Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm sind die prägenden Figuren im deutschen Fußball. Doch jeder fängt einmal klein an. Heute vor zehn Jahren feierten die beiden Führungsspieler ihr Profidebüt im Trikot des FC Bayern. Zwei Premieren, die den FC Bayern bis heute nachhaltig begleiten. Erinnerungen.
In der einen Hand hielt er einen Keks, eine Banane in der anderen. Es war nach 23 Uhr, und der 18-jährige Jungspund, der gerade noch auf dem Platz des Olympiastadions für Furore gesorgt hatte, war dabei, sich ohne großes Aufsehen aus dem Staub zu machen. Heutzutage würde Bastian Schweinsteiger nicht mehr im Traum daran denken, dem Interviewmarathon nach einem Champions-League-Spiel zu entfliehen – es würde ja ohnehin nichts bringen. Vor zehn Jahren hieß Schweinsteiger im Volksmund aber noch nicht „Schweini“, er war kein Nationalspieler, keine Führungskraft im bayerischen Starensemble. Er war Amateurspieler, ein Nachwuchskicker am Fuße einer Karriere, deren Verlauf noch in den Sternen stand. Er hatte soeben – gemeinsam mit Philipp Lahm – in der Partie gegen den RC Lens am 13. November 2002 sein erstes Pflichtspiel für den FC Bayern München bestritten.
Ein bubenhafter Flügelflitzer
Den meisten Reportern fiel der junge Mann im Trainingsanzug noch nicht einmal auf, während sie sich um kurze Statements von Salihamidzic, Lizarazu, Elber rissen. Dann allerdings, als Schweinsteiger fast schon durchgehuscht schien, erinnerte sich doch noch ein Journalist an den forschen Auftritt des bubenhaften Flügelflitzers. Und so gab Bastian Schweinsteiger nach seinem ersten Profispiel für den FC Bayern München auch noch seine ersten Interviews.
Den ersten Kontakt zur Presse, ließ Schweinsteiger durchklingen, hatte er bereits vor dem Spiel gehabt. Schließlich war es ein Lokalreporter gewesen, der ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld ihn in den Kader für das Spiel gegen die Franzosen berufen wird. „Ich hab‘ erst gedacht, der will mich verarschen“, sei ihm da durch den Kopf gegangen, entgegnete Schweinsteiger. „Aber dann hat auch schon der Gerland angerufen.“ Der Gerland, der Hermann, damals Amateurcoach, heute Co-Trainer bei den Profis, hatte nicht nur bei Schweinsteiger durchgeklingelt. Auch bei Lahm war ein Anruf eingegangen, er wurde gegen die Franzosen in der Nachspielzeit eingewechselt. Schweinsteiger durfte 17 Minuten lang ran. Dass mit den Kurzeinsätzen zweier 18- beziehungsweise 19-jähriger Nobodoys beim FC Bayern eine neue Ära beginnen würde, die auch noch zehn Jahre danach noch lange nicht abgeschlossen ist, ahnte niemand.
»>Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm: Die ersten Bilder ihrer Karrieren in der Galerie«<
Das Champions-League-Spiel gegen den RC Lens am sechsten Spieltag der Vorrunde 2002/03 erweckte sportlich gesehen kaum noch Interesse. Dafür hatte der FC Bayern in den vorangegangenen Wochen mit katastrophalen Leistungen gesorgt. Der deutsche Rekordmeister, Champions-League-Sieger 2001, hatte in den ersten fünf Gruppenspielen gerade einmal einen mickrigen Zähler eingefahren. Niemals zuvor oder danach hat der FC Bayern in Europas Königsklasse so schwach ausgesehen. Die Münchener gingen im Jahr 2002 gar als das schlechteste deutsche Team aller Zeiten in die Champions-League-Geschichte ein. Was bei dem ein oder anderen Nicht-Bayern-Freund freilich Schadenfreude auslöste, schließlich hatte Karl-Heinz Rummenigge zu Saisonbeginn noch getönt, der FC Bayern gehe mit dem „besten Kader aller Zeiten“ in die Spielzeit. Aufgrund der neuen hellen Auswärtstrikot war gar vom „weißen Ballett“ die Rede gewesen.
Dieser Glanz war verschwunden, als sich gerade einmal 22.000 Zuschauer zum Spiel um die Ananas gegen den französischen Vizemeister im Olympiastadion einfanden. Die Unverwüstlichen auf den Rängen mussten dem Geschehen unten im weiten Rund schon mit Galgenhumor begegnen, sonst wären sie wahrscheinlich schon beim Einmarsch der Teams vor Scham unter ihren Sitzschalen versunken. Statt sich musikalisch ob des anstehenden Abgesangs zurückzuhalten, hatte der Tonmanager eine ganz besondere Scheibe in den CD-Player gelegt: Tina Turner, „Simply the best“. Naja. Das Spiel lief so bescheiden wie die gesamte europäische Saison: Vorne forsch mit zwei Toren zum 2:0. Hinten mit riesigen Lücken und Gegentreffern zum 2:2. Es war kalt. Die Zuschauer sehnten dem Schlusspfiff entgegen.
