Paul McGrath ist eine irische Fußballlegende und wird im Stadion von Aston Villa noch heute besungen. Abseits des Fußballplatzes aber war und ist der Verteidiger ein verletzlicher, alkoholkranker Mensch, der mehr als nur einmal am Rande des Abgrunds stand.
Beinahe endet diese Geschichte, noch bevor sie richtig anfängt. Im November 1989 hockt Paul McGrath auf der Kante seines Bettes, betrunken, depressiv, seine vier Söhne sind im Haus, einer davon, vierjährig, sitzt bei McGrath im Zimmer. Der kantige Abwehrspieler, den sie einige Jahre später bei Aston Villa „God“ nennen werden, setzt das Messer an und schneidet sich die Pulsadern auf. „Ein Hilferuf“, sagt er Jahrzehnte später, und dass er sich an Blut erinnere und die Schreie des Au-Pair-Mädchens, das ihn findet und den Krankenwagen ruft. Wenige Tage später, am 5.November, steht Paul McGrath auf dem Fußballplatz und spielt, als würden Messer und Pulsadern und Hilferufe gar nicht existieren. Die Villans gewinnen mit 6:2 gegen den FC Everton, angeführt von ihrem überragenden Verteidiger. Der „Big Man“, wie ihn die Mitspieler nennen, trägt an diesem Tag zwei Schweißbänder um die Handgelenke, um die frischen Narben zu verbergen. Am Ende der Saison verpasst Villa den Meistertitel nur knapp. Paul McGrath wird von den Fans zu „Aston Villa’s Player of the Year“ gewählt. Von dem Messer wissen sie nichts. Von den Drinks auch nicht.
„Die Probleme gab es nur neben dem Platz“
Alex Ferguson schon. McGrath ist 1989 bereits ein gestandener Spieler. Er ist 29, hat 163 Spiele für Manchester United auf dem Buckel und ist fester Bestandteil der irischen Nationalelf, beliebt bei Fans und Mitspielern. Zwar ahnen einige Kollegen die privaten Probleme, die Ruhe und das Selbstvertrauen aber, mit denen McGrath auf dem Platz auftritt, verwässern die Bedenken. Wenn jemand so solide spielt, der berüchtigte Fels in der Brandung ist, wie schlecht kann es dann schon um ihn stehen? Ein Trugschluss. Trikot, Hose und Stutzen zieht sich McGrath über wie einen Panzer. Abseits des Feldes ist er nackt, bei öffentlichen Situationen fast panisch unsicher. „Auf dem Platz habe ich mich immer wohlgefühlt. Dort wollte ich glänzen. Die Probleme gab es nur neben dem Platz.“
Bald aber greifen die Probleme neben dem Platz auch in sein Leben als Profifußballer. Die Jahre nach Fergusons Übernahme von United 1986 verbringt McGrath zusehends in der Reha. Knieprobleme erzwingen immer längere Pausen, mit seinem Kumpel und Mitspieler Norman Whiteside, ebenfalls oft verletzt, schuftet er vormittags an den Geräten, doch was dann? Nicht selten finden sich die beiden schon mittags auf den Barhockern der umliegenden Pubs wieder. Betrunken ist McGrath seine steten Selbstzweifel, seine chronische Unsicherheit los. Im Gegenzug liegen ihm die Zügel seines Lebens immer loser in den Händen. Die Ehe droht zu scheitern, hinzu kommen die Belastungen durch die ständigen Kniebeschwerden. Manchmal hat McGrath bereits vor Anpfiff ein paar Drinks intus. Im Spiel dann, in den direkten Duellen, die er als Abwehrspieler ausficht, hält er den Mund geschlossen, damit die Stürmer seine Fahne nicht riechen.
Und trotzdem ragt McGrath heraus. Er ist ein verlässlicher, mitspielender Verteidiger, der der Mannschaft Sicherheit gibt, aber gleichzeitig ist er mehr als das. Er hat eine Eleganz in seinem Spiel, die man in der raubeinigen Verteidigerschule des englischen Fußballs ansonsten nicht findet. Er spielt brenzlige Bälle mit der Hacke zum Torwart zurück, überlupft seine Gegenspieler und hat ein Spielverständnis, das ihn wie ferngesteuert immer zur rechten Zeit am rechten Ort sein lässt. „Er spielt Fußball, als hätte er einen Smoking an und ein Weinglas in der Hand“, beschreibt der „Daily Telegraph“ seinen Stil. Oder wie es sein Mitspieler bei Aston Villa, Shaun Teale ausdrückt: „Paul war ein Weltklassespieler, das war mir bewusst. Das war uns allen bewusst.“
Auch Alex Ferguson. Trotzdem muss McGrath nach drei Jahren unter Sir Alex gehen. Die Aussetzer neben dem Platz nehmen überhand, der unter Vorgänger Ron Atkinson noch geduldeten (und im englischen Fußball der Achtziger ohnehin durchaus verbreiteten) Saufkultur tritt der knorrige Schotte kompromisslos entgegen. Er wolle aus dem „Drinking Club“, den er übernommen hatte, endlich einen „Football Club“ machen, lässt er wissen. McGrath, der mehr Zeit bei Standpauken in Fergusons Büro verbringt als auf dem Trainingsplatz, wird im Sommer 1989 nach Aston Villa abgeschoben. Weit unter seinem Marktwert für 400.000 Pfund.
