Er ist einer der Entdeckungen dieser Saison. Bei Mainz 05 zieht Johannes Geis im Mittelfeld die Fäden. Der 20-Jährige besticht durch Weitsicht und Ruhe. Und dirigiert das ganze Team.
Knapp zehn Monate lebt Johannes Geis nun schon in Mainz. Unlängst erklärte der 20-Jährige, er habe noch keine Zeit gehabt, die Partymöglichkeiten der Stadt auszutesten. Zum Einleben brauche er seine Ruhe. Diese hat ihm offenbar gut getan. Sollte Mainz 05 das Heimspiel gegen den Hamburger SV am letzten Spieltag gewinnen, würde der Verein nach drei Jahren sein Comeback im Europapokal feiern. Johannes Geis hätte einen entscheidenden Anteil daran.
Der Mittelfeldspieler gilt als eine der großen Entdeckungen dieser Saison. Mit seinen 20 Jahren ist er der jüngste Akteur im Mainzer Kader, stand trotzdem in 32 Bundesligaspielen auf dem Platz. Häufig rieben sich die Experten verwundert die Augen: Geis, der sich außerhalb des Platzes selber als „ruhigen Typen“ bezeichnet, dirigiert das Team. In dieser Spielzeit gelang ihm endlich der Durchbruch in der ersten Liga.
Wegen Büskens in die Regionalliga
Den wollte er eigentlich schon 2012 schaffen. Bei Aufsteiger Greuther Fürth war er voller Erwartungen aus der eigenen Jugend in den Profi-Kader gerückt. Trainer Mike Büskens fand für den damals noch deutlich defensiver orientierten Mittelfeldspieler jedoch keine Verwendung. Heute blickt Geis achselzuckend darauf zurück. „Er plante ohne mich, also spielte ich in der Regionalliga“, sagte er vor kurzem „Spiegel Online“.
Auf der Zielgeraden der Saison trat er dann doch noch in Erscheinung. Im Abstiegskampf wurde Büskens durch Ludwig Preis ersetzt, bis dahin Trainer der Reserve. Er erinnerte sich sogleich an den Taktgeber aus der Regionalliga und verhalf Geis am 23. Spieltag zum Bundesliga-Debüt.
Den Abstieg konnte der Mittelfeldspieler zwar nicht verhindern, die Aufmerksamkeit zog er trotzdem auf sich. Am 30. Spieltag entschied der Blondschopf das Frankenderby gegen den 1. FC Nürnberg mit einem fulminanten Weitschuss zugunsten der Fürther. Auch deshalb erkor die Vereinsführung ihn aus, den angepeilten Weg der „Kleeblätter“ aus der zweiten Liga zurück ins Oberhaus anzuführen.
„Das wird sehr teuer“
Im Sommer erkundigte sich jedoch der Mainzer Manager Christian Heidel bei Fürth-Präsident Helmut Hack nach Johannes Geis. Heidel erklärte später, Hack habe lediglich geantwortet, das werde „sehr teuer“. Knapp eine Million Euro soll später nach Fürth geflossen sein. Die Investition, die Heidel im Sommer noch als „Risikoverpflichtung“ bezeichnet hatte, hat sich aus Mainzer Sicht längst gelohnt.
Trainer Thomas Tuchel zeigte sich von Anfang an begeistert. Eine Verletzung von Julian Baumgartlinger spülte Geis schon am ersten Spieltag in die Startelf. Mittlerweile schwingt er in der Schaltzentrale, dort wo die Mainzer ihre schnellen Gegenstöße kreieren, das Zepter. Geis ist es, der das Spiel nach eigenem Ballgewinn häufig mit vertikalen und schnellen Zuspielen in die Spitze beschleunigt. Die punktgenauen Flugbälle erinnern an ein bisschen an Bastian Schweinsteiger, sein großes Vorbild. „Ein richtiger Stratege“, schwärmt Geis: „Er hat Übersicht, bringt Ruhe ins Spiel und ist ein toller Leader.“
Diese Beschreibung erinnert an Geis selber. Ähnlich wie Schweinsteiger agiert er oft als eine Art Quarterback. Durchschnittlich hat die Nummer sechs des FSV mit knapp 63 Ballkontakten die meisten pro Spiel, spulte mit 350,5 bisher nach Außenverteidiger Zdenek Pospech die meisten Kilometer ab und war an 135 Torschüssen beteiligt. Ebenfalls Spitzenwert bei den Mainzern.
Im Ligavergleich liegt Geis mit seiner Passquote zwar nur im oberen Mittelfeld, in den Kategorien „angekommene Diagonalpässe“ und „Pässe zu einer Torchance“ rangiert er allerdings unter den Top zehn.
„Die Mannschaft vertraut mir“
Dazu spricht Geis auf dem Platz Klartext. Dass diese Ansagen auch erfahrenere Kollegen wie Kapitän Nicolce Noveski oder Ekin Soto treffen, sieht er nicht als Problem. Es sei natürlich außergewöhnlich, wenn ein 20-Jähriger einem 35-Jährigen auf dem Platz sagen könne, wo es langgeht. Das funktioniere in Mainz aber, „weil die Mannschaft mir vertraut und wir einen echt starken Teamgeist haben“, so Geis. Ungewöhnliche Worte für einen jungen Spieler.
Geis darf sich diese Selbstverständlichkeit herausnehmen. Thomas Tuchel lobte zuletzt: „Mit seiner Energie, Wachheit und Überzeugung ist er extrem wichtig für uns. Er spielt wahnsinnig konstant auf hohem Niveau.“ Einzige Schwäche: die Torausbeute. Von seinen 53 Schussversuchen traf nur ein einziger das Ziel. Dagegen glänzte er schon sieben Mal als Vorbereiter.
Um die Torquote zu verbessern, schiebt er nach dem Training häufig Sonderschichten. Trainings-Kiebitze berichten, er bleibe dann oft allein auf dem Platz, um aus allen Lagen aufs Tor zu schießen oder in den leeren Strafraum zu flanken. Darüber hinaus analysiert er fast jede Woche mit Trainer Tuchel oder Co-Trainer Arno Michels im Videostudium Szenen des letzten Spiels. Ziel: Fehleranalyse. „Das hilft mir sehr, besser zu werden“, so Geis.
Tuchel sah ihn schon im DFB-Dress
Der Aufwand scheint sich zu lohnen. Einige Experten brachten den Senkrechtstarter zuletzt schon als Kandidaten für die Nationalmannschaft ins Spiel. So weit ist es noch nicht, Bundestrainer Löw hat von einer Nominierung abgesehen. Auch im Kader des unbedeutenden Testspiels gegen Polen steht der Mainzer nicht. Thomas Tuchel kritisierte Löw öffentlich für diese Entscheidung. Geis habe „maßgeblichen Anteil an unserer tollen Saisonleistung“.
Auch wenn dieser Traum für Geis also vorerst nicht in Erfüllung geht, kann er sich in dieser Woche einen anderen erfüllen. „Ich bin Fußballer geworden, um weiter oben zu spielen. Die Europa League wäre schon ein Traum für mich“, so Geis. Am Wochenende kann er dieses Ziel mit seinen Mainzern perfekt machen. Mit 20 Jahren als Stammkraft in Europa. Würde das gelingen, wäre auch sicher Zeit, die Partyszene von Mainz unsicher zu machen.