Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Es ist der Morgen des 2. Juli 1989: Wäh­rend die Ein­wohner Osna­brücks noch in den Sonntag hinein schlum­mern, schlen­dern einige Gestalten um sechs Uhr mor­gens bar­füßig über den vom Tau nassen Rasen des Sta­dion an der Bremer Brücke. Es sind Natio­nal­trainer Gero Bisanz und seine Spie­le­rinnen, die sich mit diesem Moment der Ruhe auf das Euro­pa­meis­ter­schafts­fi­nale am selben Tag vor­be­reiten. Große Erwar­tungen lasten auf den Schul­tern der jungen Mann­schaft, die im Finale auf die starken Nor­we­ge­rinnen trifft. Die Füße im wei­chen Gras, beob­achten die Spie­le­rinnen, wie die Sonne am Hori­zont all­mäh­lich höher steigt. Wenige Stunden später ist von der mor­gend­li­chen Idylle nichts mehr zu spüren. Mehr als 22 000 Zuschauer wollen das EM-End­spiel sehen, nicht alle von ihnen können eine Ein­tritts­karte ergat­tern. In einem begeis­ternden Spiel fegen die deut­schen Frauen ihre Geg­ne­rinnen mit 4:1 vom Platz. Es ist der erste Titel für den deut­schen Frau­en­fuß­ball und der Beginn einer erfolg­rei­chen Ära. Von den Spie­le­rinnen, die dort unten auf dem Rasen den Sieg beju­beln, werden viele über Jahre hinweg das Spiel prägen.



Mitten unter ihnen: die erst 22 Jahre alte Stür­merin Heidi Mohr. In diesem Moment ihrer jungen Kar­riere ist noch nicht zu erahnen, was sie alles errei­chen wird: dreimal Euro­pa­meis­terin, einmal Vize­welt­meis­terin, mit 83 Tref­fern in 104 Län­der­spielen lange Zeit die erfolg­reichste deut­sche Tor­jä­gerin, Deut­sche Meis­terin und Supercup-Gewin­nerin in der 1990 gegrün­deten Bun­des­liga, fünfmal in Folge Tor­schüt­zen­kö­nigin mit durch­schnitt­lich 27 Tref­fern. Nicht zuletzt: Europas Fuß­bal­lerin des Jahr­hun­derts. An diesem Sonntag des Jahres 1989 beginnt also eine ein­zig­ar­tige Lauf­bahn. Doch anders als auf dem Platz sorgt Heidi Mohr in der Öffent­lich­keit kaum für Furore. So wie die Gegen­spie­le­rinnen auf dem Rasen umdrib­belt sie auch die Mikro­fone der Medien. Heidi Mohr ist ein stiller Typ, und so ist eine der besten deut­schen Spie­le­rinnen vielen Fuß­ball­fans heute gar kein Begriff.

Ihre Mit­spie­le­rinnen haben nicht begriffen, was sie auf dem Platz anstellte“

In der Saison 1990/91, der ersten der Bun­des­liga, holt Heidi Mohr mit 36 Tref­fern die Tor­jä­ger­ka­none. Sie ist kalt­schnäuzig im Abschluss und unglaub­lich schnell. Es gab in der gesamten Aus­wahl an Frauen und Mäd­chen, die ich beob­achtet habe, nie­manden, der so schnell war wie Heidi Mohr“, meint Gero Bisanz, der wäh­rend Mohrs gesamter Natio­nal­mann­schafts­kar­riere ihr Bun­des­trainer war. Ihre Zeiten bei Sprint­tests konnten pro­blemlos mit denen von Spit­zen­ath­leten in der Leicht­ath­letik mit­halten.“ Sobald Heidi Mohr den Ball am Fuß hatte, wurde es für die Ver­tei­di­ge­rinnen gefähr­lich. Ihr Mar­ken­zei­chen: Soli durch die gesamte geg­ne­ri­sche Abwehr­reihe. Nicht selten wurde als Krö­nung auch noch die Tor­frau ver­nascht. Auf diese Weise erzielte sie 1991 eines ihrer wich­tigsten Tore. Im EM-Finale gegen Nor­wegen steht es unent­schieden, als sich Heidi Mohr kurz vor dem Abpfiff ein Herz nimmt und einen ihrer unver­gess­li­chen Solo­läufe startet. Von der Mit­tel­linie aus sprintet sie mit dem Ball am Fuß an sämt­li­chen Nor­we­ge­rinnen vorbei, die sich ihr in den Weg stellen, dringt in den Straf­raum ein und plat­ziert mit letzter Kraft ihren Schuss im geg­ne­ri­schen Tor. Am Ende gewinnt Deutsch­land mit 3:1 und ist zum zweiten Mal Euro­pa­meister. Und Heidi Mohr ist, neben Silvia Neid und Doris Fit­schen, längst eine der Kor­sett­stangen des Natio­nal­teams.

Heidi war eine abso­lute Instinkt­fuß­bal­lerin“, urteilt Gero Bisanz. Selbst ihre Mit­spie­le­rinnen haben manchmal nicht begriffen, was sie auf dem Platz anstellte. Aber sie hat eigent­lich immer die rich­tigen Ent­schei­dungen getroffen.“ Trotz ihres Stel­len­werts im deut­schen Frau­en­fuß­ball gab sich Mohr stets bescheiden. Ihre Per­sön­lich­keit sei vom Erfolg unbe­rührt geblieben, erzählt Franz-Josef Schalk, der sie als Vor­stand ihres Ver­eins TuS Nie­der­kir­chen die meiste Zeit ihrer Lauf­bahn begleitet hat: Sie ist immer ›die Heidi‹ geblieben, abge­hoben ist sie nie. Ihre Ver­trags­ver­län­ge­rungen fanden inner­halb von zehn Minuten in meinem Wohn­zimmer statt.“ Wäh­rend Heidi Mohr auf dem Rasen mit schnellen Dribb­lings und tollen Toren die Auf­merk­sam­keit auf sich lenkte, ver­suchte sie ihr abseits des Platzes zu ent­gehen. Sie erschien unnahbar, doch wer wie Natio­nal­coach Bisanz län­gere Zeit mit ihr zu tun hatte, lernte eine andere Seite ihrer Per­sön­lich­keit kennen: Anfangs hatte ich ein biss­chen Abstand zu ihr, weil ich nicht wusste, wie man mit Heidi umgehen kann. Sie war eine Indi­vi­dua­listin. In vielen Gesprä­chen habe ich sie aber schätzen gelernt. Sie hatte immer einen Flachs auf der Zunge, und so etwas braucht eine Mann­schaft. Ich habe sie nicht nur wegen ihrer Tore geschätzt, son­dern auch, weil sie ein ange­nehmer Mensch war.“

Nach einem fünften Platz bei den Olym­pi­schen Spielen 1996 been­dete Heidi Mohr ihre bei­spiel­lose Kar­riere im Natio­nal­team. Ganz im Stillen, wie man es von ihr gewohnt war. Ihre Leis­tung sollte des­halb aber nie­mand unter­schätzen. Mit ihren Toren hat Mohr nicht nur eine Viel­zahl von Titeln gewonnen, son­dern vor allem auch die Ent­wick­lung des Frau­en­fuß­balls vor­an­ge­trieben, der sich heute einer ungleich grö­ßeren Beliebt­heit erfreut als noch vor 15 oder 20 Jahren. Dass 2011 eine Frau­en­fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft in Deutsch­land statt­findet, die zum gesell­schaft­li­chen Ereignis werden wird, das ist nicht zuletzt einer Pio­nierin wie Heidi Mohr zu ver­danken.