Jahrelang herrschte Zlatan Ibrahimovic im Nationalteam wie ein Diktator. Niemand muckte auf. Erst nach seinem Rücktritt brechen einige Schweden ihr Schweigen.
Eigentlich will Schwedens Rekord-Internationaler nur einen lockeren Vortrag halten – über seine Zeit im Nationalteam und so. Im Saal sitzen 50 Zuhörer und ein Lokalreporter, irgendwo in der schwedischen Provinz. Keine große Sache eigentlich. Doch plötzlich packt es Anders Svensson, und Anders Svensson packt aus. Als er fertig ist, steht einer völlig entblößt da – Zlatan Ibrahimovic! Svenssons Publikum weiß nun: Schwedens Super-Superstar regierte das Nationalteam bis zu seinem Rücktritt im Sommer 2016 wie ein nordkoreanischer Despot.
Fassunglose Blicke im Raum
Im Prinzip sei es so mit Ibrahimovic: „Er kann so nett sein wie nur irgend jemand und sich mit dir über deine Kinder unterhalten, um sich in der nächsten Sekunde aufzuführen wie ein kompletter Idiot“, verrät Svensson (148 Länderspiele). Die Zuhörer blicken einander fassungslos an. Der Vortragende, bereits 2013 aus Schwedens Nationalteam zurückgetreten, berichtet unbeirrt weiter: „Mitunter benahm er sich so besorgniserregend schlecht gegenüber einigen Spielern, dass man sich fragte, was da eigentlich gerade passierte.“
Ibrahimovic‘ Auftritte im Innern der Mannschaft scheinen Anders Svensson bis heute gewaltige Rätsel aufzugeben: „Ich schätze, damit wollte er neue Mitspieler auf die Probe stellen. Es war, als wolle er sie brechen, um zu sehen, wie sie damit klarkamen.“ Und noch eine Vermutung stellt der frühere Mittelfeldspieler über „Ibra den Schrecklichen“ an: „Vielleicht ist er ja genau durch diese Art des Umgangs so stark geworden wie er es heute ist. Nur: Ich persönlich glaube nicht an dieses Modell.“
Mäjestätsbeleidigung!
Der Lokalreporter im Auditorium fingert aufgeregt nach seinem Handy und benachrichtigt die Redaktion. Hier tut sich etwas Gewaltiges – Majestätsbeleidigung! Noch am selben Tag tobt ein heftiger Sturm durch Schwedens Medienlandschaft. Svensson rudert auf Nachfrage zaghaft zurück. „Kompletter Idiot“ habe er – so zumindest – nie gesagt. Doch der gute Oskar Mörnefält von der Zeitung „Vetlandaposten“ hat Svenssons Vortrag minutiös aufgeschrieben. Tapfer hält der Lokalreporter dagegen: „Ich schwöre bei Gott, dass er all das so gesagt hat. Wort für Wort.“
Langer Einwurf? Zlatan entscheidet!
