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Dieser Text stammt aus unserem Archiv. Ber­nard Tapie ver­starb am 3. Oktober 2021 in Paris.

Es ist das bizarrste Epos des fran­zö­si­schen Fuß­balls. Begonnen hat es 1986, als der Fuß­ball noch ein wahrer Män­ner­sport war und die Klub­prä­si­denten bär­bei­ßige Pro­vinz­ho­no­ra­tioren. Sein Ende fand es 1995 vor dem Richter. Einige Monate vor dem Bosman-Urteil. Ein Augen­zwin­kern der Geschichte vor der end­gül­tigen Kom­mer­zia­li­sie­rung des Fuß­balls. Neun Jahre, in denen Olym­pique Mar­seille viermal fran­zö­si­scher Meister und einmal Pokal­sieger wurde und 1993 auch den Hei­ligen Gral der Fuß­ball­welt gewann, die Cham­pions League. Keine zwei Jahre später ver­sank der Klub in einem Sumpf aus Kor­rup­tion- und Doping­vor­würfen und gewann bis heute keine ein­zige Tro­phäe von Bedeu­tung mehr. Seinen phä­no­me­nalen Auf­stieg und seinen tiefen Fall in den Abgrund ver­dankt OM einem Mann: Prä­si­dent Ber­nard Tapie.

Ein Latin Lover. Groß, gut­aus­se­hend, stets mit einer virilen Bräune im Gesicht. Er betörte die Men­schen, die ihn umgaben, mit seinem umwer­fenden Charme genauso, wie er sie mit bei­ßendem Spott in die Knie zwingen konnte.

Tapie sang, ver­kaufte Fern­seher, mode­rierte – und wurde reich

Mitte der acht­ziger Jahre hatte Tapie bereits meh­rere Leben hinter sich. Er sang in Varietés, ver­kaufte Fern­seher, wurde später Mode­rator einer TV-Show und spe­zia­li­sierte sich schließ­lich auf den Ankauf von Firmen, die in Schwie­rig­keiten steckten. Eine klas­si­sche Heu­schrecke. 1990 ver­fuhr er auf genau diese Weise mit dem Sport­ar­tikler Adidas. Der beste Coup meiner Kar­riere“, begeis­terte sich Tapie selbst. Er war kein Kon­struk­teur, er plante nicht lang­fristig, er war nur beson­ders gut darin, güns­tige Gele­gen­heiten zu erkennen“, cha­rak­te­ri­siert ihn Marc Fra­tani, damals Chauf­feur, Leib­wächter und Berater des mon­dänen Para­dies­vo­gels. Anfang des Jahres 1986 arbei­tete Fra­tani für den Bür­ger­meister von Mar­seille, Gaston Def­ferre, einen Poli­ti­ker­fürsten, der seit 1953 diesen Posten inne­hatte und mit großem Bedauern erkennen musste, dass Olym­pique Mar­seille fuß­bal­le­risch keine Rolle spielte. Und das in Anbe­tracht der bevor­ste­henden Wahlen. Wenn es im Fuß­ball gut läuft, läuft es auch gut für die Mar­seiller Poli­tiker“, fasst Fra­tani zusammen. Gaston Def­ferre hatte einen Plan und dieser Plan hieß: Ber­nard Tapie, sein Ver­mögen, seine Ambi­tionen. Der Poli­tiker war über­zeugt: Als Prä­si­dent von Olym­pique würde Tapie den Klub wieder nach vorne bringen und Def­ferres poli­ti­scher Erbe werden. Das wie­derum kam dem Geschäfts­mann Tapie, der davon träumte, sich eines Tages um das Amt des Staats­prä­si­denten zu bewerben, sehr gelegen.

Dabei war Tapie eigent­lich Anhänger des AS Saint-Eti­enne. Doch OM sollte sein Sprung­brett zum Ruhm werden. Dabei ver­folgte er eine simple Stra­tegie: Nur die Besten sollten für den Klub spielen. Würde er heute die Geschicke bei Olym­pique leiten, hießen seine Wunsch­spieler Lionel Messi und Cris­tiano Ronaldo.

Anfangs ein Aben­teuer – dann wurde Tapie bera­tungs­re­sis­tent“

Der erste Akt seines Plans: die Abwer­bung Michel Hidalgos, bis dahin Trainer der fran­zö­si­schen Natio­nal­mann­schaft. Tapie benahm sich wie bei einer Shop­ping­tour – auch gegen­über dem Fuß­ball­ver­band. Bis 1991 prägte Hidalgo fortan als Manager den Klub. Er erklärt dazu: Die ersten zwei Jahre waren ein herr­li­ches Aben­teuer. Dann wurde Tapie zuneh­mend bera­tungs­re­sis­tent. Und das endete für mich so, wie ich es erwartet hatte: schlecht.“ Wäh­rend der ersten Spiel­zeiten lernte Tapie. Er schaute sich bis zu sechs Fuß­ball­spiele am Tag an. Schnell kannte er die wich­tigsten Spieler der ersten Liga mit all ihren Stärken und Schwä­chen.

Sein Gespür sollte Wunder voll­bringen. Anfang des Jahres 1989 kam ein Spie­ler­be­rater mit dem Anliegen in sein Büro, Paul Gas- coigne nach Mar­seille zu ver­mit­teln. Gemeinsam stiegen sie in Tapies Pri­vatjet und flogen zu einem Spiel von Tot­tenham. Wäh­rend des Spiels drehte sich Tapie zu dem Berater um und sagte: Dieser Spieler muss nach Mar­seille kommen, unbe­dingt!“ Doch sein Finger zeigte auf Chris Waddle. Tapie zahlte für Waddle 45 Mil­lionen Francs (rund sieben Mil­lionen Euro), die bis dahin dritt­höchste Trans­fer­summe der Fuß­ball­ge­schichte, rund das Drei­fache von dem, was man für die dama­ligen Stars der fran­zö­si­schen Liga hin­blät­tern musste. Nachdem der Brite anfäng­lich einige Monate über den Platz irrte, erspielte er sich ab 1992 mit seinen spek­ta­ku­lären Dribb­lings auf ewig einen Platz in der Ruh­mes­halle des Klubs.

Das Rekru­tieren der zweiten Garde der Mann­schaft über­ließ Tapie seinem Gene­ral­di­rektor Jean-Pierre Bernès. Per­sön­lich küm­merte er sich nur um die Stars. Tapie hatte zwei Kri­te­rien bei seiner Aus­wahl: den Bekannt­heits­grad eines Spie­lers und dessen sport­li­chen Wert“, erklärt Marc Fra­tani. Jean-Pierre Papin hatte wäh­rend der WM in Mexiko 1986 einen Vor­ver­trag Bem. AS Monaco unter­zeichnet. Als Tapie mit ihm zusam­men­traf, hatte er ihn in drei Sätzen um den Finger gewi­ckelt. Papin sollte der beste Stürmer in der Geschichte von Olym­pique werden.