehens akzeptiert hätte, wäre ich vielleicht nicht in der Badewanne gelandet.