Er hat kein Bier mehr. Also füllt er ein Glas mit „Domestos“
Für Aston Villa ist der Transfer ein Glücksfall, den sensiblen Verteidiger aber bringt der Wechsel an den Rand der Bettkante, an den Rand seines Lebens. Die Eheprobleme nehmen zu, zudem erkennen die Verantwortlichen McGraths Krankheit, weshalb auch sportlich Probleme drohen. Der Suff ist hier bereits steter Begleiter geworden und wird es bleiben. Noch drei weitere Male versucht McGrath, sich das Leben zu nehmen, irgendwann verschwimmen die Grenzen zwischen Suff und Suizidversuch. Weil nichts anderes mehr im Haus ist, trinkt McGrath verzweifelt ein Pintglas voll mit dem Reinigungsmittel „Domestos“ und wartet. Auf den Rausch, auf den Tod, auf irgendwas. Dann wird das Brennen im Brustkorb zu groß und er löscht es mit Wasser, literweise. Er erbricht sich, überlebt und ist wie durch ein Wunder unverletzt. Sein Sohn findet ihn in der Küche.
All diese Abgründe, die Hölle, die sein Leben geworden ist – auf dem Platz sieht man sie nicht. Wegen seiner anhaltenden Knieprobleme kann McGrath unter der Woche zwar kaum noch trainieren, aber in den Spielen ist er wie immer: verlässlich, elegant und nicht selten der beste Mann der Partie. Mit Aston Villa wird er zweimal Vizemeister, zweimal League Cup-Sieger, 1993 wählen ihn die Kollegen zu Englands Fußballer des Jahres. Er nimmt an zwei Weltmeisterschaften teil, beim Turnier in den USA macht er das vielleicht beste Spiel seiner Karriere und bringt Weltstar Roberto Baggio an den Rande der Verzweiflung. Irland gewinnt gegen Italien sensationell mit 1:0. Im Villa Park singen die Fans „Uuh, Aah, Paul McGrath“, ein Chant, den die United-Anhänger bald für den großen Eric Cantona übernehmen. Noch 37-jährig, nun in Diensten von Derby County, führt McGrath sein Team zum Sieg gegen den Titelanwärter Manchester United und wird zum „Man of the Match“ gewählt. Er trinkt immer noch. „Man muss sich die Frage stellen, was Paul für ein Spieler hätte sein können“, sagt sein Ex-Trainer Ferguson anerkennend. Ohne seine kaputten Knie. Ohne die Sucht.
Ohne seine Krankheit. 2006 veröffentlicht McGrath eine schonungslose Autobiografie mit dem Titel „Back from the Brink“, was so viel heißt wie „Zurück vom Abgrund“. Es ist auch eine Suche nach Ursachen. In dem Buch erzählt McGrath davon, wie es ist, von der Mutter zur Adoption freigegeben zu werden, weil sie sich nicht traut, ihrem Vater einen schwarzen Sohn zu präsentieren. Wie es ist, wenn man den Vater nicht kennt, weil der sich aus dem Staub gemacht hat. Wie es ist, als farbiges Kind von einem Dubliner Waisenhaus ins nächste abgeschoben zu werden. „Schaut man zurück“, sagte McGrath einmal, „gibt es sicherlich Gründe für meine Probleme.“
In Irland und England ist McGrath zur Legende geworden, trotz oder gerade wegen seiner Fehlbarkeit, wegen seiner Probleme und seinem scheuen, fragilen Wesen. Freilich ohne dass ihn sein Legendenstatus davor schützte, ein zerbrechlicher Mensch zu sein. In Aston Villa verkaufen sie immer noch Trikots mit seinem Namen, singen „Paul McGrath my Lord“ zur Melodie von Kumbaya und nennen ihn Gott. In Irland wurde sein Konterfei einst auf eine Briefmarke gedruckt, sein Buch war in England und Irland ein vielfach ausgezeichneter Bestseller. Er selber scheut die Öffentlichkeit, so wie er das immer tat. Außerhalb seiner fußballerischen Heimat hat er nie den Status erreicht, zu dem ihm sein Talent unter anderen Voraussetzungen vielleicht hätte verhelfen können, aber wen kümmert das schon, wenn man trotzdem geliebt wird, mit all seinen Problemen. Wenn man vier Selbstmordversuche überlebt hat, von denen sicherlich nicht alle bloß Hilferufe waren. Wenn der Sohn sagt: „Es ist immer noch ein sehr, sehr stolzes Gefühl, mit ihm die Straße entlangzugehen.“
Immer wieder Rückfälle
Der Kampf gegen die Krankheit geht allerdings immer weiter. „Ich weiß nicht, ob ich meinen letzten Drink schon hatte“, zweifelte McGrath schon 2006 in einem Interview anlässlich des Erscheinens seines Buches. Es war die dunkle Vorahnung von einem, der weiß, wie schwer und manchmal unbesiegbar der Alkohol scheint. Es wurde ruhiger um ihn, aber ab und an machte McGrath durch Rückfälle von sich Reden. Der letzte passierte erst vor einigen Wochen, als er betrunken wegen Störung der öffentlichen Ordnung verhaftet wurde. Es war eine panische Reaktion auf einen öffentlichen Auftritt, zwei, drei Pints zum locker werden, die in ein Saufgelage ausarteten und ihn schließlich vor den Richter führten. Der Abgrund, so scheint es, ist immer noch überall und nie wirklich weit weg.