Fuß­ball­spiele brau­chen Labels. Es gibt heut­zu­tage jeden­falls kaum eine Partie, die ohne kna­ckigen Titel aus­kommt. Dabei ist es erst einmal egal, wie groß diese Spiele sind oder wie viel Strahl­kraft die Mann­schaften haben. Nahezu jede Woche müssen wir erfahren, dass dem­nächst irgendwo ein Giganten-Treffen“, ein Hass­gipfel“ oder ein Angst­spiel“ ansteht.
 
Am 25. Mai findet in London das Cham­pions-League-Finale statt, und natür­lich gibt es auch dafür aller­hand Slo­gans. Da ist bereits jetzt vom Gift-Gipfel“ und von Final-Feinden“ („Bild“) zu lesen, der­weil Fans in sozialen Netz­werken das Deut­sche Finale“ besingen. Zunächst mag das einige mode­rate und neu­trale Zuschauer erfreuen, schließ­lich steigen die Anhänger nicht in den Pöbel­wett­streit ein. Allein, sie sti­li­sieren das Spiel zu einem Kampf Deutsch­land gegen Eng­land“.
 
Alles in allem ergibt sich daraus das alte kleb­rige Wir-sind-(wieder)-wer-Gerede. Neu­lich hat Sport1“ zum Bei­spiel einen Aufruf auf seiner Face­book-Seite geteilt, der sich in Win­des­eile auf meh­reren tau­send User-Seiten wie­der­fand: 

Flug nach London 198 Euro
Ein­tritts­karte 125 Euro
Fan­schal 30 Euro
 
Die Gesichter der Eng­länder, wenn Dort­munder und Mün­chener gemeinsam ›Football’s coming home‹ singen… unbe­zahlbar.“
 
Dazu findet man in den Face­book-Kom­men­tar­spalten Sätze wie German Inva­sion to Eng­land“, Bin dafür, dass die Insel neu besie­delt wird“, Teilt euch doch den Pott, und Deutsch­land kann über beide jubeln“, Die Insel­affen hätten es ver­dient“, Ich glaub ich hätt’ Pipi in den Augen“ oder Eng­land hat eine Queen, wir bald den Pokal“.

Es wäre endlos geil!“
 
Auch im Forum von trans​fer​markt​.de freuen sich die Fans auf eine gemein­same Sache: Ich hoffe, die BVB-Anhänger können sich mit unseren Fans darauf ver­stän­digen, dass wir die ersten zehn Minuten im Wem­bley ›Foot­ball is coming home‹ singen.“ Die Ant­wort: Es wäre endlos geil!“
 
In den ver­gan­genen Tagen kur­sierten zudem Mails, in denen Fans dazu auf­riefen, gemein­same BVB- und FCB-Fan-Aktionen beim Finale zu starten. Die Eng­länder, so die Erklä­rung, würden sich dann in ihrem eigenen Sta­dion grün und blau ärgern, wenn wir, die Deut­schen, ihnen zeigten, wie mächtig wir sind.

Nur: Wer sind wir über­haupt?
 
Eine Wir-vereint-gegen-die“-Rhetorik kennt man sonst nur von den Fuß­ball­an­hän­gern, die zu Groß­tur­nieren mit Rück­spiegel-Fähn­chen und Xavier Naidoo im Auto­radio zur Fan­meile fahren. Das ist manchmal auch etwas seltsam, doch letzt­end­lich sehen wir dort immerhin Fuß­ball­spiele, in denen die Aus­wahl­teams ver­schie­dener Nationen auf­ein­an­der­treffen.

