Das Interview des Journalisten Adrian Bechtold mit einem schwulen Fußballprofi im Magazin „fluter“ hat in den letzten Tagen für viel Aufregung gesorgt. Sogar Kanzlerin Merkel meldete sich zwischendurch beschwichtigend zu Wort. Eine erstaunliche Resonanz auf ein, nun ja, erstaunliches Interview, dessen Inhalt und dessen Begleitumstände es sehr zweifelhaft erscheinen lassen, dass dieses Gespräch so stattgefunden hat wie behauptet.
Das ungute Gefühl stellt sich schon beim Setting des Interviews ein, das wie immer in solchen Fällen verlässlich eine Spur zu dramatisch daher kommt. Reicht ja nicht, dass der Spieler anonym bleiben will. Nein, er hat natürlich bis zur letzten Sekunde mit sich gerungen und der Interviewer findet „einen sichtlich überforderten jungen Mann vor, der am liebsten in der nächsten Sekunde wieder gehen würde“. Geschenkt dabei, dass der Autor, selbst 25 Jahre alt, sich in die Altherrenphrase „Junger Mann“ flüchtet, anstatt zumindest das Alter des Spielers anzugeben.
Ein Jahr Recherche, aber wofür?
Um Spannung und Erregungspotential hochzuhalten, muss der Autor anschließend unbedingt klar machen, dass der interviewte Spieler kein Bankdrücker aus dem Reservekader ist, sondern ein echter Star. Bechtold löst das Problem durch die schöne Einleitung: „Du kommst gerade aus einem Interview für einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender…“ Alle Wetter, soll das Volk denken und sich freuen, vielleicht ist es ja sogar ein Nationalspieler!
Zu den Usancen solcher unkoscheren Interviews gehört verlässlich der Hinweis auf jahrelange Recherche als Nachweis unbedingter Seriosität. 2006 verkündete die Redaktion des Fußballmagazins RUND, die damals ebenfalls mit einem schwulen Spieler gesprochen haben wollte, die Titelgeschichte sei das Ergebnis von zwei Jahren Recherche. Adrian Bechtold macht es eine Nummer kleiner und will nur ein Jahr recherchiert haben. Um dann das Ergebnis im „fluter“ zu veröffentlichen?
Ein Interview aus Klischees
Die Geheimnistuerei, die Bechtold rund um das Interview inszeniert („Niemand darf von diesem Treffen wissen, denn ihn gibt es nicht“) und die dazu führt, dass nicht einmal die fluter-Redaktion den Namen des Spielers erfahren darf, wird anschließend durch Äußerungen des Spielers vollständig konterkariert. Denn offenbar weiß die Mannschaft, in der er spielt, längst ausreichend Bescheid über seine Homosexualität. Anders sind Äußerungen wie „Es gibt sogar manche, die mit großem Interesse nachfragen“ und „Natürlich sind einige Situationen wie das Duschen am Anfang für beide Seiten unangenehm“ und „Ich habe aber kein Interesse an den Mitspielern und irgendwann ist es für alle Seiten egal“ nicht zu interpretieren. Ein offenkundiger, eklatanter Widerspruch, der noch dadurch verstärkt wird, dass Bechtold den Spieler zuvor klagen lässt „den heterosexuellen Vorzeigespieler“ geben zu müssen. Mehr noch: „Ich muss täglich den Schauspieler geben und mich selbst verleugnen.“ Das passt alles hinten und vorne nicht zusammen.
