Jüngst wurde 1860-Profi Daniel Bierofka von einem Schiedsrichter das Nasenbein gebrochen. Ein alter Hut, denn bereits im August 1977 stürmte Reiner Hollmann wutentbrannt auf einen Schiedsrichter zu und wachte erst in einem Krankenwagen wieder auf: Der Unparteiische hatte den Braunschweiger ausgeknockt
Vor der Saison 1977/78 war der große Paul Breitner von Real Madrid zu uns nach Braunschweig gewechselt. Vom ersten Tag an herrschte deswegen eine Rieseneuphorie um unsere Mannschaft. Alle wollten den Superstar mit der Naturkrause spielen sehen, wir wurden kurzerhand zum Mitfavoriten auf den Meistertitel ernannt. Eintracht Braunschweig war nun der Gejagte. Am ersten Spieltag reisten wir zum Außenseiter 1. FC Kaiserslautern. Natürlich brannte auf dem Betzenberg die Luft. Die Stimmung auf den Rängen war schon beim Warmmachen dermaßen aufgeheizt, dass manch einer sich lieber wieder in den Mannschaftsbus gewünscht hätte. Auch auf dem Rasen flogen von Beginn an die Fetzen. Beide Mannschaften hauten auf den Gegner wie auf kaltes Eisen. Für uns lief aber alles nach Plan, denn Daniel Popivoda brachte uns kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit in Führung. Wir wollten den perfekten Saisonstart sichern und verteidigten mit Mann und Maus. Doch in der 68. Minute passierte es: Lauterns Josef Pirrung zog in Richtung Strafraum und ließ sich plump fallen. Eine Schwalbe, dazu noch weit vor der Strafraumgrenze. Wir drehten bereits ab, als plötzlich der Pfiff von Schiedsrichter Werner Burgers ertönte. Er gab tatsächlich Elfmeter! Eine Frechheit!
Der Betze brennt
Auf den Rängen brach die Hölle los, wir Spieler stürzten protestierend auf den Mann in Schwarz zu. Ich sehe noch Paul Breitner vor mir, wie er mit weit aufgerissenen Augen auf ihn einschreit, Franz Merkhoffer und Wolfgang Frank brüllten ebenfalls so laut sie konnten. Auch ich wollte natürlich meinen Senf dazugeben und stürmte von hinten auf den Schiri zu. Wir waren wie ein Rudel geifernde Wölfe vor der hilflosen Beute. Herr Burgers fühlte sich zu Recht bedrängt und trat die Flucht an. Er drehte sich hastig um, ich spürte noch etwas am Hals, dann gingen bei mir die Lichter aus. Klatsch, weg war ich. Als ich wieder aufwachte, hörte ich wie durch Watte die Zuschauer toben. Ich öffnete die Augen und blickte in ein besorgtes Gesicht. „Was ist denn hier los“, fragte ich den fremden Mann über mir. „Sie sind ohnmächtig geworden. Wir sind in einem Krankenwagen in den Katakomben des Betzenbergs.“ Ich hakte nach: „Und wie steht’s?“ „1:1“, erwiderte der Arzt. „Hat der Sauhund doch Elfmeter gegeben“, dachte ich bei mir. Der Arzt erzählte, dass Schiri Burgers mich tatsächlich mit einem Ellbogencheck ins Reich der Träume geschickt hatte. Bei seiner Drehung hatte er mich offenbar direkt zwischen der Halsschlagader und dem Kehlkopf erwischt. Ein hervorragender Treffer – wenn wir beim Kickboxen gewesen wären.
„Ich wusste nicht, dass Schiedsrichter Spieler k.o. schlagen dürfen“
Im Krankenhaus erfuhr ich, dass wir zu allem Überfluss auch noch 1:2 verloren hatten. Mein persönlicher Fehlstart in die neue Saison war somit perfekt. Schiedsrichter Burgers habe ich dann erst vor dem DFB-Sportgericht wiedergetroffen. Unser Heißsporn Paul Breitner hatte nach dem Spiel noch reichlich Galle im Blut gehabt und einem Journalisten gesagt: „Ich wusste nicht, dass in Deutschland die Schiedsrichter Spieler k.o. schlagen dürfen.“ Ein Eklat.
Zudem drängte mein Verein Eintracht Braunschweig auf ein Wiederholungsspiel. Die Medien stürzten sich auf diese Geschichte, und so wurde der ganze Vorfall viel schlimmer gemacht, als er am Ende wirklich war. Das Ergebnis: Das Spiel wurde nicht wiederholt, ich hatte eine leichte Gehirnerschütterung und durfte mir in den nächsten Wochen regelmäßig dumme Sprüche von Mit- und Gegenspielern anhören. Ach ja, Paul Breitner musste sogar 5000 Mark Strafe für seine Äußerung zahlen. Das hat ihn aber sicher nicht gejuckt, bei Real Madrid wird er schon das nötige Kleingeld verdient haben.