Mit seinem herrlichen Fernschuss hat Dortmunds Sebastian Kehl das Viertelfinale gegen Hoffenheim entschieden. Eine Liebeserklärung.
Stürmer sind deswegen Stürmer geworden, weil sie Tore lieben. Ruud van Nistelrooy, einer der besten Stürmer aller Zeiten, hat das mal recht anschaulich beschrieben. „Das schönste Geräusch überhaupt“, so der Niederländer vor einigen Jahren, „ist dieser Sound, wenn der Ball ins Netz rauscht: Zwosch…!“ Deshalb werden Stürmer zu Stürmern.
Sebastian Kehl, inzwischen 35 Jahre alt, ist defensiver Mittelfeldspieler. Und das schon so lange, dass man sich den deutschen Fußball ohne Sebastian Kehl irgendwo in der Nähe des Mittelkreises gar nicht mehr vorstellen kann. Sein erstes Spiel im DFB-Pokal machte Kehl am 28. August 1998 als Spieler von Hannover 96. Die Niedersachsen verloren mit 0:1 bei Tennis Borussia Berlin. Neben Kehl im Mittelfeld spielte ein gewisser Dieter Hecking. Vielleicht saß Sven Bender, für den Kehl gestern nach 62 Minuten eingewechselt wurde, im Schlafanzug vor dem Fernseher und bettelte seine Mama an, noch etwas länger wach bleiben zu dürfen. Er war damals neun Jahre alt.
Ein Kehl denkt nicht wie ein van Nistelrooy
Auch Bender ist defensiver Mittelfeldspieler. Wie Kehl hat er am liebsten das Spielgeschehen vor sich, seine Mit- und Gegenspieler im Blick. Fußballer denken unterschiedlich. Kehl und Bender denken nicht wie Ruud van Nistelrooy und seine Stürmerkollegen. Das „Zwosch“ finden sie sicherlich ganz nett, aber es nicht der Grund dafür, warum sie auf dieser Position spielen. Sie tun das, weil sie Situationen wie diese lieben:
Im Viertelfinale des DFB-Pokals läuft die 106. Minute. Es steht 2:2 zwischen Borussia Dortmund und der TSG Hoffenheim. Die Beine sind schwer, der Rasen zerwühlt. Ein nächster Angriff über die rechte Seite. Du hast einige Sekunden zuvor einen Zweikampf gewonnen, an den sich nachher niemand erinnert, außer dein Trainer, deine Mitspieler und du selbst. Er hat diesen Angriff eingeleitet. Du verfolgst den Lauf deines Mitspielers an der rechten Außenbahn. Er schlägt eine Flanke für euren Mittelstürmer, der im Geiste schon das „Zwosch“ genießt. Doch der Ball prallt ab und fliegt in hohem Bogen in die Mitte. Genau in diesem Moment tauchst du auf. Denn das ist dein Revier, also ist das jetzt dein Ball. Viele hundert Mal hast du so einen Ball in deiner Karriere schon bekommen. Das fing in der Jugend an, als dir dein Trainer befahl, bei Eckbällen an der Strafraumkante auf Abpraller zu lauern. Schließlich weiß er um deine großartige Schusstechnik. Einen Übersteiger streust du alle Jubeljahre mal ein, aber du definierst deine Technik eh über saubere Pässe, präzise Flanken und knallharte Schüsse. Ein paar Tore hast du so in deiner Laufbahn erzielt, aber es waren wenige und niemand erinnert sich daran, weil solche Tore eben nie auf der ganz großen Bühne gelingen, sondern im Sommertrainingslager gegen die zweite Mannschaft von den Grasshopper Zürich. Meistens hast du diese Bälle eh verzogen, deiner tollen Schusstechnik zum Trotz. Oder der Torwart war rechtzeitig zur Stelle. Oder dein Schuss ging knapp vorbei. Um solche Tore zu schießen, müssen sehr viele Rädchen ineinander greifen.