Der heutige Transfer-Deadline-Day hat in England längst Kultstatus, leisten die Klubs sich doch in letzter Sekunde oft noch die größten Coups. Unser England-Experte Titus Chalk kann diesem bizarren Schauspiel nicht allzu viel abgewinnen und erklärt, was heute noch alles passieren könnte.
In diesem Jahr feiert die Premier League den zehnten Geburtstag des mittlerweile legendären Transfer-Deadline-Days – ein Meilenstein in Sachen Völlerei, unerreicht in ganz Europa. Die nackten Zahlen der Prahlerei zeigen, dass sich auch in diesem Jahr niemand so verausgabt hat wie die Premier League, die zuverlässig mehr Geld ausgibt als jede andere Liga der Welt. Allein die beiden diesjährigen Transferfenster haben bereits gierig 720 Millionen Euro (Quelle: transfermarkt.de) geschluckt wie Feierbiester eiskalten Cristal-Schampus in einem Londoner VIP-Club.
England, berühmt geworden als Nation von Kaufmännern, ist zu einer Nation von Zockern geworden, welche die Gewohnheiten des Londoner Finanzdistrikts verinnerlicht hat und ihre Kreditkarten zum Glühen bringt, als gäbe es kein Morgen mehr. Und die mit Verblüffung auf die Welle der teutonischen Besonnenheit starrt, die derzeit das finanzielle gebeutelte Europa ergriffen hat. Es scheint, als lebe die Premier League weiter auf einer einsamen Insel stetiger Selbstzufriedenheit.
Wie ein verblichenes Actionheld-Sequel
Und so wird auch das Schauspiel der Transfer-Deadlin gerne als genauso hochexplosiver wie sexy Blockbuster inszeniert, obwohl es nunmehr lediglich den Glanz eines erschöpfenden Actionheld-Sequels verstrahlt, das dringend einen Neuanstrich gebrauchen könnte. Die tiefen Falten der Hauptdarsteller sind kaum zu kaschieren, das Drehbuch schleppt sich im Schneckentempo voran und ein selbstverliebtes Ensemble wetteifert miteinander um möglichst große Aufmerksamkeit.
Unangefochtener Anführer dieser Riege ist Sky-Sport-News-Moderator Jim White, der mit großer Geste und seinem nasalen schottischen Akzent jede Kamera befriedigt, die man ihm vor die Nase stellt und jedes noch so vage Gerücht über einen verblichenen Star, der von einer Premier-League-Akademie zu einem Drittligisten wechseln könnte, hinaus in die Welt brüllt. „Unglaublich“, schreit er, affektierte Begeisterung spielend, während in einer Ecke des Bildschirms ein Countdown erbarmungslos heruntertickt und zeigt, wie viele qualvolle Stunden man von diesem Quatsch noch ertragen muss.
Und während die Regie danach auf drei sichtlich unterbeschäftige Typen in Trainingsanzügen schneidet, die auf dem Parkplatz von besagtem Drittligisten herumlungern, textet White panisch alle Spieler und Trainer in seinem Telefonbuch an, um in Erfahrung zu bringen, wo und wann denn nun wirklich ein saftiger Transfer zu erwarten ist. Der geneigte Zuschauer fragt sich spätestens hier, wie oft White in diesen Tagen die Antwort „Fuck off“ kassiert, während er das ermüdende Transferdrama am Laufen halten muss. Und sie fragen sich, wie oft haben ihn Ex-Spieler schon aus Spaß mit brandheißen Transfernews gefoppt? Alles egal, denn White liest alles wortwörtlich vor, als wären es die exklusivsten Nachrichten der Welt.
Natürlich ist diese Aufführung undenkbar ohne den unverwüstlichen Darsteller Harry Redknapp, der sich so oft wie eben nur möglich in die Geschichte des Transfer-Deadline-Days hineinzwängt. Dabei hatte er in diesen Tagen bereits die Schlagzeilen ganz allein für sich, weil er das Transfermarkt-Gebaren mit einem berüchtigten Drogenkrieg verglich, der sich in den Achtzigern im Glasgower East End abspielte. „Jeder Berater versucht sein Gegenüber zu verarschen, es ist ein bisschen so wie in den Ice-Cream-Wars von Glasgow“, sagte der Trainer der Queens Park Rangers und ergänzte: „Sie gehen sich alle gegenseitig an die Kehle. Es ist, als wollten sie sich gegenseitig abknallen. Es ist verrückt.“ Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, den Franzosen Loic Remy für 10,5 Millionen Euro zu verpflichten, obwohl das den Kaderwert seines abstiegsbedrohten Klubs auf wahnsinnige 101,5 Millionen Euro erhöhte. Nebenbei haben seine Spieler mittlerweile ein Durchschnittsalter von geriatrisch bedenklichen 29,3 Jahren.