Die natio­nale Ein­heit steht über allem
 
Über dem jet­zigen Ver­brü­de­rungs- und Ver­stän­di­gungs­kon­strukt schwebt der kleinste gemein­same Nenner: die (zufäl­lige) gemein­same Natio­na­lität. Und manchmal klingt es, als sei es sogar BVB- und FCB-Fans egal, wel­cher Verein Cham­pions-League-Sieger wird. Auszug aus einer anderen Reak­tion unter dem besagten Aufruf:
 
Wir wollen eine Cho­reo­gra­phie schaffen, in der beide Fan­lager zusam­men­ar­beiten. Die Ver­eins­farben wären auf beiden Seiten sichtbar sein, aber in der Mitte des Sta­dions soll eine Deutsch­land­fahne ent­stehen. Mein Herz schlägt Schwarz-Gelb, aber den­noch freue ich mich end­lich wieder auf einen deut­schen Sieger.“
 
Grund­tenor: Die natio­nale Ein­heit steht über allem. Haupt­sache ein deut­scher Klub wird Cham­pions-League-Sieger, und Haupt­sache eine andere Nation ist (ver­meint­lich) gede­mü­tigt worden. Dann kann man wieder breite Brust zeigen am Strand von El Arenal, dann kann man wieder stolz gucken, wenn einen wild­fremde Leute am Flug­hafen anspre­chen: Ach, Sie sind Deut­scher? Super habt ihr das gemacht!“ Ganz egal, ob der eigene Verein ver­loren hat oder eigent­lich weder der FC Bayern noch Borussia Dort­mund ist, son­dern KFC Uer­dingen oder Hol­stein Kiel heißt.

Ein Wunder, dass noch nie­mand eine Dort­mund-Duis­burg-Bochum-Schalke-Allianz gefor­dert hat, die gemeinsam im Wem­bley-Sta­dion Ruhr­pott“ skan­diert. Oder Augsburg‑, Löwen- und Nürn­berg-Fans dazu ani­miert hat, sich in den FCB-Block zu stellen, um dort ein kol­lek­tives Bayern“ anzu­stimmen. Wir gegen die.
 
Noch einmal zur Erin­ne­rung: Am 25. Mai findet in London das Cham­pions-League-Finale der Saison 2012/13 zwi­schen Borussia Dort­mund und dem FC Bayern. Das ist für die Fans beider Lager, aber auch für alle neu­tralen Bun­des­liga-Fans ver­mut­lich das inter­es­san­teste End­spiel in der Geschichte des Wett­be­werbs, schließ­lich gab es eine ver­gleich­bare Kon­stel­la­tion seit Bestehen der Cham­pions League noch nie. Und schließ­lich kennen die Bun­des­liga-Fans die Mann­schaften besser als die spa­ni­schen oder eng­li­schen Teams. Kurzum: Das Finale ist weder ein Gift-Gipfel“ noch ein Kampf Deutsch­land gegen Eng­land“, es ist das Finale der ver­mut­lich besten Mann­schaften und größten Rivalen der ver­gan­genen Jahre.

Auch um zurück zu dieser Nor­ma­lität und Sach­lich­keit zu kommen, erhob die Bayern-Ultra-Gruppe Schi­ckeria“ ver­gan­genes Wochen­ende eine unsach­liche Gegen­stimme. Sie ent­rollte ein Banner mit den Worten Alle reden vom deut­schen Finale. Wir nicht! Wir sind Bayern! Wir sind Mün­chen! Scheiß BVB!“ Eine ehr­liche, dre­ckige Fan­peit­sche.
 
Die Eng­länder nehmen es mit Selbst­ironie
 
Auch die Eng­länder machen bei dieser ganzen Hys­terie nicht mit. Im Gegen­teil. Sie schreiben unauf­ge­regt, selbst­iro­nisch und lobend über die deut­schen Teams. Keine Spur von einem wie auch immer gear­teten Natio­nen­kampf in zwei­ein­halb Wochen. Die Sun“ schrieb nach den Vier-Tore-Halb­final-Hin­spielen Four-Sprung durch Technik“, und die Daily Mail“ titelte nach den Halb­fi­nal­siegen des BVB und FC Bayern extrem lässig: Fussball’s coming home: Keine Beschwerde. Warum auch? Es ist quasi unmög­lich, zu bestreiten, dass die zwei Top-Klubs in der Bun­des­liga der­zeit auch die zwei besten in Europa sind.“

Und bei eng­li­schen Twit­te­rern kur­siert der­weil Gag, die Deut­schen hätten im Wem­bley-Sta­dion schon ihre Hand­tü­cher aus­ge­legt, um die Plätze zu reser­vieren. Das kennt man ja. Vom Urlaub in El Arenal.