Rigobert Song sah nur seine Hacken
Dann kam Bastian Schweinsteiger. In der 76. Minute eingewechselt, wirbelte der 18 Jahre junge Unbekannte auf der rechten Seite entlang, als wollte er sich auf ewig in der Münchener Stammelf festspielen. Rigobert Song sah drei Minuten vor dem Schlusspfiff nur die Hacken des Blondschopfs, der sich geschickt am Abwehrchef der kamerunischen Nationalelf vorbeigewuselt hatte und den Ball anschließend auf Giovane Elber zirkelte. Dessen Kopfball ging an die Latte. Markus Feulner staubte ab. 3:2. Dass Lens in der Nachspielzeit noch zum Ausgleich kam, interessierte die Bayern-Fans später wenig. Sie fragten sich: Wer ist dieser junge Mann auf der Außenbahn?
Der „kicker“ nannte Schweinsteiger am Tag nach seiner Premiere „Sebastian“. Ein Fehler. Bastian wäre richtig gewesen. Die falsche Namensgebung begleitete Schweinsteiger über Wochen. Erst als er seinen Bekanntheitsgrad gesteigert hatte, wurde die unnötige Silbe in der öffentlichen Wahrnehmung allmählich getilgt. Ein Reporter fragte bei Schweinsteiger nach, der Aufklärungsarbeit betrieb. Gestatten, Bastian. Philipp Lahms Namen schrieben die Zeitungen bereits am Tag nach dessen ersten Einsatz richtig, auch wenn der kleine Außenverteidiger bei seiner knapp bemessenen Einsatzzeit (eingewechselt für Feulner, 90.+2) keine Flanke mehr geschlagen hatte. Dass sich aus dem Trio Schweinsteiger, Lahm und auch Feulner ein Spieler dauerhaft oben würde festsetzen können, erschien zunächst freilich unwahrscheinlich.
Die Bayern hatten vor der Saison 2002/03 kräftig investiert und so insbesondere auf den Abgang Stefan Effenbergs, der eine kurze und überaus erfolgreiche Münchener Ära geprägt hatte, reagiert. Nicht nur Michael Ballack war nach seiner starken WM in Japan und Südkorea an die Isar gewechselt, auch Sebastian Deisler, der designierte Retter des deutschen Fußballs, stand seit Juli an der Säbener Straße unter Vertrag, fehlte aber noch verletzt. Zudem verstärkte Zé Roberto den Kader des Rekordmeisters. Der neue Starauflauf im ohnehin mit Stars aufgeblähten Bayern-Kosmos gefiel Franz Beckenbauer allerdings nur bedingt. Er wies wenige Wochen vor Schweinsteigers und Lahms Debüt darauf hin, dass es dem FC Bayern bei aller Liebe zu Startransfers seit Jahren nicht mehr gelungen war, eigene Nachwuchskräfte im Profikader zu etablieren. Er lag mit dieser Einschätzung nicht vollkommen daneben. Außer Owen Hargreaves, Samuel Kuffour und Markus Feulner standen zu Beginn der Saison 2002/03 keine Eigengewächse im Kader von Ottmar Hitzfeld. Und über Feulner sagte Hitzfeld nach dem Lens-Spiel kühl unterlegt: „Er hat sich international durchsetzen können, muss jetzt aber im Amateurbereich Zeichen setzen.“
Was aus lokalpatriotischer Sicht in diesen Tagen schwer wog: Ein bayerischer Bub hatte den dauerhaften Sprung nach oben seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr geschafft. Als der FC Bayern am vierten Spieltag auf 1860 München getroffen war, hatte nur ein gebürtiger Bayer auf dem Platz gestanden – Benjamin Lauth im Trikot der Blauen. Es war auch diese Aufstellung gewesen, die Beckenbauer dazu bewogen hatte, den mahnenden Zeigefinger zu heben.
»>Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm: Die ersten Bilder ihrer Karrieren in der Galerie«<
Die ersten Einsätze Schweinsteigers (geboren in Kolbermoor, Oberbayern) und Lahms (geboren in München) stehen in der Retrospektive beim FC Bayern für einen Wendepunkt. Mit Hermann Gerland hatten die Münchener bereits 2001 jenen Mann zurück ins Funktionsteam geholt, der schon in den Neunzigern viele Talente für größere Aufgaben in der Bundesliga aufgebaut hatte. Markus Feulner war der Erste, der davon profitierte. Er kam bereits 2001 zu seinem ersten Einsatz in der Champions League, konnte sich auf Dauer jedoch nicht durchsetzen. Bastian Schweinsteiger hingegen schon. Er debütierte nur wenige Wochen nach seinem Champions-League-Debüt auch in der Bundesliga, eine Saison später war er Stammspieler und fuhr im Sommer 2004 mit zur EM. Philipp Lahm nahm ebenfalls eine rasante Entwicklung, auch wenn er dafür einen Umweg über den VfB Stuttgart ging. Nach zwei Jahren als Stammspieler im Schwabenland und einer EM als konkurrenzloser Außenverteidiger kehrte Lahm 2005 als Hoffnungsträger nach München zurück. Mittlerweile hatten Piotr Trochowski, Michael Rensing, Christian Lell, Zvjezdan Misimovic, Paolo Guerrero und Andreas Ottl im Trikot des FC Bayern debütitert.