In diesen Tagen ist Redknapp übrigens sehr leicht zu erkennen: Er ist der Mann, dessen Gesicht immer durch ein geöffnetes Autofenster eingerahmt wird, durch das er beim Verlassen des Trainingsgeländes seinen nach Geschichten lechzenden Journalisten-Kumpels ein bisschen Klatsch und Tratsch in die Blöcke diktiert. Weil er als mysteriöses Transfer-Tratschweib gilt, drohte ihm einst sogar Trainerkollege Brian Fry an, ihm die Kniescheibe zu brechen. Dennoch wird Redknapp der Kumpanei mit den Medien nicht müde. Er weiß, dass er so seinen Ruf als beliebtester Trainer Englands weiter festigen kann. Dabei sollte man einfach mal die Fans des FC Portsmouth fragen, was sie von Redknapps fragwürdigem Geschäftssinn halten, der ihren Klub letztendlich mit in den Bankrott trieb. Wahrscheinlich würde man eine ziemlich dreckige Hasstirade zu hören bekommen über den Mann, der um ein Haar Englands Nationaltrainer geworden wäre.
Derweil sitzt Tottenhams Boss Daniel Levy bereits in den Startlöchern und wartet darauf, endlich die Schlagzeilen zu erobern. Das macht er mit Vorliebe, in dem er Klubs das letzte bisschen lebendes Fleisch vom Körper reißt, egal wie hoch der Preis dafür und wie groß der Streit darüber auch sein mag, solange seine Spurs am Ende als strahlender Sieger dastehen (man erinnere sich nur an die langwierige Luka-Modric-Saga oder die schmerzhaft-zähe Adebayor-Verpflichtung). Dabei hat er selbst seinen eigenen Trend widerlegt, als er für Lewis Holtby mehr bezahlte, als er eigentlich wollte (1,75 Millionen Euro statt 0 Euro), was aber sicher auch am sanften Druck seines Trainers Andres Villas Boas gelegen haben könnte. Aber vergessen wir diesen Fakt und hoffen, dass Levy auch im diesjährigen Transfer-Blockbuster wieder die Rolle spielt, die ihm angedacht ist: Die des rücksichtslosen Jägers, der einst Emanuel Adebayor und Jermaine Defoe als Last-Minute-Schnäppchen in Stellung brachte. Levy ist sicherlich ein furchterregender Verhandlungsführer – dabei scheint es niemanden zu stören, dass er von der britischen Presse als typischer Pfennigfuchser dargestellt wird – so ist er aber eben auch das perfekte Gegenstück zum geliebten Schlingel, dem harmlosen Cockney-Gauner Harry Redknapp.
Balotelli verkommt zur Comic-Figur
Das Transferfenster wird also in ein paar Stunden laut zuschlagen, wahrscheinlich sehr zur Freude der Fans, die immerhin ganz privat auf eine nie dagewesene Rezession zu taumeln. Und auch wenn Sky Sport News und die Drehbuchautoren es vielleicht niemals erkennen: In diesen schwierigen Zeiten ist das grelle, seelenlose Geprahle der Premier-League-Klubs bis zur Erschöpfung vorhersehbar und schlichtweg geschmacklos. Selbst der zur Comicfigur verkommene Mario Balotelli hat sich ohne große Show verabschiedet. Vielleicht hat auch er gemerkt, dass seine Posen schon vor langer Zeit ihren Witz verloren haben.
Und während der einzige Klub, der wirklich dringend neue Spieler braucht (Aston Villa), nicht mehr aktiv wird und Newcastle die Rolle als Arsenal-Tribute akzeptiert hat und so viele französische Spieler wie möglich verpflichtet, behalten sich die Champions-League-Klubs in diesem Winter die Krönung dieses Possenspiels vor und halten ihr Geld brav für den kommenden Sommer zusammen.
Vielleicht wird das Financial Fairplay der Uefa eines Tages diesem ganzen Unsinn ein Ende setzen. Vielleicht kommt Hochmut wirklich vor dem Fall. Aber so langweilig die Transfers auch sein mögen, so spürt man doch, dass die Akteure in diesem Geschäft dem Reiz nicht widerstehen können, mit einem neuen Gerücht, einer neuen Verhandlung, einem neuen Coup ihre tragende Rolle im ewigen Premier-League-Melodram zu verewigen Selbst dann, wenn alle Zuschauer sich lieber wieder auf das Wichtigste konzentrieren würden: 90 Minuten am Samstag. Drei Punkte. Alles, bloß keine Schauspielerei.