Mit Geschichten von Fußballhelden aus den Achtzigern, die nach ihrer Karriere irgendwo am Stadtrand eine Fußballschule eröffneten, eine Lotto-Annahmestelle betrieben oder in Immobilien machten, könnte man die Groschenheftchen ganzer Verlage füllen. Herzschmerzstorys mit gut gefönten Girls, wilden Partys, dünnem Alkohol, sonnenbebrillten Halbweltgestalten – mittendrin die gebeutelten und nicht selten in Selbstmitleid fliehenden Ex-Profis. Sicher, das Schicksal meinte es nicht immer gut mit den Stars. Doch vielleicht meinten sie es auch nicht stets so gut mit der Betriebswirtschaft – wer weiß das heute schon so genau.
Rigobert Gruber wäre der ideale Protagonist für eine weitere Episode dieser Art gewesen. Während seiner Profizeit ging so viel schief, dass man sich eigentlich nur noch fragte, wann der Fall kommen würde, wann der Mann denn endlich am Tresen lehnen würde.
Der Aufstieg begann raketenartig. Mit 17 Jahren unterschreibt der gebürtige Wormser einen Vertrag bei Eintracht Frankfurt, mit 18 debütiert er bei einem 1:0‑Auswärtssieg in Kaiserslautern. Mit ihm stehen die Idole seiner Jugend auf dem Rasen: Bernd Hölzenbein, Bernd Nickel und Jürgen Grabowski. Im selben Jahr holt Gruber mit der Eintracht den Uefa-Cup, 1981 den DFB-Pokal. Berti Vogts nominiert ihn für die U21-Nationalelf. Gruber befindet sich, so sind sich Experten sicher, am Vorabend einer großen Karriere.
Die Karriere des Rigobert Gruber in Bildern »
Doch weil der junge Mann mit der Afrofrisur in Frankfurt nicht an Karl-Heinz Körbel vorbeikommt, wechselt er nach zwei Jahren zu Werder Bremen. Hier wird Gruber Stammspieler, er spielt auf der Position des Vorstopper, später brilliert er gelegentlich als Libero. 1982 macht er acht Tore, so viele wie kein anderer Abwehrspieler in der Liga. 1983 verpasst er mit Werder haarscharf die Vizemeisterschaft. Grund zur Freude gibt es dennoch: Gruber steht auf dem Zettel von Nationaltrainer Jupp Derwall. Der Fußball fühlte sich nie wieder so gut an – nur wenige Monate später ist alles vorbei.
Innenband, Außenmeniskus, Kreuzband – alles kaputt
Es sollte das bis dahin dramatischste Spiel in der Geschichte des DFB-Pokals werden. Werder Bremen trifft am 1. Mai 1984 auf Borussia Mönchengladbach. Doch Gruber bekommt davon nicht viel mit, in der 17. Minute rasselt er mit Norbert Ringels zusammen. Innenband, Außenmeniskus, Kreuzband – alles kaputt. Als Hans-Jörg Criens in der Verlängerung das 5:4 für Gladbach erzielt, liegt Gruber im Krankenhaus. In den nächsten Monaten wird er fünfmal am Knie operiert, zurück kommt er nicht mehr. Die Profikarriere ist gelaufen. Mit gerade mal 26 Jahren.
1986 stellt Gruber Invaliditätsantrag und lässt sich reamateurisieren. Doch seine Zeit in Werders B‑Elf ist nur von kurzer Dauer. Zu den wiederkehrenden Schmerzen kommen die mitleidigen Blicke und Kommentare. Einmal hört einen Mitspieler sagen: „Ach, da ist wieder der arme Kerl mit seinem kaputten Knie.“ Gruber wechselt zum TSV Verden in die Verbandsliga – und reißt sich wenige Wochen später beim Squash die Achillessehne. 1988 unternimmt er einen letzten Versuch in den Tiefen der Ligen zu kicken, doch wieder zerrt sich Gruber die Bänder, beim Anheben einer Kiste reißt er sich zudem die Strecksehne am Ringfinger. Die Presse kann sich den Spott nicht verkneifen. Rigobert Gruber wird zu einem Sinnbild eines Fußballers, der es nicht geschafft hat. Im Volksmund: Ein Verlierer.
„Ich mache gar nichts mehr, damit nicht noch etwas passiert“
Tatsächlich drängt sich die Frage auf:Wo soll es noch hingehen? Von hier an abwärts – das vermutet jeder, der die Biografien von anderen Ex-Profi kennt, die in ähnlichen Situationen steckten und die versuchen, sich irgendwie an dem Fußballzirkus festzuklammern. Doch Gruber interessiert das alles nicht, er geht die ganze Sache locker an, lehnt sich erst einmal zurück und scherzt wenige Tage nach dem Fauxpas mit der Kiste: „Im Moment mache ich gar nichts mehr, sonst passiert noch was.“
Dann macht er doch etwas – der stets auf Stil und Mode bedachte Gruber eröffnet die Herrenboutique „Rigo’s Nouveau“ in der Bremer Knochenhauerstraße. Mit Fußball hat er abgeschlossen. Als er für eine Autogrammstunde angefragt wird, winkt er ab. „Was soll ich da? Ich bin kein Fußballer mehr. Autos, Musik und Mode – das ist das, was mich heute interessiert“, sagt Gruber und scheint wahrlich froh, nur noch wenig mit Fußball zu tun zu haben. Manchmal schauen dennoch alte Bekannte vorbei. Dieter Burdenski, Thomas Schaaf und Otto Rehhagel etwa, später stattet Gruber auch Julio Cesar und Ailton aus.
Selbst als „Rigo’s Nouveau“ im Jahr 2003 schließen muss, weil die neuen großen Kaufhausketten wie Tetrissteine vom Himmel auf die Innenstädte fallen, ist da keine Spur von Resignation. Gruber hat sich zwischenzeitlich weitere Standbeine aufgebaut. Heute ist er ein gefragter Mann in Sachen Golf. Er vertreibt Textilien und Schuhe, und er organisiert Turniere. So richtig ohne Fußball geht es allerdings immer noch nicht – Rigobert Gruber ist aktiv bei den Gofus, den Golf spielenden (Ex)-Fußballern. Das klingt ein wenig nach nach gestrandeten und verirrten Profis, die sich zwischen Charity-Aktionen und Benefizturnieren ein letztes Mal in den Spotlights der Regionalsender sonnen können. In Wahrheit spielen hier aber gefragten Stars der Szene: Christoph Metzelder oder Stefan Kießling etwa. Ebenso Franz Beckenbauer, Hansi Flick und Uli Hoeneß. Selbst Peter Neururer hat einen Mitgliedsausweis. Bei den Gofus versammelt sich das Who is who der deutschen Fußballelite. Und Rigobert Gruber steht mittendrin. Heute wird er 50 Jahre alt. Wir erinnern in unserer Bilderstrecke an seine Karriere.