Dieser Text erschien erst­mals in 11FREUNDE #123 anläss­lich des 70. Geburtstag von Sir Alex Fer­guson. Die Aus­gabe ist hier im Shop erhält­lich.

Die ent­schei­denden drei Minuten seiner Kar­riere erlebte Alex Fer­guson an einem späten Abend im Mai in Bar­ce­lona, als die unbe­greif­liche Schluss­phase des Cham­pions-League-Finals zwi­schen Bayern Mün­chen und Man­chester United nicht nur die Anhänger beider Mann­schaften, son­dern auch Fer­guson selbst bei­nahe sprachlos machte. Als ein Fern­seh­re­porter ihn im Augen­blick des Tri­umphs zu fassen bekam, sagte der Trainer jenen Satz, der zu seinem berühm­testen werden sollte: Foot­ball“, sin­nierte er, bloody hell!“ Fuß­ball, ver­dammte Hölle!

Die Anzei­ge­tagel zeigte: noch drei Minuten

Aus Bayern-Sicht war das noch milde aus­ge­drückt. Der deut­sche Meister war durch ein Frei­stoßtor von Mario Basler früh in Füh­rung gegangen, und bis Mitte der zweiten Halb­zeit sah es nie danach aus, als sollte sich das Blatt noch wenden. Mit dem Schachzug, Mehmet Scholl im Mit­tel­feld neben Stefan Effen­berg auf­zu­bieten, schien Ottmar Hitz­feld seinen eng­li­schen Wider­sa­cher aus­ge­trickst zu haben. Scholl schei­terte einmal am Pfosten, Carsten Jan­cker an der Latte und ihre Kol­legen gleich mehr­fach an Man­ches­ters däni­schem Keeper Peter Schmei­chel, der fast im Allein­gang dafür sorgte, dass seine Mann­schaft nach 90 Minuten mit nur einem Tor zurücklag.

Auf der Anzei­ge­tafel, die der vierte Offi­zi­elle hoch­hielt, leuch­tete eine 3“ auf. In der ersten dieser drei Minuten sprin­tete Schmei­chel bei einer Ecke über das gesamte Feld und sorgte für Ver­wir­rung im geg­ne­ri­schen Straf­raum, was der ein­ge­wech­selte Teddy She­ringham zum Aus­gleich nutzte. Ange­sichts der Reak­tion der 50 000 United-Fans hätte man meinen können, Fer­gu­sons Team hätte soeben das Spiel gewonnen. Aber auch die Bayern schienen das Unheil bereits zu ahnen. Kaum hatten sie sich aus ihrer Schock­starre gelöst, zap­pelte der Ball erneut hinter Oliver Kahn im Netz, diesmal hin­ein­ge­sto­chert von Fer­gu­sons zweitem Joker, Ole Gunnar Sol­skjær.

Noch nie hatte ein Finale eine so dra­ma­ti­sche Wen­dung genommen. United-Ver­tei­diger Gary Neville bezeich­nete die Schluss­phase anschlie­ßend als über­na­tür­lich“, und nie­mand mochte ihm wider­spre­chen. Als Fer­guson das Spiel später ana­ly­sierte, hatte er indes eine weitaus nüch­ter­nere Erklä­rung parat: Hitz­feld hätte kei­nes­wegs die bes­sere Taktik gewählt und das Pech gehabt, dass sich Fer­gu­sons pani­sche Aus­wechs­lungen bezahlt machten. Viel­mehr hätten die Bayern nach der Her­aus­nahme von Lothar Mat­thäus buch­stäb­lich ihren Kopf und dadurch Orga­ni­sa­tion und Über­sicht bei der fol­gen­schweren Ecke in der Nach­spiel­zeit ver­loren.

Macht und Kon­trolle“

Genie wird bis­weilen als die unbe­grenzte Bereit­schaft defi­niert, alle Mühen auf sich zu nehmen, und Fer­gu­sons Detail­ver­ses­sen­heit ist wirk­lich legendär. Seit seiner Zeit als Spieler beim schot­ti­schen Klub Dun­ferm­line Ath­letic, der in den Sech­zi­gern beacht­liche Erfolge auf euro­päi­scher Bühne fei­erte, beschäf­tigt Fer­guson sich mit sämt­li­chen Aspekten des Fuß­balls und bedient sich seines außer­or­dent­li­chen, Freunden zufolge foto­gra­fi­schen“ Gedächt­nisses, um Infor­ma­tionen über Spieler, Sys­teme und der­glei­chen zu spei­chern. Doch hinter seinen Erfolgen steckt noch mehr. Seine grim­mige Ent­schlos­sen­heit geht mit einer Per­sön­lich­keit einher, die als die uner­bitt­lichste im bri­ti­schen Fuß­ball gilt – was er selbst kei­nes­wegs leugnet. Im Gegen­teil nennt er Macht und Kon­trolle“ als seine wich­tigsten Werk­zeuge. Und auch mit 70 Jahren macht er kei­nes­wegs den Ein­druck, alters­milde zu werden.

Es sind die immer neuen Her­aus­for­de­rungen seines Jobs, die Fer­guson nach wie vor antreiben. Schon vor der Nie­der­lage im letzt­jäh­rigen Cham­pions-League-Finale gegen den FC Bar­ce­lona – eine Vor­füh­rung, die so man­chen alt­ge­dienten Trainer dazu gebracht hätte, sich zur Ruhe zu setzen – plante er, eine neue, junge Mann­schaft auf­zu­bauen. Ihr Schei­tern in der dies­jäh­rigen Grup­pen­phase wird ihn nur noch mehr moti­vieren. Und auf einmal lohnt es sich sogar, für den Gewinn der Europa League zu kämpfen.

Fer­guson hätte bereits 1999, nach dem bis dahin in Eng­land uner­reichten Triple aus Cham­pions League, Meis­ter­schaft und Pokal, zurück­treten können. Mit dem fünften Pre­mier-League-Titel und nun dem Euro­pa­pokal hatte er es damals einem seiner Vor­gänger im Old Traf­ford, dem legen­dären Matt Busby, gleich­getan und war in die Riege der erfolg­reichsten Trainer auf der Insel auf­ge­stiegen. Er hätte sich auf seinen Lor­beeren inklu­sive Rit­ter­schlag aus­ruhen können, doch das alles kam für Sir Alex nicht in Frage. Nicht, solange es Her­aus­for­derer gab, die Anspruch auf seinen Thron erhoben.