Wie überhaupt das Interview ausnahmslos aus Klischees besteht, die man von einem Gespräch mit einem schwulen Fußballer erwartet. Der Hinweis auf das monatelange Versteckspiel. Die männlichen Rituale des Fußballs. Die Freundin, die sich als Spielerfrau ausgibt. Und, ohne diese Fallhöhe geht es ja nicht, der Verweis auf die Gefahr für Leib und Leben im Falle einer Enttarnung: „Ich wäre nicht mehr sicher, wenn meine Sexualität an die Öffentlichkeit käme“. Was ganz ähnlich klingt wie der schwule Profi in der RUND-Geschichte, der sich damals nur ein wenig kürzer fasste: „Ein Outing wäre mein Tod!“
Wohl gemerkt, es geht hier nicht darum, die seelischen Nöte homosexueller Fußballer kleinzureden. Aber angesichts der zahllosen, wirr aneinander gestoppelten und sich gegenseitig widersprechenden Aussagen entsteht nahezu zwangsläufig der Eindruck, dass hier gar kein Gespräch stattgefunden hat. Nur einige Beispiele: Mal sind es die Medien, mal der vermeintlich enthemmte Mob in den Stadien, der ihm Todesangst einjagt. Mal sagt er: „Es gibt keine Lösung“, um dann durchaus frohgemut anzukündigen: „Wir können in einem Jahr wieder sprechen und dann kann ich vielleicht meinen Namen unter das Gesagte setzen.“ Mal spricht er reflektiert, mal drischt er das übliche Fußballerlatein: „Die Fans sind einfach der unverzichtbare Motor, der auch mich jeden Spieltag antreibt“.
Es verstärkt dann nur noch das Misstrauen, dass sich Autor und Redaktion genötigt sahen, einen Satz des Spielers nach Veröffentlichung zu korrigieren. Aus „Gesprochen wird kaum darüber, aber trotzdem weiß jeder Bescheid“ wurde „Gesprochen wird kaum darüber, aber eigentlich müsste jeder Bescheid wissen“. Es war wohl aufgefallen, dass ersterer Satz die ganze Geheimniskrämerei des Autors ad absurdum führte.
„Vollständige Transparenz“ – Man wäre schon mit weniger zufrieden
Überhaupt die Redaktion: In einer Fußnote unter dem Text verkündet die fluter-Mannschaft, es liege „eine Bestätigung des Autors darüber vor, dass das Interview tatsächlich stattgefunden hat“. Was nahelegt, das weder die „Fluter“-Redaktion noch die Verantwortlichen in der „Bundeszentrale für politische Bildung“ den Namen des Profis kennen. Was wiederum im Widerspruch zur Aussage Bechtoldts in der „Süddeutschen Zeitung“ steht, es sei „ein kleiner Kreis von Personen“ eingeweiht.
Wenn aber außer Bechtold niemand den Namen kennt, hat die Redaktion fahrlässig gehandelt. Angesichts der Brisanz des Themas hätte sie darauf bestehen müssen, dass der Autor ihr vertraulich den Namen des Profis nennt. Dies vor angesichts der Tatsache, dass die Redaktion extra hervorhebt, schon „längere Zeit und vertrauensvoll“ mit dem Autor zusammenzuarbeiten. Wobei auch das in Frage zu stellen ist: Das Online-Archiv des „fluter“ verzeichnet inklusive des hier thematisierten Interviews überschaubare fünf Artikel aus der Feder von Bechtold, einer davon ist zudem kein Text, sondern ein PR-Film für einen Kongress der Bundeszentrale.
Vor diesem Hintergrund hätte der Autor die Redaktion in Kenntnis setzen müssen. Und im Falle einer Weigerung hätte die Redaktion den Abdruck des Interviews unbedingt verweigern müssen. Stattdessen hat man sich für eine Veröffentlichung entschieden.
Adrian Bechtold kann sich derweil inmitten des Trubels hoffentlich auch um seine anderen Aktivitäten kümmern. Der Journalist firmiert im Netzwerk XING als CEO der Firma „sixmates“, die neben dem etwas nebulösen „Personalmarketing“ auch „Krisenkommunikation“ anbietet. Dem Unternehmen, so heißt es dort, gehe es dabei um „vollständige Transparenz“. Man wäre in diesem Falle schon mit weniger zufrieden.