Welch ein schreckliches Turnier, moniert es durch deutsche Meinungsstücke. Die Kritiker haben offenbar nicht verstanden, worum es bei einer EM geht.
Wenn es nach meiner Oma geht, müssen wir uns um diese EM keine Sorgen machen. Denn „solange wir noch was zu meckern haben“, sagt sie ganz gern, „geht’s uns gut“.
Und es wird gemeckert, was das Empörungs reservoir hergibt. Anfangs konzentrierte sich der deutsche Zorn noch ganz auf die eigene Mannschaft. Das Eröffnungsspiel gegen die Ukraine? Offensiv fahrig, defensiv wacklig. Die Partie gegen die Polen? Ein matter Luftzug sei ein Orkan im Vergleich zu dieser Sturmleistung. Nordirland? Naja, Nordirland. So jedenfalls wird das nichts, raunte sich Fußball-Deutschland zu. Die Mannschaft? Satt. Der Trainer? Ein wirrer Intimbereich-Fetischist ohne vernünftigen Plan. Der WM-Titel? War doch nur Glück.
Kommentarspalten voller Besorgnis pflasterten die Regalmeter: Die Mannschaft entwickle sich nicht weiter, Müller spiele so beliebig wie er heiße und überhaupt würde dieser DFB-Jahrgang einfach nicht prickeln.
Wurden aus Dichtern und Denkern Richter und Henker?
Eine eigenartige Stimmungslage, nach drei ungeschlagenen Vorrunden-Spielen, sieben Punkten und 3:0 Toren. Es ist, als wäre aus dem Land der Dichter und Denker ein Land der Richter und Henker geworden. Hauptsache drauf.
Einmal in Fahrt gekommen, wütete der deutsche Kritikaster-Mob dann auch einfach weiter. Das Teilnehmerfeld? Aufgebläht, verwässert, Albanien. Die Qualität der Spiele? Ach, hör mir auf! Und sonst? Genau!
Klar, die Stimmung auf den Rängen sei teilweise ganz gut. Nette Folklore. Aber darüber solle man doch das Wesentliche nicht aus den gestrengen Augen verlieren. Und so sehen etwa die Kollegen von „Zeit Online“ die Spiele „manchmal nicht mal auf Drittliga-Niveau“ und vermissen „Tempo und Innovation“.
Welch ein erbärmliches Turnier!
ARD-Experte Mehmet Scholl empört sich in die Halbzeit der Partie Wales gegen Nordirland: „Mit unserer Sportart Fußball hat das nichts zu tun. Schlechter geht es nicht.“ Und Volkes Stimme hallt in den sozialen Netzwerken wider: Welch ein erbärmliches Turnier!
Zugegeben, einige Spiele hatten den Überraschungs- und Unterhaltungswert eines Wetterberichts für den Nordpol. Doch so ist das eben. Im Fußball, wie im Leben. Wenn alles immer Gold wäre, was wäre Gold dann noch wert? Und manchmal wiegt die Erinnerung an das Elend auch mehr, als die vermeintliche Schönheit des Augenblicks.
Wir sollten froh sein!
Wer das an Folter gereichende WM-Achtelfinale zwischen der Ukraine und der Schweiz 2006 gesehen hat, weiß, was gemeint ist. Schmerz verbindet.
Und Scheitern ist ein unabdingbarer Bestandteil jeder guten Geschichte. So sollten wir froh sein, dass Spieler ihre Nerven nicht im Griff behalten, dass Schiedsrichter Fehler begehen und manche Partien eben nicht so aussehen, wie es die Hochglanz-Broschüren derjenigen propagieren, die mit dem Fußball hauptsächlich Geld verdienen wollen. Und deren Geschichten so spannend sind wie die Gebrauchsanweisung für ein Buttermesser.