Psy­cho­loge eines Ein­tracht-Frank­furt-Fans zu sein, kann so schwer nicht sein. Zumin­dest bei Depres­siven dürfte ein kurzes Video genügen, um die Laune merk­lich zu ver­bes­sern: Jay-Jay Okocha gegen Oliver Kahn, August 1993, dazu Jörg Dah­l­mann kurz vor dem Orgasmus: Ekstase im Wald­sta­dion! Das haben wir seit Libuda nicht mehr erlebt!“

Das ist natür­lich völ­liger Quatsch. Richtig aber ist, dass selbst hart gesot­tene Pan­zer­schränke mit aus­ge­prägten Wald- und Wie­sen­hobbys baby­zarte Gesichts­züge bekommen, wenn es um Jay Jay und Kahn und Dah­l­mann geht. Jenes fern-von-gut-und-böse-Dribb­ling gegen den spä­teren Welt­tor­hüter ver­dichtet die unstill­bare Frank­furter Sehn­sucht nach Hurra-Fuß­ball auf einen beson­deren Moment. Denn es ist ja kein Geheimnis, wonach das Frank­furter-Fuß­ball­herz begehrt: Künstler, Aus­nah­me­könner, von Talent über­häufte Zau­ber­füßler, die nur einmal richtig mit dem Hin­tern wackeln müssen, um ein Spiel zu ent­scheiden. Auf Schalke ver­ehren sie den Gras­fresser Jiri Nemec, in Ham­burg den unver­wüst­li­chen Uwe Seeler – bei der Ein­tracht denken sie an Jürgen Gra­bowski, Uwe Bein oder Jay-Jay Okocha.

Viele Jahre, viel zu viele Jahre, haben sie in Frank­furt den guten alten Zeiten hin­terher weinen müssen, sie haben Jörg Dah­l­mann krei­schen hören („Sollen sie mich raus­schmeißen!“), wäh­rend die aktu­elle Mann­schaft zwi­schen erster und zweiter Liga hin und her pen­delte wie ein ange­schla­gener Boxer. Sie haben sich von der Natio­na­lität (Bra­si­lien!) und den beein­dru­ckenden Video­schnip­seln eines Fuß­bal­lers namens Caio blenden lassen und dann bald fest­stellen müssen, dass der so wenig mit Grabi, Uwe und Jay Jay zu tun hat wie Armin Veh mit Eddie Murphy. Sie haben das gewusst – und trotzdem voller Vor­freude gejuchzt, wenn sich Caio zehn Minuten vor dem Schluss­pfiff an der Sei­ten­linie auf­ge­wärmt hat. Die Hoff­nung auf die Rück­kehr der großen Künstler ins Wald­sta­dion hat nie auf­ge­hört.

Und jetzt? Jetzt sind zwar erst vier Spiel­tage gespielt, aber die Ein­tracht hat alle Spiele gewonnen und führt gemeinsam mit dem FC Bayern die Tabelle an. Jetzt emp­fängt die Ein­tracht den Deut­schen Meister aus Dort­mund und darf sich zumin­dest vor dem Anpfiff eben­bürtig fühlen. Jetzt hat die Mann­schaft mit ihren vier gewon­nenen Sai­son­spielen schon mehr Glücks­hor­mone bei den Fans aus­ge­löst, als in den ver­gan­genen zehn Jahren zusammen. Jetzt hat Ein­tracht Frank­furt end­lich wieder einen Künstler.

Jetzt hat die Ein­tracht Takashi Inui.

Zuge­geben: Ganz schön viel Trom­mel­wirbel für einen, der erst vier Spiele für Ein­tracht Frank­furt absol­viert und dabei zwei Tore geschossen hat. Aber viel wich­tiger als Inuis Leis­tungs­daten ist das Gefühl, dass er den Zuschauern ver­mit­telt: End­lich mal wieder ein Spieler mit dem Adler auf der Brust, der mit einer Kör­per­täu­schung die kom­plette geg­ne­ri­sche Ver­tei­di­gung über­töl­pelt, end­lich mal wieder ein Spieler, der sich aus der grauen Masse der Arbeits­pferde und Dau­er­sprinter her­aus­hebt, end­lich mal wieder ein Spieler, der Tore schießt, die den Arbeits­platz von Jörg Dah­l­mann gefährden könnten.

Inui ist nicht der ein­zige Spieler von Ein­tracht Frank­furt, den die Welle der Anfangs­eu­phorie in ein bis­lang uner­reichtes Level der eigenen Fähig­keiten gespült hat. Wäre die Saison morgen vorbei, wären Tor­wart Kevin Trapp und Mit­tel­feld­mann Sebas­tian Rode wohl Natio­nal­spieler. Aber der Japaner, vor der Saison vom VfL Bochum nach Frank­furt gewech­selt, ist unver­kennbar der Künstler dieser Mann­schaft, der Mann, der mit einem Pin­sel­strich aus einem guten Bild ein fan­tas­ti­sches Gemälde zau­bern kann. Solche Fähig­keiten besitzen nicht viele Fuß­baller und schon allein des­halb sind sie in Frank­furt so von den Socken: Dass solch eine Sel­ten­heit für ihren Klub spielt und nicht für Schalke, Bremen oder Lever­kusen. Trainer Armin Veh, sonst so down to earth“ wie ein Per­ser­tep­pich, hat es nach dem ersten Tor seines Neu­zu­gangs gegen den Ham­burger SV auf den Punkt gebracht, als er dessen 1:0 mit den Worten kom­men­tierte: So etwas habe ich noch nicht gesehen. Ich kenne keinen Spieler, der einen Ball in der Luft direkt auf dem Spann so annehmen kann.“ Für Vehs Ver­hält­nisse glich das einer don­nernden Lobes­hymne auf einer extra dafür ein­be­ru­fenen Pres­se­kon­fe­renz.

Heute, gegen Borussia Dort­mund, kann sich Takashi Inui wei­tere Schul­ter­klopfer seines Trai­ners ver­dienen. Er trägt jetzt die Sehn­sucht nach dem schönen Spiel eines ganzes Sta­dions auf den Schul­tern, das kann einen Künstler auch aus dem Kon­zept bringen. Der Grabi, der Uwe und der Jay-Jay sind ja des­halb zu Ikonen des Wald­sta­dions auf­ge­stiegen, weil sie über Monate und Jahre hinweg begeis­terten. Das sind die Meister, an denen sich der kleine Japaner messen lassen muss, in Frank­furt führt für Spieler wie ihn kein Weg daran vorbei. Ein­tags­fliegen, so begeis­ternd sie auch waren, hat der Fuß­ball schon immer schnell ver­gessen.