Es passierte im Sommer 1994. Ich war 14 Jahre alt. Fußball kannte ich primär aus dem Volksparkstadion und was dort in den frühen 90ern geboten wurde, war wenig spektakulär. Mein Lieblingsspieler hieß Andreas „Sexmachine“ Fischer und war eher für seinen Kinderreichtum denn seine Technik bekannt. Ich sammelte die papiernen Tablettunterlagen von McDonalds mit den Konterfeis von Frank Rohde und Stefan Schnoor, um endlich die Überreste der Roxette-Poster an meiner Wand zu verstecken, trauerte um den kürzlich verstorbenen Kurt Cobain und pubertierte in der niedersächsischen Provinz vor mich hin.
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Doch diese Tristesse sollte ein jähes Ende finden, als ER die Fußballbühne oder vielmehr den heimischen Fernsehbildschirm betrat. Er war natürlich Schwede, was sonst? Während meine Mutter sich vor Lachen über das manische Augenrollen des Tre Kronor-Torhüters (und eigentlichen Stars der WM) Thomas Ravelli kaum halten konnte, hatte ich nur Augen für ihn – und für seine Haare. Wie konnte man mit solch wilden Rastas so wunderbare Kopfballtore erzielen? Wie konnte man überhaupt so berauschenden Fußball spielen? Henrik Larsson stand immer da, wo beim HSV niemand stand. Als er, im Viertelfinale gegen Rumänien, gerade erst eingewechselt und einer der unerfahrensten Spieler im Team, so eiskalt den vorentscheidenden Elfmeter verwandelte, war es um mich geschehen. Bei der schwedischen Jubelparty zur gewonnenen Bronzemedaille interessierten mich die Pirouetten eines Tomas Brolin genau so wenig wie Martin „OJ“ Dahlins spitzbübisches Grinsen. Ich sah nur den Jungen aus Helsingborg.
Auch Ronaldinho war verrückt nach Henrik Larsson
Natürlich war ich in diesem Sommer nicht die einzige, die sich in „Henke“ verguckte. Auch Ronaldinho (übrigens selbes Baujahr wie ich) verfiel dem verhältnismäßig kleinen und doch extrem kopfballstarken Stürmer: „Bei der WM 1994 war ich verrückt nach ihm. Ich wollte sein wie er.“ Schon bald begegneten wir uns wieder. Im November desselben Jahres machte Larsson im Weserstadion drei Tore und beendete so die Europapokalträume der Bremer, ein schwacher Trost für mein leidgeprüftes HSV-Herz.
Dass Henke dann 1997 von Feyenoord zu Celtic wechselte, machte ihn der angehenden Anglistik-Studentin nur noch sympathischer. Der Schwede passte dorthin wie kein Zweiter. Denn Larsson war nicht nur verdammt gut, sondern auch verdammt bodenständig, loyal und frei von jeglichen Allüren. In den sieben Jahren in Glasgow machte ihn sein sensationelles Spiel mit dem Rücken zum Tor unsterblich. Fünf Mal wurde er Torschützenkönig der schottischen Liga. Als er sich 1999 in Lyon das Bein brach, machten die Abendnachrichten mit dieser Meldung auf und das Krankenhaus wurde von bangenden Fans belagert. Als er den Verein schließlich 2004 in Richtung Barcelona verließ, nahmen die Celtic Fans es ihrem „King of Kings“ nicht übel, sondern verabschiedeten ihn mit dem Gänsehaut-Chant „You are my Larsson, my Henrik Larsson. You make me happy when skies are grey“. Ich weine selten, eigentlich nur vor Wut oder bei wirklich großen Sportereignissen. An dem Abend brachen bei mir alle Dämme.
2006 beendete ich mein Studium, Henke war immer noch da. Mit 35 Jahren sicherte er Barca den Gewinn der Champions League. Beim Stand von 0:1 eingewechselt, bereitete er sowohl Ausgleich als auch Siegtreffer vor. Es hätte der krönende Abschluss seiner internationalen Karriere sein können. Doch nur wenige Monate später verschoss er bei der WM in Deutschland einen Elfmeter gegen Jens Lehmann und stürzte mich so inmitten einer tanzenden Partymeute auf der Hamburger Schanze in tiefe Trauer. Larsson hatte zwar seit 2002 mehrfach versucht, seine Nationalmannschaftskarriere zu beenden, doch er konnte zweimal von den herzerwärmenden Kampagnen seiner Landsleute zum Rücktritt vom Rücktritt bewegt werden. Dafür bin ich den schwedischen Revolverblättern ewig dankbar.
Henke, der alte Freund an meiner Seite
Zeitgleich mit der EM 2008 begann meine Zeit bei 11FREUNDE und Henke war wie ein alter Freund noch immer an meiner Seite. Er spielte bei insgesamt drei Europameisterschaften und drei Weltmeisterschaften. Seine Karriere in der Nationalmannschaft dauerte ganze 15 Jahre, er hat Spinner wie Unterhosen-Model Freddie Ljungberg kommen und gehen sehen. Er hat mich begleitet, mein halbes Leben lang und ich hoffe sehr, dass er eines Tages als Trainer von Celtic oder Tre Kronor auf die internationale Bühne zurückkehren wird.