Svensson ist nicht der erste, der das Schweigen der Schweden bricht. Bereits im vergangenen Sommer hatte Ex-Nationalspieler Kim Källström (34, akutell bei Djurgardens IF unter Vertrag) Bemerkenswertes über Ibrahimovic‘ Gebaren im Nationalteam enthüllt: „Er bestimmte über sich selbst, über die Mannschaft, über die Mannschaftsleitung und über den Verband. Er ging immer vor. Wenn ich im Spiel mal einen weiten Einwurf machen wollte, musste ich zuerst Blickkontakt mit ihm aufnehmen, um zu sehen, was er davon hielt.“
Für Källström hat Ibrahimovic – neben seinen fußballerischen Vorzügen – vor allem eine Stärke: „Er beherrscht das Spiel mit der Macht.“
Manchmal, so wird erzählt, passte Ibrahimovic die Nase eines Nationalteam-Neulings nicht. Ein solcher Spieler hatte Pech – und wurde anschließend nie wieder nominiert. Dagegen klingt das, was Sebastian Larsson (AFC Sunderland) unlängst zum Besten gab, schrecklich harmlos: „Wenn Zlatan in der Kabine das Wort ergriff, dann hörten alle sofort auf zu sprechen. Manchmal bekam man dann als Mitspieler – nun ja – die Haare geföhnt, wenn ich das so sagen darf.“
„Whistleblower“ Anders Svensson betont im Laufe seines Vortrags, dass er selbst keinerlei Ärger mit dem fünf Jahre jüngeren Ibrahimovic hatte. „Zwischen mir und ihm gab es nie irgend etwas. Ich glaube, zumindest vor den älteren Spielern hatte er Respekt.“ Vor allem vor Henrik Larsson! Der frühere Weltstar (u.a. Celtic, Barca, ManU) war für Ibrahimovic zeitweise sogar ein Vorbild – ähnliche Biografie inklusive Migrationshintergrund, ähnliche Begabung, ähnlich ausgeprägtes Charisma. Larssons Wort hatte Gewicht, sogar bei Ibrahimovic.
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Doch nach dem Rücktritt von Henrik Larsson im Anschluss an die Weltmeisterschaft 2006 war niemand mehr da, der „Ibra“ die Grenzen aufzeigte. Der einzige, den der 1,95-Meter-Mann noch als annähernd gleichwertig ansah, war Freddie Ljungberg (39, heute Co-Trainer in Wolfsburg). Das Problem: Ljungberg und Ibrahimovic sind seit je her ziemlich beste Feinde. Schon während der WM in Deutschland gab es zwei Lager im schwedischen Team. Auf der einen Seite die Ljungberg-Gang. Auf der anderen Seite die Ibrahimovic-Posse. Larsson war ständiger Vermittler.
„Jeder weiß, dass es diese Spaltung gab“, erzählte Schwedens langjähriger Nationalcoach Lars Lagerbäck kürzlich. „Die beiden Gruppen fanden einfach niemals zueinander. Niemals!“
Entweder du bist für Zlatan oder du bist gegen ihn
Zwar kehrte Henrik Larsson zur EM 2008 für ein paar Spiele zurück ins Nationaltrikot. Doch als er und Ljungberg kurz darauf endgültig abtraten, war der Weg frei für die Alleinherrschaft von Ibrahimovic. Und dessen Machthunger war unstillbar. Wie ein antiker Wikinger-Fürst etablierte der heutige ManUnited-Star sein Regime des Schreckens. Motto: Entweder du bist für Zlatan oder du bist gegen ihn! Die Verantwortlichen im Trainerstab und im Verband ließen ihn gewähren. Wer sich mit Ibrahimovic anlegte, dem ging es wie Karlsson vom Dach: Er flog raus, einfach so.
Anders Svensson, in Schweden gelegentlich als TV-Experte tätig, hatte bereits vor einem Jahr durchblicken lassen, welche Macht Ibrahimovic besitzt – im Verband und in den Medien: „Kritisiere ich zum Beispiel Erik Johansson (schwedischer Innenverteidiger vom FC Kopenhagen; die Redaktion), interessiert das keinen. Aber wenn ich sage, dass Zlatan in der einen oder anderen Situation seinen Job nicht richtig erledigt hat, kommt gleich jemand von den Boulevardzeitungen in die Mixed Zone gelaufen und ruft ihm zu: ‚Anders Svensson hat gesagt …’ Das ist traurig. Ich will Zlatan genau so kritisieren können wie alle anderen auch.“
„Was ist denn nun schon wieder los?“
Kann er aber nicht. Das erfährt Svensson bereits kurz nach dem Ende seines Vortrages. „Was ist denn nun schon wieder los?“, fragt er einen Yellowpress-Reporter aus Stockholm, der ihn dringend am Handy sprechen will. „Darf man denn gar nichts mehr sagen, ohne dass ihr gleich einen riesigen Wirbel macht?“